Account/Login

Hungerkatastrophe

Der Südsudan ist ein einziges Schlachtfeld

  • Cedric Rehmann

  • Mo, 27. März 2017, 22:54 Uhr
    Ausland

Im Südsudan verhungern Menschen, während die Konfliktparteien sich weiter bis aufs Blut bekriegen. Internationale Helfer warnen schon vor einer Hungerkatastrophe.

Im Südsudan leidet die Bevölkerung an ...kte in dem jungen Land nicht aufhören.  | Foto: dpa
Im Südsudan leidet die Bevölkerung an Hunger, auch weil die Konflikte in dem jungen Land nicht aufhören. Foto: dpa
Am Himmel über der Stadt Wau ziehen die Raubvögel ihre Kreise. Über ihnen ballen sich dunkle Wolken. Sie hängen wie eine Drohung über der Stadt. Noch wirbelt heißer Wind Staub zwischen den Hütten auf. Wenn die Sonne auftaucht, brennt sie auf der Haut. In zwei oder drei Wochen werden Regentropfen den Staub in Schlamm verwandeln. Wo im Moment noch Lastwagen mit Lebensmitteln aus Kenia oder Uganda rollen, werden die Straßen im Morast versinken. Wau wird einer Insel gleichen, die niemand mehr auf dem Landweg erreichen kann.

Nur die mit GPS ausgerüsteten Maschinen der UNO werden von der Luft aus durch die Regenschauer noch die Landepiste erkennen. Aber auch die Antonows mit ihren Hilfsgütern werden nicht mehr regelmäßig landen. Mal werden die Unwetter zu stark sein, oder die Rebellen nutzen die Regenzeit für eine Offensive. Der Regen wird auf Menschen niederprasseln, die seit einem Jahr nicht mehr regelmäßig gegessen haben.

Auf den Feldern der Bauern lauerte der Tod

Sie haben zwei Jahre lang keine Vorräte angelegt. Denn die Bauern von Wau fuhren in diesem und im vergangenen Kriegsjahr keine Ernte ein. Auf ihren Feldern außerhalb der Stadt lauern marodierende Kämpfer, lauert der Tod. Die Aasgeier am Himmel über Wau müssen vielleicht nur noch warten bis zum Ende der Regenzeit. Dann könnte es ein Festmahl für sie geben. Nicht nur in Wau, sondern im ganzen Südsudan.

Achol Amman kümmert es nicht, dass die Regenzeit ihrem Land den Tod bringt. Sie ist zu sehr damit beschäftigt, dass ihre Kinder schon jetzt Hunger leiden. Die Mutter wiegt den dreijährigen Majok auf dem Schoß, während sie vor dem Eingang des Saint Mary’s Hospital in einem Dorf unweit von Wau sitzt. In ihrer Hütte einige Kilometer entfernt bleiben Majoks Geschwister mit leeren Bäuchen zurück. Ammans Mann ist vor einiger Zeit schon in einer Schlacht gestorben. Die Südsudanesin hatte in den vergangenen Wochen nichts als Brennholz zu verkaufen, um ihren Kindern etwas Hirse zu besorgen.

Majoks Kopf wirkt riesig im Vergleich zu dem Rest seines Körpers. Knochig die Ärmchen und Beinchen, die Augen treten aus dem eingefallenen Gesicht hervor. Die Haare sind in Büscheln ausgefallen. Was wird die Mutter tun, wenn sie den nach Erdnussbutter schmeckenden Kalorienkuchen aus UN-Beständen von den Helfern erhält? Die Ärzte werden verlangen, dass sie die Kalorienmedizin Majok gibt. Denn der Junge ist dabei zu verhungern. Dann bekommen aber seine Geschwister weiter nur Hirse zu essen. Zu wenig, um sie gesund zu halten. Teilt sie den Kuchen unter allen auf, wird es Majok nicht besser gehen. Die Mutter muss sich entscheiden.

Die Mutter muss entscheiden: Wie teilt sie das Essen auf?

Achol Amman gehört zum Volk der Dinka. Die Dinka sind der größte Stamm im Südsudan. Sie leben von der Viehhaltung. Die Dinka-Frauen aus dem nördlichen Umland von Wau kauften vor dem erneuten Kriegsausbruch im Sommer 2016 ihre Lebensmittel von Bauern, die südlich der Großstadt Wau lebten und größtenteils zum Stamm der Nuer gehörten. Danach zogen ihre Männer plündernd durch die Bauerndörfer und vertrieben, wen sie nicht töteten. Denn die Dinka sahen in den wieder aufgeflammten Kämpfen die Chance, das Ackerland für ihre Kühe zu erobern. Die Nuer, die sie bisher mit Hirse und Gemüse versorgt haben, flüchteten nach Wau und suchten Schutz. Denn in Wau sind UN-Soldaten stationiert. Dann fraßen die Kühe der Dinka, was noch auf den verlassenen Feldern wuchs, während die Dinka anfingen zu hungern.

