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Ziehler verhinderte weitere Zerstörungen

  • Stadtarchivar Uwe Fahrer

  • Di, 21. April 2015
    Breisach

DIE LETZTEN KRIEGSTAGE IN BREISACH: Heute vor 70 Jahren wurde die fast völlig zerstörte Stadt von den Franzosen eingenommen / Münster war stark beschädigt .

Auch die Brücke über den Rhein bei Breisach lag 1945 in Schutt und Asche.   | Foto: Stadtarchiv Breisach
Auch die Brücke über den Rhein bei Breisach lag 1945 in Schutt und Asche. Foto: Stadtarchiv Breisach

BREISACH. Heute vor 70 Jahren, am 21. April 1945, wurde Breisach am Ende des Zweiten Weltkrieges an die Franzosen übergeben. Zuvor war die Stadt tagelang starkem Beschuss ausgesetzt.

Sophie Schannos Aufzeichnungen
Mitte März 1945 kehrte die Stadtkassenleiterin Sophie Schanno auf eigenes Risiko aus der Evakuierung in ihre bereits fast völlig zerstörte und nahezu menschenleere Heimatstadt in ihr noch intaktes Haus an der Münsterbergstraße/Schänzletreppe zurück. Am 2. und 3. Februar hatte zuvor die Zivilbevölkerung die Stadt verlassen. In einem im September 1945 verfassten Bericht schildert Schanno die letzten Kriegswochen und -tage.

Demnach zogen sich, wie sie erfahren hatte, bereits am 7. Februar alle militärischen Stellungen vom Münsterberg zurück, wo nur ein Beobachtungsposten verblieb. Am 25. März sprengte der Volkssturm die Eisenbahnbrücke, wobei ein Soldat beim Beschuss fiel. Am Ostersonntag, 1. April, lag der Münsterberg unter starkem Artilleriebeschuss, ebenso die Vorderstadt und das Bahnhofsviertel.

Starker Beschuss
Am 4. April brannte das Gasthaus "Drei Kronen" am Langen Weg, nachmittags besuchte eine Bildreporterin der NS-Tageszeitung "Der Alemanne" Breisach und machte – heute leider verschollene – Aufnahmen im Hof der Sektkellerei, wo sich bis zur Evakuierung ein Luftschutzbunker für die Bevölkerung, ein Lazarett sowie die provisorischen Amtsräume der Stadtverwaltung und der NS-Organisationen befunden hatten.

Am Abend des 6. April setzte starker Beschuss durch Artillerie und Granatwerfer ein, zahlreiche Häuser brannten nieder, 6 Personen wurden getötet. Der Dachstuhl des Münster-Mittelschiffs fing Feuer, der große Leuchter im Mittelschiff stürzte herab. Am folgenden Tag brannte die Realschule (heutiges Martin-Schongauer-Gymnasium).

Bis zum 19. April lag die Stadt weiter unter starkem Beschuss, zahlreiche Gebäude wurden zerstört und das Münster schwer getroffen und weitgehend zerstört. Am 20. April hörte man starkes Panzerrollen auf der linken Rheinseite, "gegen Abend starkes Feuer herüber und hinüber. Es war ein ständiges Pfeifen und Bersten von Granaten. Auch in der Nacht starkes Feuer".

Ein mutiger Bürger
Samstag, 21. April 1945: "Kein Schuss, unheimliche Stille. Gegen 11 Uhr starkes Panzerrollen auf der Landstraße gegen das Kupfertor zu. Wegschießen der dortigen Panzersperre durch direkten Panzerbeschuss. Einfahrt der Franzosen (vermutlich das II. Korps der I. französischen Armee unter General Jean de Lattre de Tassigny mit nordafrikanischen ehemaligen Kolonialsoldaten/2. Marokkanische Infanteriedivision; Anmerkung des Verfassers) durch das Kupfertor und die Hohenzollernstraße".

Mit einer weißen Fahne ging der Kaufmann Albert Ziehler, der ebenfalls in Breisach verblieben war und direkt am Kupfertor wohnte, dem ersten Panzer entgegen und versicherte auf Französisch, dass sich kein deutscher Soldat mehr in Breisach aufhalte und die Straßen nicht vermint seien. Mit aufgesessener Infanterie rollte Panzer auf Panzer durch die Kupfertorstraße in die Vorderstadt, Albert Ziehler fuhr als Geisel auf dem Kühler eines Jeeps an der Spitze des Zuges. "Der erste Trupp fuhr weiter Richtung Hochstetten, der Nachschub blieb hier, es waren ungefähr 800 Mann. Der erste Tag verlief ruhig", schreibt Sophie Schanno.

Familie heimlich gerettet
Albert Ziehler zählte zu den ungefähr 30 unentwegten Zivilisten, die nicht am 2./3. Februar 1945 in die letzte Evakuierung gingen, sondern in Breisach blieben. Geboren 1900 in Lörrach, heiratete er 1923 die Breisacherin Selma Bergheimer, deren Familie das Gasthaus "Zur Kanone" (später "Eckartsberg", heute "Neutor" auf dem Neutorplatz) und später die Neumühle und das Gasthaus "Zum Schiff" am Kupfertorplatz führte.

In der NS-Zeit waren Albert Ziehler und seine Familie ständigen Schikanen und oftmaligen Besuchen und Verhören durch die Gestapo ausgesetzt, denn seine Ehefrau war Jüdin und infolgedessen hatten auch die Kinder unter den menschenverachtenden Rassegesetzen des NS-Regimes zu leiden. Die Familie rettete er vor weiterer Verfolgung und der Deportation, indem er sie heimlich in den Schwarzwald beziehungsweise nach Sulzburg brachte.

Kommissarischer Bürgermeister
Für seine mutige Tat unter Einsatz seines Lebens am Vormittag des 21. April 1945, mit der er die Stadt im Alleingang friedlich übergab und damit weiteren Beschuss verhinderte, gebührt ihm ein Ehrenplatz in der Geschichte der Stadt Breisach. Da er aufgrund seines Berufes als Kaufmann und den damit verbundenen Geschäftsbeziehungen nach Frankreich die französische Sprache fließend beherrschte, wurde er vom französischen Ortskommandanten am 23. April für rund 3 Wochen zum ersten kommissarischen Bürgermeister Breisachs ernannt. Albert Ziehler starb im Jahr 1960, seine Ehefrau Selma 1992 im hohen Alter von 89 Jahren.

Ressort: Breisach

  • Artikel im Layout der gedruckten BZ vom Di, 21. April 2015: PDF-Version herunterladen

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