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Durchs türkisch-griechische Niemandsland

Kathrin Müller-Lancé

Von

Do, 26. April 2018

Kino

ROADMOVIE: "Djam" von Tony Gatlif ist ein musikalisches, melancholisches und glänzend gespieltes Mittelmeerdrama.

Ungleiche Freundinnen: Daphné Patakia, Maryne Cayon   | Foto: Filmpresskit
Ungleiche Freundinnen: Daphné Patakia, Maryne Cayon Foto: Filmpresskit
Natürlich wird auch viel Ouzo getrunken. Ein Film, der in Griechenland spielt und auf Tanz und Gesang setzt, klingt erst mal nach Folklore. Doch "Djam" ist kein mediterranes Wohlfühl-Musical, sondern ein aufrichtiges Drama. Es ruft das Schicksal der Mittelmeerländer in Erinnerung, das fast schon wieder in Vergessenheit geraten ist. Die Handlung ist übersichtlich: Eine junge Griechin, Djam, wird von ihrem Onkel in die Türkei geschickt. Dort soll sie ein Bauteil für ein Boot besorgen. Auf dem Rückweg trifft sie die Französin Avril, 19 Jahre alt, von ihrem Freund verlassen und ausgeraubt. Eigentlich war sie in die Türkei gekommen, um an der syrischen Grenze Flüchtlingen zu helfen.

Nun hängt Avril sich an Djam – es folgt ein Road-Trip durchs türkisch-griechische Niemandsland. Und so im Herbst sieht das Mittelmeer ganz anders aus, als man es kennt: Wollmützen auf den Köpfen, Laub unter den Bäumen, Nebel über dem Wasser. Bisweilen kippt das Mediterrane fast in Surreale. Zum Beispiel, als der Taxifahrer der Mädchen einen Mann einsteigen lässt, dessen Sohn sich wegen der Folgen der Finanzkrise im Stehen begraben lassen will. Oder als sich Djam und Avril in einem leeren Hotel (wieder die Finanzkrise) nackt durch die Wäscheleinen mit Bettlaken jagen.

Wer hier wem hilft, lässt sich gar nicht so genau sagen. Die aufmüpfige Djam, die auch mal ohne Höschen die Bootstreppe runtersteigt, leiht Avril ihre Klamotten und lehrt sie ihre Kultur. Avril leistet der Einzelgängerin Gesellschaft und spürt sie auch dann wieder auf, als Djam an einer Tankstelle fast verloren gegangen wäre. Die beiden werden hervorragend gespielt von zwei Newcomerinnen: Djam von der belgisch-griechischen Schauspielerin Daphné Patakia, Avril von der Korsin Maryne Cayon. Eigentliche Hauptdarstellerin des Films ist aber die Musik – und sie hat viele Rollen: als Vermittlerin zwischen den Mädchen und einem Beamten, der ihnen illegal einen Reisepass ausstellen soll. Als Mittel gegen Frust und die Existenzängste eines jungen Griechen. Als Symbol der Heimat, das Djam das Gefühl gibt, bei ihrer Familie zu sein. Der französische Regisseur Tony Gatlif greift auf den griechischen Musikstil Rembetiko zurück – melancholische Alltagsgesänge, die nach Orient klingen und deren Texte auch mal von Haschisch handeln.

Die mediterrane Musik ist letztlich Geschmacksache. Sie aber war es, die den Regisseur überhaupt erst zu seinem Film inspirierte. Gatlif ist selbst am Mittelmeer geboren und wanderte im Laufe der Algerienkrise nach Frankreich aus. Seitdem prägen die Themen Flucht, Vertreibung und Heimat seine Arbeit. Mit dem Drama "Exil" gewann er 2004 den Regiepreis bei den Filmfestspielen von Cannes.

"Wir sind noch da", sagt Djams Onkel am Ende des Films. Und das stimmt in zweierlei Hinsicht: Ja, Griechenland ist auch noch da, die Probleme haben sich nicht in Luft aufgelöst, nur weil der aktuelle Nachrichtenstrom darüber hinwegfließt. Und ja, auch die Griechen sind noch da, sie haben trotz allem überlebt, gekämpft, weitergemacht. Gut, dass Tony Gatlif auf der Kinoleinwand daran erinnert.

"Djam" (Regie: Tony Gatlif) läuft in Freiburg. Ab 6.

Ressort: Kino

  • Veröffentlicht in der gedruckten Ausgabe der BZ vom Do, 26. April 2018:
  • Zeitungsartikel im Zeitungslayout: PDF-Version herunterladen

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