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Flüchtlinge aus den Balkanstaaten

Warten auf die Rückreise

  • Fr, 08. April 2016
    Deutschland

Weil Menschen aus den Balkanstaaten kaum Chancen auf Asyl haben, werden sie in Bayern von anderen Flüchtlingen getrennt.

Das Schild weist in der Einrichtung in Manching die Essenszeiten aus.   | Foto: DPA
Das Schild weist in der Einrichtung in Manching die Essenszeiten aus. Foto: DPA
Die schlimmste Zeit ist morgens um halb sechs. Oft kommen sie dann, schieben einen von den Nachbarn ab, machen Krach. Die Nachbarn machen Krach, weil sie ihre Koffer packen müssen, und die anderen Menschen auch, weil sie nun selber nicht schlafen können; meistens schreit irgendwo auch noch ein Kind. Wenn sie dann weg sind, die Polizisten und die Nachbarn, dann ist die Nacht vorbei und der Kopf leer – aber andererseits ist es auch egal: Beim Warten ist ein Kopf voller Ideen genauso wertvoll wie einer ohne jeden Gedanken. "Manchmal legen wir uns auch am Tag hin. Aber wir können nicht einschlafen vor lauter Langeweile", sagt Ana Isofe (Name geändert).

Rund 1000 Nachbarn hat Ana Isofe. Glaubt man der Bezirksregierung von Oberbayern, dann werden es kontinuierlich weniger – denn in etwa genauso viele Menschen haben den Ort, den der Freistaat Bayern "Ankunfts- und Rückführungseinrichtung I" (ARE I) nennt, in Richtung ihrer Heimatländer verlassen. Zwei solcher Einrichtungen betreibt das Land, eine in Manching bei Ingolstadt, aufgeteilt auf drei Standorte, eine weitere in Bamberg in Oberfranken (ARE II). Aber ARE I und ARE II, das sind Begriffe, die außerhalb der Bürokratie eigentlich kein Mensch verwendet. Wer hierherkommt, der betritt das "Balkanzentrum".

Weil Migranten aus Balkanstaaten fast ausschließlich solche sind, die das Prädikat "geringe Bleibeperspektive" tragen, beschloss die Bayerische Landesregierung im vergangenen Spätsommer, mit ihnen anders umzugehen als mit anderen Flüchtlingen: Statt in dezentrale Einrichtungen kommen sie direkt in die Balkanzentren. Sie werden hier gesammelt, ihr Asylantrag vor Ort bearbeitet, ebenso ein eventueller Widerspruch – und dann geht es für sie nach Hause. Das ist der Plan. "Wir senden ein klares Signal in die Herkunftsländer, dass es keinen Sinn macht, sich auf den Weg zu machen", hat Bayerns Sozialministerin Emilia Müller (CSU) das zum Start genannt.

Wenn man sich auf dem Gelände bewegt, dann ahnt man, was sie meint: Am Wegesrand sprießt Gras, sämtliche Büsche hat man über dem Wurzelstock abgehauen. Bauzäune überall, Erdhaufen und Baracken. "Flugabwehrraketen, Gruppe 23" steht an einer. Andere sind frisch gestrichen. Irgendwo hier gibt es eine Außenstelle des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, es gibt eigene Verwaltungsrichter – und eine Stelle der Zentralen Ausländerbehörde, die dafür zuständig ist, Tickets für die Heimreisen zu organisieren. Dazu muss man wissen, dass ein Asylverfahren auch dann eine langwierige Angelegenheit werden kann, wenn der Antragsteller kaum eine Chance hat – auch für kasernierte Menschen gilt der Rechtsstaat, der Widersprüche und Aufschübe kennt. Freiwillige Rückreisen dagegen gehen von jetzt auf gleich. Zwei Drittel der Menschen, die das Balkanzentrum verlassen haben, sind freiwillig ausgereist. So läuft es hier: Anderswo werden Kekse produziert oder Autos, hier Rückreisen.

Es ist nicht leicht hier hereinzukommen, jedenfalls dann, wenn man nicht vom Balkan stammt: Es dauert Monate, bis die Bezirksregierung von Oberbayern zu einem Pressetermin bereit ist – und bestimmte Bereiche sind dann immer noch tabu. Wie arbeitet hier die Verwaltung? Wie haben es all die Angestellten der Zentralen Ausländerbehörde geschafft, Hunderte von Menschen zur Ausreise zu überreden? Das wüsste man gerne, aber die Behördenmitarbeiter reden nicht mit der Presse. Immerhin ist Maria Els gekommen, Regierungsvizepräsidentin von Oberbayern; eine Frau, deren Sätze ein wenig an Edmund Stoiber erinnern. "Wir bezwecken eine schnelle Durchführung der Verfahren. Denn wir wollen Kapazitäten haben für Asylbewerber, bei denen die Wahrscheinlichkeit der politischen Verfolgung höher ist oder die vor einem Bürgerkrieg geflüchtet sind."

Das ist das eine Ziel der Balkanzentren, es gibt noch ein weiteres. "Wir sind bemüht, die Aufenthaltsqualität zu verbessern", sagt Els und zählt dann auf: Bald soll man hier Sport machen können, eine Teestube sei geplant, vielleicht erweitere die Caritas ihr Betreuungsangebot. Zudem gingen die Kinder in die Schule. Mathe, Sachkunde, Englisch, Kunst, Musik, all das werde vermittelt. Frau Els, was ist mit dem Fach Deutsch? "Das Ziel ist, die Kinder weiterzubringen. Sie sollen einen Nutzen haben, wenn sie in ihre Heimat zurückkehren." Also kein Deutsch.