Auf die Frage, ob es nicht besser gewesen wäre, wenn die Dinka-Kämpfer den Bauern ihre Felder gelassen hätten, fällt den Dinka-Frauen vor dem Saint Mary’s Hospital keine Antwort ein. Nach einer Weile sagt eine, dass der Krieg eine Angelegenheit der Männer sei. Die Sache der Frauen scheint es zu sein, das Leid ihrer Kinder zu ertragen.

Die Dinka bildeten in den Zeiten des Unabhängigkeitskriegs der südsudanesischen Christen gegen den muslimischen Nordsudan das Rückgrat der Unabhängigkeitsbewegung SPLM. Deren Anführer Salva Kiir ist seit der Unabhängigkeit des Südsudan im Jahr 2011 Präsident. Einst schenkte ihm George W. Bush einen Cowboyhut. Kiir trägt Bushs Hut noch heute, die USA aber sieht er inzwischen als Feind. Die Amerikaner wollten wegen der Gewalt im Südsudan ein Waffenembargo gegen das Land im UN-Sicherheitsrat durchsetzen. Sie scheiterten am Veto Chinas, auch Russland war dagegen. Juba vergab nach der Unabhängigkeit unter anderem an chinesische Firmen Konzessionen für die Förderung des südsudanesischen Öls. Das war eine Enttäuschung für die USA, das die SPLM gegen die Muslime des Nordens unterstützt hatte.

Juba überließ sein Volk der UNO und ausländischen Helfern

Im Juli 2013 entließ der Dinka Salva Kiir den Nuer Riek Machar als Vizepräsidenten – und brachte die ohnehin fragile Machtbalance des junge Staates zum Einstürzen. Immer wieder unterbrochen von Friedensverhandlungen dauerten die Kämpfe bis 2016, es kam zu Massakern und Massenvergewaltigungen. Das Land ächzte zudem unter der Last der vielen Binnenvertriebenen. Die Ölausfuhren als einzige Einnahmequelle des Landes flossen vor allem in die Militärausgaben der Regierung. Juba überließ aus Gleichgültigkeit und Geldmangel die Versorgung der Bevölkerung der UNO und ausländischen Helfern. Ende 2016 dann gelang es der Regierung nicht mehr, den Kurs des südsudanesischen Pfunds gegenüber dem Dollar künstlich hochzuhalten. Die Preise für Lebensmittel stiegen um das Elffache.

Doch auch das jüngste, 2016 von Salva Kiir und Riek Machar in Äthiopien unterschriebene Friedensabkommen zerbrach. Es sah eine erneute Machtteilung zwischen beiden Anführern wie vor Kriegsausbruch 2013 vor. Doch kaum hatten Riek Machar und Salva Kiirs gemeinsam die Regierungsgeschäfte übernommen, wiederholte sich die Geschichte: Regierungsarmee, Oppositionsgruppen und Rebellen gerieten erneut aneinander. Viele Beobachter sagen, dass weder Machar noch Kiir jemals ernsthaft daran gedacht haben, sich an das Abkommen zu halten.

Der Hass, von allen Kriegsparteien geschürt, frisst sich jetzt durch jeden Winkel des ostafrikanischen Landes. Kein Stamm kann sich aus den Kämpfen heraushalten. Wer nicht Partei ergreift, wird beschuldigt, dem Feind zu helfen. Die Fronten lösen sich auf und machen einem einzigen Schlachtfeld Platz. Und die Vertriebenen berichten Furchtbares: In vielen Regionen des Landes würden ganze Stämme von den Dinka ausgelöscht. Weite Teile des Landes sind weder für Helfer noch Journalisten zugängig. Das Grauen spielt sich ohne Zeugen ab. Ein hochrangiger Diplomat nimmt das Wort "Genozid" in den Mund. Alle Kriegsparteien würden kämpfen, um dem gegnerischen Volk die Lebensgrundlage zu entziehen, sagt er. Er will sich mit der Aussage aber nicht zitieren lassen.

Es stinkt nach Krankheit

Die Entscheidung der Regierung, in der eskalierenden Hungerkrise die Visagebühren für internationale Helfer pro Person von 100 Dollar auf 10.000 Dollar zu erhöhen, macht viele nervös. Ist das der Versuch eines verzweifelten Regimes an Devisen heranzukommen? Oder will die Regierung keine Beobachter im Land haben, wenn sie tut, was sie für nötig hält, um den Krieg zu gewinnen?

