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BZ-Gastbeitrag

Enteignet Facebook! Eine utopische Idee?

Wolfgang Kessler

Von

Sa, 28. April 2018 um 12:40 Uhr

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Nach dem Datenskandal beim US-Internetriesen lohnt sich die Vorstellung, es wäre ganz anders: Facebook wäre ein öffentlich-rechtliches Unternehmen ohne privates Gewinninteresse.

Facebook-Gründer Mark Zuckerberg bei der jährlichen Facebook-Entwicklerkonferenz F8. Foto: dpa
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Wir schreiben das Jahr 1968: Studenten demonstrieren für mehr Freiheit und gegen den Vietnamkrieg. Der Springer-Konzern nutzt seine mächtige Stellung unter den Medien und hetzt gegen die Studenten, um die Auflage zu steigern. Darauf skandieren diese: "Enteignet Springer!"

50 Jahre später nutzt ein Konzern mit einem Quasimonopol seine Machtstellung und missbraucht die Daten seiner Nutzer. Er will seine Gewinne steigern, koste es, was es wolle. Zwar ist die moralische Empörung über den Konzern und seinen Gründer, Mark Zuckerberg, groß. Doch so gut wie niemand erhebt die Forderung der Studenten von 1968: "Enteignet Facebook". Warum eigentlich nicht?

Natürlich ist Facebook auf den ersten Blick viel harmloser, als es Springer 1968 war. Der Datenkonzern bringt Nutzer weltweit zusammen, damit sie Nachrichten austauschen – über Politik, über Ferienerlebnisse oder Kochrezepte. Und dies alles, ohne dass die Nutzer nur einen Euro berappen müssen.

Allerdings wäre Facebook keine milliardenschwere Aktiengesellschaft, wenn die User nicht doch bezahlen müssten. Und sie tun es – mit ihren Daten. Die nämlich nutzt Facebook als Kanonenfutter für die Werbeindustrie, als Material für alle, die möglichst viele Daten über Menschen für ihre Ziele nutzen wollen, aus welchen Gründen auch immer. Dieses Geschäftsmodell, das Facebook nicht verschweigt, garantiert hohe Gewinne. 2017 waren es 4,99 Milliarden Dollar (4,1 Milliarden Euro); 64 Prozent mehr als im Jahr zuvor.

Seit der Datenskandal um die Firma Cambridge Analytica den Machtmissbrauch durch Facebook offengelegt hat, ist die Aufregung groß, aber die Hilflosigkeit auch. Viele hoffen auf kritische User, auf die Macht der Konsumenten. Die Kampagne #deletefacebooknow fordert die User auf, Facebook den Rücken zu kehren. Und sicher haben dies auch einige Hunderttausende getan, weltweit.

Aus der Sicht vieler User gibt es keine Alternative zu Facebook

Dennoch wird die Kampagne ins Leere laufen. Denn bei zwei Milliarden aktiven Facebook-Nutzern sind Hunderttausende nicht gerade viel. Mehr werden es aber nicht werden. Denn aus der Sicht vieler User gibt es keine Alternative zu Facebook. In keinem anderen Netzwerk finden sich so viele Gleichgesinnte, Geschäftspartner, Kollegen, Freunde, Kunden wie auf Zuckerbergs Imperium. "Es ist das globale Telefonbuch unserer Zeit", schrieb eine Journalistin.

Und wie selbstverständlich nutzen Fernsehen, Rundfunk und auch Printmedien die Gratisangebote des Konzerns – und machen dadurch Werbung für ihn. Aus diesen Gründen haben auch die meisten Politiker einen Facebook-Account, bis hin zu Justizministerin Katarina Barley. Sie hat zwar Facebook gerade sanft gescholten. Zu mehr aber reichte es nicht. Sie nutzt das Netzwerk ja selbst.

Nun ist das Vernetzen, das Austauschen von Meinungen und Geburtstagsgrüßen nichts Schlimmes. Das Problem liegt darin, dass dies alles in der Infrastruktur eines privaten Großkonzerns geschieht, der seinen Aktionären hohe Renditen verspricht und auf steigende Aktienkurse setzt. Diese Rendite erzielt Facebook, weil die Werbeindustrie oder Wahlkampfmanager die Daten der Facebook-User nutzen, um potentielle Kunden und Wähler zielgenau anzusprechen. Und der Konzern wird die Daten seiner Kunden so lange zu Geld machen, so lange er die höchst mögliche Rendite erzielen muss – im Zweifel auch missbräuchlich.

Alle kritisieren den Missbrauch ihrer Daten durch Facebook, aber alle spielen weiter mit. Deshalb lohnt sich die Vorstellung, es wäre ganz anders: Facebook wäre ein öffentlich-rechtliches Unternehmen ohne privates Gewinninteresse. Dann würden Regierungen, Stiftungen oder private Sponsoren ohne Gewinninteresse die Infrastruktur bereitstellen, mit deren Hilfe sich Millionen User austauschen können.

Was, wenn Facebook ein öffentlich-rechtliches Unternehmen ohne privates Gewinninteresse wäre?

Das Web-Lexikon Wikipedia ist dafür das beste Vorbild: Es zeichnet sich deshalb durch eine hohe und unabhängige Qualität aus, weil es nicht von einem Rendite-orientierten Konzern getragen wird, sondern von engagierten Bürgern.

Dann könnten die User ihr Facebook behalten, aber es gäbe einen grundlegenden Unterschied zu Zuckerbergs Imperium: Die Kunden müssten nicht mit ihren Fotos, Ideen und Gedanken die Gewinne eines Konzerns erwirtschaften. Zugegeben, die Überführung von Facebook in eine Form von Gemeineigentum erscheint utopisch, denn es ist ein globaler Großkonzern. Auch wären damit nicht alle Probleme gelöst. Aber es ist eine Utopie, die man verfolgen muss, wenn der Gang in die digitale Diktatur durch wenige private Großkonzerne noch verhindert werden soll. Deshalb: Enteignet Facebook!

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