Oder vielleicht auch keine Schule: "In den letzten Wochen ist der Unterricht immer ausgefallen. Warum, das hat man mir nicht gesagt." Ana Isofe lebt seit dem Frühherbst im Balkanzentrum. Mit ihrem Mann und ihren drei Kindern bewohnt die junge Frau ein paar Quadratmeter in einer der Baracken. Wenn man Ana Isofe fragt, wie das Leben im Balkanzentrum verläuft – erhält man als Erstes eine Aufzählung des Mangels. Es gibt keine Bettwäsche, sondern nur Tücher aus Fleece. Radios im Zimmer sind nicht erlaubt. Wasserkocher im Zimmer sind nicht erlaubt. Freizeitangebote? Keine. In der Kantine: Plastikbesteck, Trinkwasser darf den Raum nicht verlassen und: Salami, Salami, Salami. Jeden Abend.

Es ist nicht so, dass man Ana Isofe zuhört und denkt: unmenschlich. Tatsächlich kann man ja alles begründen: Angesichts der alten Stromleitungen besteht in den Zimmern Brandgefahr. Und was ist, wenn Dutzende aufgebrachte Menschen plötzlich mit Metallbesteck aufeinander losgehen? Es ist eine Welt voller Regeln und Rituale, von der Ana Isofe erzählt. "Das hier ist ein riesiges Gefängnis, aus dem man ein- und ausgehen kann", sagt sie. Was nicht viel bringt, denn vor der Tür gibt es nur Felder und eine Ausfallstraße. Geld für den Bus hat kaum einer.

Und doch gibt es eine Lösung: Sie heißt "Ausländerbehörde" und ist in den Gesprächen der Menschen ganz alltäglich geworden. "Das höre ich oft. Wenn einer es nicht mehr aushält, dann sagt er: Mir reicht es, ich gehe zur Ausländerbehörde." Wer das macht, ist ganz schnell draußen aus dem Nichts. Hat sofort Tickets und kann in sein Heimatland.

Die Bewohner sollen

nicht heimisch werden

Ana Isofe ist Kosovarin oder Westfälin, je nach Blickwinkel: Geboren ist sie in Bielefeld, aufgewachsen in Münster, erst als sie zwölf war, lernte sie jenes Land kennen, das ihre Heimat sein sollte – und musste bleiben, der Bürgerkrieg war vorbei und die Familie wurde ausgewiesen. Sie heiratete früh, ihr Mann hielt die Familie über Wasser, indem er Getränke preiswert in Serbien ein- und teurer im Kosovo weiterverkaufte. Bis er deswegen von lokalen Mafiosi bedroht und zusammengeschlagen wurde. Jetzt, wo sie 27 ist, ist sie deswegen wieder hier. Man kann es ihr glauben, dass sie nicht zurück kann oder es sein lassen. Was man aber sagen kann, ist, dass Asylanträge von Menschen aus dem Kosovo heute nur noch in Ausnahmefällen bewilligt werden. Und dass Menschen, deren Antrag abgelehnt wurde, eine Einreisesperre in die EU erhalten. Wer freiwillig geht, nicht.

Wenn es einer nicht mehr aushält, dann kommt er oft zu Mona Meilinger ins Büro: Sie und ihre Kollegen der Caritas beraten die Bewohner in ihren Asylverfahren und bei psychosozialen Problemen. "Das hat man hier häufiger." Oft hat sie jemanden im Büro sitzen, der auf Nachfrage einräumt, er sei bei seiner Rückkehr in Gefahr. "Man kann das nicht pauschal über den Kosovo sagen, aber es gibt immer wieder Menschen, die von Blutrache, Familienfehden oder sexueller Gewalt und Ausbeutung betroffen sind. Und die Leute werden nach ihrer Rückkehr gefunden, denn es ist kein besonders großes Land und es gibt enge gesellschaftliche Netzwerke." Politische Verfolgung ist all das nicht. Auch im Kosovo gibt es eine Polizei, an die man sich wenden könnte – ob diese helfen kann, muss man in einem Land mit wenig ausgeprägten staatlichen Strukturen dann selbst herausfinden. "Den Leuten ist größtenteils klar, dass sie keine Chance auf Asyl haben. Das spricht sich hier auch wahnsinnig schnell herum."

Es ist ein kleines Büro, in dem Mona Meilinger arbeitet. Mit zwei Kollegen teilt sie sich hier anderthalb Stellen. Derzeit ist nicht mal sicher, dass es in einigen Monaten überhaupt noch das Büro gibt. Woran das liegt, ist kaum aus den Leuten herauszubekommen. Ein Kollege sagt immerhin: "Das hier ist geschaffen, die Leute möglichst schnell wieder in ihre Heimat zu bekommen. Und das spiegelt sich in der Unterbringung."

Nur Ana Isofe hat das noch nicht so verstanden. Sie und ihr Mann haben sich einen Anwalt genommen. Er sehe gute Chancen, dass sie bleiben können, sagt sie. "Der Mann hat sich gewundert, dass wir überhaupt hierher geschickt worden sind." Und wenn er unrecht hat? Was ist, wenn der einzige Weg aus dem Balkanzentrum in den Kosovo führt? "Dort können wir nicht bleiben. Das geht einfach nicht. Wir müssen es dann in einem anderen Land probieren." Irgendwo anders, in einem Kontinent voller Zäune.

Ressort: Deutschland

  • Artikel im Layout der gedruckten BZ vom Fr, 08. April 2016: PDF-Version herunterladen

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