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Brückeneinsturz

In Deutschland ist eine Katastrophe wie in Genua kaum denkbar

  • , dpa & AFP

  • Mi, 15. August 2018, 20:30 Uhr
    Deutschland

Kann ein Brückenunglück wie in Genua hierzulande passieren? Nein, sagen die Verantwortlichen und verweisen auf strenge Kontrollen.

Autobahnbrücke bei Genua  | Foto: dpa
Autobahnbrücke bei Genua Foto: dpa
Nach dem Unglück in Genua am Dienstag werden Fragen nach der Sicherheit von Brücken in Deutschland laut. Was wird hierzulande unternommen, um eine vergleichbare Katastrophe zu vermeiden? Die wichtigsten Fragen und Antworten.


Kann sich ein Unglück wie das in Genua auch hierzulande ereignen?
Wohl nicht. Aus der in Bergisch-Gladbach ansässigen Bundesanstalt für Straßenwesen (BAST) heißt es: "Nach unserem Kenntnisstand ist ein solcher Vorfall in Deutschland nicht denkbar. Die Bauwerke in Deutschland werden regelmäßig auf ihre Sicherheit geprüft."

In welchen Abständen werden die Brücken untersucht?
In Deutschland gibt es 39 500 Brücken an Autobahnen und Bundesstraßen, sie haben eine Gesamtlänge von rund 2100 Kilometern. Nach Angaben des Bundesverkehrsministeriums vom Mittwoch machen Ingenieure in einer Art "Brücken-Tüv" jährliche Besichtigungen, alle drei Jahre eine Prüfung und alle sechs Jahre eine Hauptprüfung. Kriterien sind Standsicherheit, Verkehrssicherheit und Dauerhaftigkeit der Bauwerke. Diese Plicht gilt laut Ministerium auch für Autobahnabschnitte, die von privaten Investoren betrieben werden.

Was wird geprüft und wie?
Die deutsche Norm DIN 1076 regelt auf 78 Seiten den Ablauf, die Organisation und die Zyklen einer Brückenprüfung. So ist etwa eine "handnahe Untersuchung" vorgeschrieben: Die Pfeiler aller Brücken werden auf Abplatzungen oder Hohlstellen mit einem Hammer abgeklopft. Geprüft werden weiter die Geländer, die Entwässerung, die Fahrübergänge und die Lager. Nach den Prüfungen werden Zustandsnoten vergeben, diese sollen Aufschluss darüber geben, ob und welche Schritte zum Erhalt einer Brücke eingeleitet werden müssen – oder ob sie abgerissen und neu errichtet werden muss.

Welche Noten erhalten die Brücken in Deutschland?
Nach Angaben der BAST ist der Zustand der Brückenflächen bei mehr als 12 Prozent "sehr gut" oder "gut", bei etwa 75 Prozent "befriedigend" oder "ausreichend". Bei fast 11 Prozent ist der Zustand "nicht ausreichend", bei knapp 2 Prozent gar "ungenügend".

Was bedeuten diese Noten?
Eine Zustandsnote "nicht ausreichend" bedeutet laut BAST nicht zwangsläufig eine Nutzungseinschränkung. Sie sei vielmehr ein Indikator für eine Instandsetzungsmaßnahme in näherer Zukunft. Ein "ungenügend" (Zustandsnote von 3,5 und schlechter) beschreibt demnach zwar einen "ungenügenden Bauwerkszustand". Die Standsicherheit und/oder die Verkehrssicherheit sind dann erheblich beeinträchtigt oder nicht mehr gegeben. Dies heißt aber nicht automatisch, dass die Brücken nicht mehr befahren werden dürfen. Ein "Ungenügend" wird auch verteilt, wenn etwa fehlende Gitterstäbe im Geländer die Verkehrssicherheit einschränken oder Betonabplatzungen, schadhafte Abdichtungen oder Korrosionsschäden die "Dauerhaftigkeit" des Bauwerks beeinträchtigen. Die Standsicherheit ist bei einer solchen Note deshalb nicht automatisch gefährdet.

Müssen in Deutschland Brücken gesperrt werden?
Bei manchen Brücken gibt es aufgrund von Sicherheitsbedenken Tempolimits oder Sperrungen für schwere Lastwagen, heißt es aus dem Verkehrsministerium. An manchen Brücken gilt für Lkw ein Mindestabstand zum vorausfahrenden Fahrzeug. Auch gebe es Sanierungsfälle unter großen Brücken. Prominentes Beispiel ist die 1965 eröffnete Brücke der Autobahn 1 über den Rhein bei Leverkusen. Sie hat Risse in der Stahlkonstruktion und muss neu gebaut werden. Bis 2025 soll es so weit sein. Bis dahin bleibt die zulässige Höchstgeschwindigkeit auf 60 Kilometer pro Stunde begrenzt. Erstmals im November 2012 wurde ein Fahrverbot für Fahrzeuge mit einem zulässigen Gesamtgewicht von über 3,5 Tonnen verhängt.

Was tut die Politik?
Das Bundesverkehrsministerium hat die Investitionen für die Erhaltung der Bundesfernstraßen aufgestockt. Für das Jahr 2018 stehen insgesamt 3,9 Milliarden Euro bereit, die in der Finanzplanung bis 2022 auf rund 4,4 Milliarden Euro im Jahr anwachsen. Davon sollen in diesem Jahr rund 1,4 Milliarden Euro in die Brückenerhaltung fließen, 2020 rund 1,5 Milliarden Euro und 2022 rund 1,6 Milliarden Euro. Im zusätzlichen Sonderprogramm Brückenmodernisierung stehen laut Ministerium bis 2022 rund 4,1 Milliarden Euro für Sanierungen mit Baurecht bereit, die teurer als fünf Millionen Euro werden.

Gibt es regionale Unterschiede?
Nach Angaben der Landesstraßenbaubehörden gibt es beim Zustand der Brücken einen Ost-West-Unterschied. Die meisten Schäden sind im Saarland und in Hamburg bekannt, die wenigsten in Thüringen und Sachsen – ein Ergebnis des Aufbaus Ost.

Was sind Gründe für die Mängel?
Viele Brücken seien 40 bis 60 Jahre alt, sagt Prüfingenieur Tiedemann. Häufig wurden Spannbetonkonstruktionen gebaut. Mit dem Alter verschlechtert sich das Material. Darüber hinaus hat die Belastung von Brücken stark zugenommen: Seit 1980 verfünffachte sich allein die Gütertransportleistung auf der Straße. Mit rund 44 Tonnen sind manche Lkw heute doppelt so schwer wie in den 50er Jahren.

Wie ist die Lage im Südwesten?
Das Stuttgarter Verkehrsministerium teilt mit, dass es in Baden-Württemberg keine mit Genua vergleichbare Brückenkonstruktion gebe. Dort wurde der Fahrbahnträger von nur einem Kabelpaar gehalten. Bei den hierzulande vorhandenen Schrägseilbrücken handelt es sich um sogenannte redundante Vielseilsysteme. Weiter heißt es, von den rund 9200 Brücken auf Autobahnen, Schnell- und Landstraßen seien rund 650 sanierungsbedürftig.

Ressort: Deutschland

  • Artikel im Layout der gedruckten BZ vom Do, 16. August 2018: PDF-Version herunterladen

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