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Facebook-Gruppe #ichbinhier will die Diskussionskultur in den sozialen Medien fördern

Gina Kutkat
  • Fr, 16. November 2018
    Freiburg

Hasskommentare und Fake News stehen im sozialen Netzwerk Facebook auf der Tagesordnung. Die Gruppe #ichbinhier setzt sich seit 2016 dafür ein, dass der Umgangston in den Kommentarspalten freundlicher wird.

Die Gruppe #ichbinhier setzt sich  gegen Hass im Netz ein   | Foto: dpa
Die Gruppe #ichbinhier setzt sich gegen Hass im Netz ein Foto: dpa
FREIBURG. Hasskommentare und Fake News stehen im sozialen Netzwerk Facebook auf der Tagesordnung. Die Gruppe #ichbinhier setzt sich seit 2016 dafür ein, dass der Umgangston in den Kommentarspalten freundlicher wird. Der Freiburger Ex-Stadtrat Sebastian Müller hat die Gruppe um Hilfe gebeten, als ihm hasserfüllte Kommentare um die Ohren flogen.

"Sie sind ein Verharmloser!". "Voll verblödeter dummer Idiot". "Ich hoffe, Sie werden mal vergewaltigt und sterben daran." Das sind nur einige von Hunderten Hasskommentaren, die sich unter dem Facebook-Aufruf von Sebastian Müller sammeln. Der Freiburger hatte Ende Oktober auf seiner öffentlichen Seite zu einer Kundgebung auf dem Platz der Alten Synagoge aufgerufen. Sie sollte zeitgleich zu einer Demo stattfinden, zu der die Junge Alternative und die AfD im Zusammenhang mit einer Gruppenvergewaltigung in Freiburg aufgerufen hatten.

"Der Shitstorm brach über mich herein und es war nicht mehr managebar", sagt Sebastian Müller im Rückblick. Im Sekundentakt hagelte es negative Kommentare, darunter viele Beleidigungen und Drohungen. "Ich war überfordert." Er versuchte, das Schlimmste zu löschen, zu melden oder anzuzeigen. Weil er mit dem Ansturm nicht zurechtkam, bat er den Verein #ichbinhier um Hilfe. Seit Dezember 2016 gibt es die deutsche Facebookgruppe, die sich gegen Hass und Fake News im Netz einsetzt. Auf 45 000 Mitglieder ist #ichbinhier angewachsen – sie sind über ganz Deutschland verteilt.

Die Idee: Diskussionen auf großen Facebookseiten von "Bild", "Welt", "Spiegel Online" und anderen beobachten und eingreifen, wenn der Hass Überhand nimmt. Die Mitglieder kommentieren in Kommentarspalten, damit Hetzern nicht das Feld überlassen wird. In Ausnahmefällen kümmert sich die Gruppe auch um Shitstorms auf kleineren Seiten, wenn sie – wie im Fall von Sebastian Müller – von gesteuerten Kampagnen ausgeht.

Mitglieder können ihre Kommentare mit dem Hashtag #ichbinhier kennzeichnen – oder einfach so in eine Diskussion einsteigen. Das hat auch Silke Schumacher getan. Die selbstständige Freiburgerin ist Mitglied bei #ichbinhier. "Ich hatte nach der Landtagswahl 2016 das Gefühl, etwas tun zu müssen. Mich in den politischen Diskurs wieder mehr einzubringen", sagt Schumacher. Wie alle anderen Mitglieder engagiert sich die 52-Jährige ehrenamtlich. Unter Sebastian Müllers Aufruf postet sie viele Kommentare wie "Ich gebe ihnen Recht" oder "Tolle Aktion". "Zu Beginn eines Shitstorms geht es um die Masse", sagt Schumacher.

Auch andere Mitglieder beteiligen sich, nachdem in der #ichbinhier-Gruppe ein Aufruf gestartet wurde. Sie schreiben und liken positive Kommentare, damit der Tenor der Diskussion freundlicher wird. "Es geht darum, den negativen Kommentaren zu widersprechen", sagt Philip Kreißel, der bei #ichbinhier für IT und Datenanalysen zuständig ist. "Sodass klar ist, solch ein Umgang ist in unserer Gesellschaft nicht akzeptiert."

Philip Kreißel hat Sebastian Müller während des Sturms betreut und mit ihm eine Strategie entwickelt. Müller will sich nicht einschüchtern lassen. "Die beste Möglichkeit, die ein Seitenadministrator hat? Eigene Kommentare schreiben", sagt Kreißel. Durch den Facebook-Algorithmus würden diese im Kommentarfeld weiter oben angezeigt. Mit drei Freunden teilt sich Sebastian Müller diese Aufgabe, die über mehrere Tage andauert.

Als sich die Lage beruhigt, beginnt Kreißel mit der Analyse des Shitstorms. "Es waren ziemliche viele rechte Accounts dabei", fasst er seine Auswertung zusammen. 225 davon hat er als Sympathisanten der Identitären Bewegung identifiziert – eine Gruppe, die dem Rechtsextremismus zugeordnet wird.

Viele rechte Accounts als Urheber

"Sie schreiben und liken massenhaft Kommentare, um den politischen Gegner einzuschüchtern", sagt Kreißel. Eine Strategie, die man auch von der Alt-Right-Bewegung aus den USA kennt. "Ein Shitstorm entsteht nicht einfach so – er wird von zentralen Accounts gesteuert."

Sebastian Müller bleibt durch die Hilfe von #ichbinhier standhaft. Zwar können die Hasskommentare durch eine solche Aktion nicht verhindert werden. "Aber wir haben die Diskussion in der Wahrnehmung gedreht", sagt Silke Schumacher. Ihr geht es darum, die Diskussionskultur zu fördern. "Es ist frustrierend, wenn man liest, wie Menschen in den Soziale Medien miteinander reden", sagt Schumacher. Müller hat sich mittlerweile von dem Sturm erholt. "Meine Seite hat jetzt auf jeden Fall mehr Likes als vorher", sagt Müller. Aber das war natürlich nicht das Ziel.

Ressort: Freiburg

  • Artikel im Layout der gedruckten BZ vom Fr, 16. November 2018: PDF-Version herunterladen

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