Die Alten und Kranken siechen als Erste dahin. Unter einer Zeltplane im Flüchtlingslager rund um die Kathedrale von Wau stinkt es nach Krankheit. Fliegen wandern über das Gesicht und die Arme einer älteren Frau. Sie und eine Jüngere liegen auf Matten und winden sich still in Krämpfen. Ein Junge nestelt an dem Hemd der jungen Frau herum. Es ist offenbar seine Mutter, denn das Kind greift nach ihrer Brust. Es beginnt, an der Warze der Frau zu saugen, die mit dem Tod ringt.

Die Helfer der Malteser schauen betreten auf die Szene des Grauens. Eigentlich wollten sie den Gästen aus dem Ausland zeigen, wie sie in dem Camp rund um die Kathedrale den von den Dinka Vertriebenen Hilfe leisten. Ein Malteser erklärt, dass die Organisation mit der Unterstützung des Nothilfebündnisses "Aktion Deutschland hilft" Bohrlöcher auf dem Kirchengelände gegraben hat. Sie sind so tief, dass die Ausscheidungen von 8000 Menschen nicht in das Grundwasser sickern. Die Organisation habe Latrinen angelegt und verteile Seife. Mehr als eine medizinische Grundversorgung könnten die Malteser in dem Lager aber nicht gewährleisten. "Unsere Mittel sind begrenzt", sagt der Helfer.

Eine Inderin verschreibt sich der Hilfe

Wenn die indische Schwester Grace Albträume hat, weiß sie manchmal nicht, ob sie Bilder aus der Vergangenheit plagen oder ob sie die Zukunft voraussieht. In ihren Träumen kriechen Mütter mit Kindern auf dem Rücken auf sie zu, um vor ihren Augen zusammenzubrechen. Immer kommt sie in ihren Träumen zu spät, um die Verhungernden zu retten.

Als Schwester Grace Ende der 90er-Jahre für die Mary Help Association nach Wau kam, hungerte das Regime in Khartum die aufständischen Dinka aus. Der Sudan ließ keine Hilfsorganisation in den rebellierenden Süden. Nur die Kirche blieb in der umkämpften Region und baute unter anderem eine Krankenschwesterschule auf. Derzeit seien zahlreiche kirchliche und private Hilfsorganisationen in Wau tätig, sagt Schwester Grace, von den Maltesern bis zu den Johannitern. Dennoch spricht sie von einem Dilemma: Geld kann nur einmal ausgegeben werden, die Helfer können nicht überall gleichzeitig sein. In einem Land, in dem über Monate alle Straßen überschwemmt sind, verschlinge allein der Transport von Hilfsgütern Unsummen. Die internationale Gemeinschaft dürfe jetzt keine Zeit verlieren.

"Bevor die Regenzeit richtig begonnen hat, muss genug Essen im Land sein und zwar mindestens für ein Drittel der zwölf Millionen Einwohner Südsudans", sagt Schwester Grace. Aber außer der Hungersnot im Südsudan gebe es ja noch die Dürre am Horn von Afrika und die gleichfalls kriegsbedingten Krisen im Jemen und der Sahelzone. Die UNO spricht von der schwersten humanitären Krise seit 1945 mit fünf Epizentren.

"Wir beten, dass es jetzt nicht noch irgendwo auf der Welt ein Erdbeben gibt", sagt Schwester Grace. Der Südsudan könne sich frühestens nach dem Ende der Regenzeit 2018 wieder selbst versorgen. "Wenn im kommenden Jahr die Waffen schweigen und die Bauern wieder auf ihre Felder können", sagt sie. Ansonsten werde es auch im kommenden Jahr keine Ernte im Südsudan geben.

Der Autor bereiste den Südsudan auf Einladung der Aktion "Deutschland hilft".


Mehr zum Thema:

Ressort: Ausland

  • Artikel im Layout der gedruckten BZ vom Di, 28. März 2017: PDF-Version herunterladen

Artikel verlinken

Wenn Sie auf diesen Artikel von badische-zeitung.de verlinken möchten, können Sie einfach und kostenlos folgenden HTML-Code in Ihre Internetseite einbinden:

© 2024 Badische Zeitung. Keine Gewähr für die Richtigkeit der Angaben.
Bitte beachten Sie auch folgende Nutzungshinweise, die Datenschutzerklärung und das Impressum.

Kommentare


Weitere Artikel