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LGBT-Szene

Hexenjagd auf Homosexuelle in Ägypten nach Indie-Konzert

Karim El-Gawhary
  • Mi, 11. Oktober 2017, 00:00 Uhr
    Ausland

In Ägypten beginnt nach einem Konzert der Indie-Band Mashrou’ Leila eine Verhaftungswelle gegen Homosexuelle. Für eine Anklage reicht es dort, eine Regenbogenfahne zu hissen.

Kleine Fahne, großer Ärger: Zuschauer ...der Band Mashrou’ Leila in Kairo  | Foto: dpa
Kleine Fahne, großer Ärger: Zuschauer beim Konzert der Band Mashrou’ Leila in Kairo Foto: dpa
Die Verhaftungswelle gegen Homosexuelle in Ägypten begann mit einem Auftritt der libanesischen Indie-Rockband Mashrou’ Leila. 30 000 Menschen, meist Jugendliche, waren vor drei Wochen zu dem Konzert in Kairo gekommen. Das Besondere an der Band: Der Sänger Hamed Sinno hat ein Tabu in der arabischen Welt gebrochen und tritt offen als schwul auf. Er ist einer der Idole der arabischen LGBT-Szene, der Szene der Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transgender – die agiert in Ägypten aus Angst vor Repressionen weitgehend im Untergrund.

Mitten in dem Konzert schwenkten Jugendliche eine Regenbogenfahne, ein Symbol der Szene und der sexuellen Vielfalt. "Ich war mit meinen Freunden auf dem Konzert und neben uns war jemand, der zwei Flaggen dabeihatte. Also nahm ich eine davon und hielt sie hoch, in Solidarität mit dem Sänger der Band, gegen den eine Schmutzkampagne läuft, weil er schwul ist", schrieb Ahmad Alaa später bei Facebook. Er fügte hinzu: "Ich hätte es mir nie im Leben ausgemalt, dass die Sache solche Ausmaße annimmt. Ich bin aber der festen Überzeugung, dass Homosexuelle wie jeder Mensch das Recht haben, ihre Sexualität frei auszuüben. Das ist ein grundsätzliches Menschenrecht." Ahmad Alaa konnte nicht ahnen, was die Aktion auslösen würde.

In den sozialen Medien in Ägypten verbreiteten sich Videos der Jugendlichen mit der Regenbogenfahne wie ein Lauffeuer. Auch die Medien stürzten sich auf das Thema. Allerdings wurde dort nicht die Vielfalt zelebriert, vielmehr war in Talkshows von Homosexualität als Krankheit die Rede, der Einhalt geboten werden müsse. Die ägyptische Menschenrechtlerin Dalia Abdel Hamid spricht im Gespräch mit der BZ von einem bewusst inszenierten Skandal. Mit den in Ägypten gleichgeschalteten Medien sei eine Verhaftungswelle vorbereitet worden. Die Medien hätten dazu aufgefordert, diese Menschen zu verhaften, weil Homosexualität gesellschaftlich nicht akzeptiert sei. "Und alle gaben ihre Statements ab, von den Parlamentariern bis hin zu den christlichen und islamischen Geistlichen. Sie alle wetzten ihre Messer", sagt Abdel Hamid.

Was folgte, war eine noch nie dagewesene Hexenjagd auf Homosexuelle in Ägypten. Ahmad Alaa, einer der Fahnenschwenker, wurde verhaftet und steht inzwischen vor Gericht. Aber nicht nur jene, die eine Regenbogenflagge hochgehalten hatten, wurden von den Sicherheitsbehörden gesucht. Mindestens 56 weitere Menschen wurden verhaftet, weil sie verdächtigt werden, der Schwulenszene anzugehören. "Was die Sicherheitskräfte in solchen Fällen gerne machen, ist, dass sich Polizisten Profile in den einschlägigen Chaträumen im Internet schaffen. So ködern sie die Menschen und laden sie zu einem Treffen ein, wo sie dann festgenommen werden", erzählt die Menschenrechtlerin. Zehn der Festgenommenen wurden in einem ungewöhnlich schnellen Verfahren verurteilt. Sie erhielten Gefängnisstrafen zwischen einem Jahr und sechs Jahren.

