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Das Kunstmuseum als Skatepark

  • Do, 22. Februar 2018
    Ausstellungen

Abraham Cruzvillegas lanciert im Kunsthaus Zürich ein erfrischendes Fünf-Wochen-Happening.

Die jüngsten Nachrichten aus dem Kunsthaus Zürich geben nicht unbedingt Anlass zum Feiern. Fast ein Drittel weniger Besucher zählte das Haus, das zu den wichtigsten Kunstmuseen der Schweiz gehört, im Jahr 2017. Der massive Einbruch wirft Fragen auf. Lag es am Ausstellungsprogramm? An den Bauarbeiten für den ambitionierten Erweiterungsbau von David Chipperfield, der hier 2020 eröffnen soll? Oder ist der Rückgang am Ende vielleicht nur Symptom einer allgemeinen Ernüchterung in der Kunstwelt, die nun doch noch eingeholt wird von den Effekten der Sparrunden und Steuergesetzreformen?

Schwer zu sagen. Die Ausstellung, mit der das Kunsthaus ins Jahr startet, trägt vor diesem Hintergrund jedenfalls angenehm kathartische Züge. Abraham Cruzvillegas, 1968 in einem Armenviertel in Mexiko-City geboren und von der Kritik heute als "Marcel Duchamp des 21. Jahrhunderts" gefeiert, hat im weitläufigen Bührlesaal derzeit sein Atelier eingerichtet. An den Wänden lehnen Skier, Schaufeln, alte Paddel und andere Fundstücke aus dem Müll neben leeren Bierfässern, Autositzen, ramponierten Aktenschränken. Davor, auf Tischen, die den Arbeits- vom Ausstellungsbereich trennen, liegen ein paar Skizzen für sperrig wuchernde Architekturen. In seinem Viertel in Ajusco, sagt Cruzvillegas, sei das wilde Bauen seit der Landflucht in den 1960er Jahren zur Normalität geworden. "Die Menschen nehmen sich Material von der Straße und fangen einfach an, ohne Budget, ohne Plan". "Autoconstrucciónes" heißen diese Eigenbauten, die nie fertig werden. Der ständige Wandel ist ihr Wesen, die solidarische Nachbarschaft ihr Humus.

Ähnliches probt Cruzvillegas nun unter Laborbedingungen auch im Kunsthaus Zürich. Was ihn interessiert, sind die flüchtigen Rohstoffe von Identität: Veränderung, Widerspruch, Instabilität. Wo vor kurzem in musealem Setting noch französische Malerei des 19. Jahrhunderts zu sehen war, verteilen sich im knapp 20 mal 70 Meter großen Saal zwei Dutzend möbel- oder podestartige Objekte, von Zürcher Jobbern zusammengeschraubt aus Altholz, das Cruzvillegas im Materialdepot des Kunsthauses fand. Je zwei Seiten sind in grellem Pink und leuchtendem Moosgrün bemalt, so dass überall im Raum die Komplementärkontraste flirren – eine Hommage an Hélio Oiticica, den brasilianischen Begründer der Tropicália-Bewegung, wie Cruzvillegas sagt. Im Laufe der Ausstellung sollen diese Objekte dann je nach Bedarf zu Esstischen, Bühnenelementen oder Skateboardrampen mutieren und durch immer neue "Autoreconstrucciónes" aus dem Atelier vor Ort ergänzt werden. Cruzvillegas hat sie mit Topfpflanzen dekoriert, darunter auch Avocadobäumchen.

Dass diese Frucht, die vor 10 000 Jahren erstmals in Mexiko kultiviert wurde, heute weltweit zu jeder Jahreszeit und in jedem gewünschten Reifegrad erhältlich ist, hält er für eine fatale Entwicklung. Denn der extensive Avocadoanbau benötigt viel Wasser in wasserarmen Regionen – mit dramatischen Folgen für die Bevölkerung. In einer anderen Ecke des Saales hängt eine Installation aus alten Fischernetzen. Sie ist Teil einer Wasser-Trilogie über den Zusammenhang von Macht, Korruption und Spekulation mit der lebenswichtigen Ressource, an der Cruzvillegas schon seit längerem arbeitet.

Ein weiterer Teil ist ein Liederbuch mit über 50 selbst geschriebenen Protest-Songs, die der Mexikaner immer dort von lokalen Bands einspielen lässt, wo er sich gerade aufhält. Auch im Kunsthaus stehen jetzt regelmäßig Musiker auf der Bühne – wenn nicht gerade Skater durch den grellbunten Indoor-Skulpturenpark brettern, Flüchtlinge zur "Abendschule Import" einladen oder die Basler Kochkunstperformerin Sandra Knecht für das Publikum auftischt.

Was im Kunsthaus derzeit zu erleben ist, ist die Diffusion des klassischen Ausstellungsformats in ein offenes Gefäß für Situationen, in dem Bilder und Objekte zu Requisiten werden und Kunst weniger ökonomischen als sozialen Mehrwert hervorbringt. Das ist sehr zeitgenössisch und hebt die Laune. Das Zeug zum Blockbuster-Format, auf das Museen wie das Kunsthaus im internationalen Wettbewerb längst angewiesen sind, dürfte Cruzvillegas erfrischende Schau dennoch kaum haben.

Kunsthaus Zürich, Heimplatz 1. Bis 25. März, Di, Fr bis So 10–18 Uhr, Mi und Do 10–20 Uhr.

Ressort: Ausstellungen

  • Artikel im Layout der gedruckten BZ vom Do, 22. Februar 2018: PDF-Version herunterladen

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