Luder, Popstar – und Feministin?
Sängerin Anitta steht für einen neuen Typus von Frau in Brasilien.
RIO DE JANEIRO. Die brasilianische Sängerin Anitta ist sehr berühmt – und setzt dafür ausgiebig ihren Po ein. Manche sagen, das sei der neue, sexuell befreite Feminismus. Dabei ist an Anitta etwas anderes viel bemerkenswerter. Ein Hausbesuch.
Ihren großen Erfolg hat die 24-Jährige vor allem einer Person zu verdanken: sich selbst. Denn Anitta ist ihre eigene Managerin. Sie entscheidet über ihre Karriere im Alleingang. Um im Rest Amerikas zu reüssieren, lernte sie Englisch und Spanisch. Denn sie glaubt erkannt zu haben, warum brasilianische Popstars international fast nie bekannt werden: "Es liegt an der Sprachbarriere."
Mit ihrem unternehmerischen Selbstvertrauen repräsentiert Anitta in Lateinamerika einen neuen Typus Frau. Gerade erst wurde sie auf eine Vorlesungsreihe nach Harvard eingeladen. Weitere Gäste waren die Generalbundesanwältin und der Präsident der Zentralbank Brasiliens. Als sie dort über das Geheimnis von Erfolg sprach, applaudierten ihr die Zuschauer stehend.
Es mag angesichts dieser Dimensionen verwundern, dass Anitta zum Gespräch in ihr Heim einlädt und nicht in eine Hotelsuite wie bei Popstars ihres Kalibers meist üblich. Als man ihr geräumiges Wohnzimmer betritt, sitzt sie im Schneidersitz auf einem großen Sofa, trägt kurze Jeans, ein Schlabber-T-Shirt und eine blonde Mähne. Sie springt auf, umarmt einen, Küsschen links, Küsschen rechts, fragt: "Tudo bem, querido?" (Alles gut, mein Lieber?). Es ist die in Formeln gegossene brasilianische Herzlichkeit.
Es folgt eine Vorstellungsrunde. Da sind Anittas Ehemann, ihre Mutter, ein Bruder, eine Haushälterin und fünf kleine Kläffer. Alle wohnen hier, und man versteht, warum Anitta zu sich geladen hat. Sie ist trotz Megastar-Status ein Familientier geblieben, hat ihren Clan aus dem armen Arbeiterviertel Honório Gurgel im Norden Rios hierher verfrachtet. Krasser könnte der soziale Kontrast nicht sein.
Luder. Habe ich nicht
das Recht dazu?"
Anitta
Mit der Popo-Debatte kann Anitta nicht wirklich etwas anfangen. "Ich bin verheiratet, da drüben sitzt mein Mann, aber ich spiele einfach gerne das Luder und kreise mit dem Hintern. Habe ich nicht das Recht dazu? Und sollte nicht jede Frau das Recht haben?" Zu Anittas Recht gehört auch, dass sie sich einem Dutzend Schönheitsoperationen unterworfen hat. Nase, Brüste und einiges mehr, sagt sie. Es brachte ihr, der Tochter einer Weißen und eines Schwarzen, den Vorwurf ein, sich den Schönheitsidealen der weißen Oberschicht zu unterwerfen. Darüber lacht sie nur und sagt, dass sie ihre eigenen Schönheitsideale habe. Zumal der Vorwurf mit "Vai Malandra" später ins Gegenteil umschlug. Plötzlich hieß es, sie wolle mit ihren geflochtenen Zöpfen, sich zurück in eine Schwarze verwandeln, weil das gerade in sei. Erneut muss Anitta lachen. "Ich bin doch eine Schwarze", sagt sie. "In den US-Südstaaten hätte ich in den Fünfzigern ganz hinten im Bus sitzen müssen."
Anitta, so viel ist klar, lässt sich nicht festlegen. Ihr Image, ihre Wandelbarkeit, ihr Gespür für Aufreger gehören zu ihrer Vermarktungsstrategie. Das war bei Madonna nicht anders. Der weibliche Pop ist seit ihr immer auch Oper, Verkleidung und Spiel mit der Sexualität. In einem Song, den Anitta mit der Dragqueen Pabllo Vittar aufgenommen hat, heißt es: "Frei, hübsch, leicht und losgelöst."
Es ist Anittas Motto. Sie lebt vor, was für viele Frauen in Brasilien keine Selbstverständlichkeit ist. Als man schon im Flur steht, telefoniert sie um einen Auftritt noch am gleichen Abend in der brasilianischen Big Brother-Show abzusprechen. "So, Leute", ruft sie. "Eine macht hier die Ansagen, und das bin ich."
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