Das ägyptische Gesetzbuch enthält keine Paragrafen, die Homosexualität untersagen. Bisher wurden Homosexuelle wegen öffentlicher Verführung, Ausschweifung, Unmoral oder Blasphemie verurteilt. Die Fahnenschwenker werden jetzt erstmals beschuldigt, einer Gruppierung anzugehören, die die nationale Sicherheit bedroht. "Es wurde sogar konstruiert, dass sie die Verfassung verletzt hätten. In Artikel 2 heißt es, dass die Prinzipien der Scharia die Hauptquelle der Gesetzgebung darstellen sollen", sagt Alaa Faruk, einer der Verteidiger der Verhafteten. "Viele Richter urteilen in diesen Fällen nicht gesetzesgemäß. Das gilt besonders für die untere Ebene der Gerichte", so der Rechtsanwalt. In einem anderen Fall habe der Richter gesagt, "er verurteile meinen Mandanten, weil er den Thron Gottes zum Wackeln gebracht habe. Es gibt kein solches Gesetz."

Einige der nach dem Konzert Verhafteten mussten eine Analuntersuchung über sich ergehen lassen, um ihnen gleichgeschlechtlichen Sex nachzuweisen. Eine Prozedur, die Menschenrechtsorganisationen als Folter bezeichnen. Amnesty International hat mindestens fünf solcher Fälle dokumentiert, die auch von ägyptischen Behörden offen zugegeben werden. Abdel Hamid setzt das Ganze in einen weiteren politischen und gesellschaftlichen Kontext: "Es gibt Leute, die sagen, wenn sie eine IS-Fahne gehisst hätten, wären sie nicht so verfolgt worden." Die Menschenrechtlerin bedauert, dass Menschen, die für Frieden, Vielfältigkeit und gegenseitige Akzeptanz eintreten, bekämpft werden. Und das in einer polarisierten Gesellschaft, mit großen politischen Differenzen, während die Repression anhält und die Leute unter der wirtschaftlichen Krise leiden. "Der Staat verwendet seine Ressourcen, um gegen die Menschen vorzugehen, die für Vielfältigkeit eintreten", beklagt sie.

Es ist nicht die erste Verhaftungswelle gegen Homosexuelle in Ägypten. Allein Abdel Hamids Organisation hat nach eigenen Angaben innerhalb von fünf Jahren mehr als 230 Fälle dokumentiert. Trotz der massiven neuerlichen Repression sieht Abdel Hamid aber auch etwas Positives: Hatten sich Menschenrechtler, Anwälte und Intellektuelle bisher immer gescheut, das Thema Homosexualität aufzugreifen, so hat diesmal eine Debatte begonnen.

"Es wird neuerdings über einvernehmlichen Sex diskutiert. Es werden Fragen gestellt: Warum interveniert der Staat hier und nicht bei häuslicher Gewalt? Oder bei weiblicher Genitalverstümmelung oder bei Vergewaltigung in der Ehe oder bei Kinderehen, die alle nicht einvernehmlich geschehen", beschreibt sie die Diskussion – und ergänzt: "Manche Leute fragen, warum ausgerechnet einvernehmliche Beziehungen kriminalisiert werden sollen."

Inzwischen haben die ägyptischen Behörden es Homosexuellen verboten, öffentlich in den Medien aufzutreten, wenn sie nicht ihrer Homosexualität abschwören und das Ganze als Schande und Krankheit bezeichnen. Nicht nur die islamische Al-Azhar-Universität verurteilt Homosexuelle. Auch die koptische Kirche organisierte eine Konferenz mit dem vielsagenden Titel "Der Vulkan der sexuellen Abweichung".

Ressort: Ausland

  • Artikel im Layout der gedruckten BZ vom Mi, 11. Oktober 2017: PDF-Version herunterladen

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