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AKW

Fessenheim: Gutachten sieht große Sicherheitsmängel

Wulf Rüskamp
  • Mi, 09. Dezember 2015, 00:01 Uhr
    Südwest

Das Akw Fessenheim muss sofort abgeschaltet werden: Diese Forderung vertreten die Grünen in Bund und Land schon lange. Nun liegt ein neues Gutachten auf dem Tisch.

Das AKW Fessenheim – mit einem Protestbanner von Greenpeace Anfang 2014   | Foto: afp
Das AKW Fessenheim – mit einem Protestbanner von Greenpeace Anfang 2014 Foto: afp

Bislang sind sie damit aber nicht durchgedrungen: Fessenheim ist trotz wiederholter Störfälle immer noch am Netz – mindestens bis 2018. Nun soll ein neues Gutachten über unzureichende Sicherheitsvorkehrungen neuen Druck in die Diskussion mit den französischen Nachbarn bringen.

Die Fraktionen der Grünen im Bundes- und im Landtag hatten Manfred Mertins, über Jahrzehnte Mitarbeiter der in Köln ansässigen Gesellschaft für Anlagen und Reaktorsicherheit, mit dem Gutachten zu den Risiken des Fessenheimer Akw beauftragt. Von dessen "gravierenden Schwächen" weiß Sylvia Kotting-Uhl, atompolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag, schon lange, ebenso ihr landespolitischer Kollege Wolfgang Raufelder. Auf die Zusage des französischen Präsidenten François Hollande, der Fessenheim vom Netz nehmen will, gibt sie wenig – erst sollte das schon 2016 geschehen, nun ist von 2018 die Rede. Mit Mertins’ Expertise im Rücken wollen die Grünen erneut eine bundespolitische Offensive starten. Denn den Erkenntnissen des Atomexperten zufolge müsste man Fessenheim "am besten sofort abschalten", so Raufelder.

Mertins, der sich in seiner 64 Seiten starken Analyse der Sicherheitsvorkehrungen in Fessenheim auf vorhandene Informationen stützt, ist überzeugt: Wäre die deutsche Atomaufsicht für die elsässische Anlage zuständig, sie würde Fessenheim stilllegen. Denn zum einen gibt es Defizite in der Sicherheitstechnik gegenüber den in Deutschland geltenden Standards. So sind hierzulande Sicherheitsvorkehrungen zweifach ausgelegt, in Frankreich nur einfach – ist das eine System wegen Instandhaltung außer Betrieb, gibt es keine zusätzliche Sicherung mehr, wenn das Akw weiterläuft.

Mertins listet weitere Details auf wie unzureichende Notkühlsysteme oder die nur relativ kurz leistungsfähige Notstromversorgung über Batterien: All das ist seit längerem bekannt und wurde wiederholt kritisiert. Für Mertins liegt der entscheidende Punkt in der Gesamtschau, also wenn alle Sicherheitsvorkehrungen zusammenwirken müssen, um die nukleare Katastrophe zu verhindern: Es gebe eine systemische Schwäche des Notfallsystems, wenn der Reaktor von außen, durch Erdbeben, Überschwemmungen oder abstürzende Flugzeuge, beschädigt wird und mehrere Teile des Notfallsystems ausfallen.

Mertins hat festgestellt, dass insbesondere seismische Risiken in Fessenheim unterschätzt werden. Manche Bestandteile der Sicherheitsvorkehrungen seien gar nicht auf ein solches Ereignis hin getestet worden. Daher sei es fraglich, ob sie in diesem Ernstfall funktionieren – wie etwa das Kühlsystem oder die Gasturbine, die die dauerhafte Notstromversorgung garantieren soll: Auch sie könnten beschädigt sein.

Damit fehle die Wärmesenke, um eine Kernschmelze aufzuhalten. Daran ändere auch die erst jüngst verstärkte Bodenplatte unter den beiden Reaktoren nichts: Sie erreiche zum einen nicht die international vorgegebene Dicke von sechs Metern, zum andern aber fehlten darin Kühlsysteme, um die Hitze im Katastrophenfall abzuleiten. Gerade nach dem Atomunfall in Fukushima waren deutsche Atomkraftwerke auf die Folgen solcher extremen Naturereignisse hin überprüft worden.

Auch in Frankreich hatte man darauf reagiert. Darum wurde in Fessenheim die Bodenplatte nachträglich in einem aufwendigen Verfahren verstärkt, zudem wurde das Kraftwerk besser vor Hochwasser geschützt. Mertins hat jedoch Zweifel, dass die Deiche des Rheinseitenkanals einem starken Erdbeben standhalten. Ohnehin ist er skeptisch, ob sich das Akw Fessenheim so nachrüsten lässt, dass es wie geplant den gewachsenen Sicherheitsanforderungen entspricht: "Dazu fehlt oft einfach der Platz in den technischen Räumen." Die französische Atomsicherheit setzt auf ein zusätzliches Sicherheitszentrum, das außerhalb der vorhandenen Gebäude angesiedelt sein soll und vom dem aus im Katastrophenfall, selber bestens davor geschützt, die havarierte Anlage gesteuert werden soll.

Mertins hat bei der Arbeit an seinem Gutachten mit französischen Kollegen über die Sicherheit in französischen Atomkraftwerken gesprochen. Aber konkret über Fessenheim mochte keiner reden. Mertins: "Da waren die Türen zu."

Ressort: Südwest

  • Artikel im Layout der gedruckten BZ vom Mi, 09. Dezember 2015: PDF-Version herunterladen

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