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Cop, Kokser, Krimineller

  • Fr, 21. Juli 2017
    Ausland

Michael Dowd war der korrupteste Polizist in New York / Er saß mehrere Jahre in Haft, wurde zur Hauptfigur einer Fernsehdoku – und schielt jetzt nach Hollywood.

Dowds Revier: Brooklyn mit seiner Skyline  | Foto: jovannig
Dowds Revier: Brooklyn mit seiner Skyline Foto: jovannig 
Den Streifenblick hat er nie abgelegt. Wenn Michael Dowd mit seinem weißen Hyundai Santa Fe durch den 75. Polizeibezirk von New York fährt, scannt er immer noch die Bürgersteige, so wie früher: rechts, links, rechts. "Looking for perps", nennt Dowd das, nach Verdächtigen schauen. Dabei liegt sein letzter Einsatz 25 Jahre zurück, ein Arbeitstag im Mai 1992, der mit seiner eigenen Verhaftung endete. "Ich war nicht nur bad cop, ich war auch good cop", sagt Dowd.

Es ist das einzige Mal an diesem Tag, dass der Mann hinter dem Lenkrad untertreibt. Michael Dowd war der böse Bulle schlechthin. Als "dreckigster Polizist von New York" und "American Gangster" ist er in die Geschichte New Yorks eingegangen. Damals trug Dowd noch Schnauzer, Fremde wagten sich selten in seinen Bezirk. In den Straßen von Brooklyn häufte Dowd als Drogenhändler in Uniform Macht und ein kleines Vermögen an – bis alles aufflog und Dowd in einem spektakulären Prozess zu 14 Jahren Gefängnis verurteilt wurde.

"Hey, wie geht’s?", ruft der Ex-Polizist einer Frau durch das geöffnete Fenster entgegen, als er in seinem SUV durch seinen einstigen Bezirk rollt. Dowd trägt ein blaues, enges T-Shirt, die Arme braungebrannt, am Handgelenk eine golden-schwarz-blaue Uhr. Er flucht gerne, immer zwei Level zu laut, jedes vierte Wort ist "fuck". Dowd, 56 Jahre alt, ist wieder mal am Boden. Er hat keinen Job, ist bei seinen Eltern eingezogen und muss sich jetzt auch noch mit der Justiz rumschlagen. Aber wenn sich jemand für seine Vergangenheit interessiert, Benzin- und Burgerrechnung übernimmt, ist der Ex-Cop dabei. Vermisst er es, Staatsgewalt zu sein? "Oh ja, ich hab es geliebt. Ich hab die Straße geliebt, den ganzen Scheiß."

Im Viertel East New York, ganz im Osten Brooklyns, lebt mehr als die Hälfte der überwiegend afroamerikanischen und hispanischen Bevölkerung unter der Armutsgrenze, es gibt überdurchschnittlich viele Morde und Drogentote. An den Schulen müssen die Kinder Metalldetektoren passieren. Manhattan fühlt sich weit weg an, auch wenn es nur 30 Minuten Subwayfahrt entfernt liegt.

Mit einem Hummer-Essen

fing alles an

An dem Tag, als alles beginnt, erwischt Dowd, gerade zwei Jahre im Dienst, einen 18-jährigen Autofahrer ohne Papiere und Kennzeichen. Er stellt ihn vor die Wahl: "Du kannst mir ein Hummer-Essen spendieren, oder ich schreib dir jede Menge Tickets." Der junge Mann steckt Dowd 200 Dollar zu und darf weiterfahren. Der Cop hat nun Geld für zehn Hummer zum Lunch. Und ist auf den Geschmack gekommen.

Am Anfang sind es nur kleine Schmiergelder, die der junge Beamte kassiert, bald räumt er Wohnungen aus, in denen er eigentlich Spuren sichern soll. Später verkauft er Drogen, manchmal 35 Kilogramm Kokain pro Woche, und schützt die berüchtigten Mafiosi der Stadt. Morgens zieht Dowd im Keller der Polizeiwache an der Sutter Avenue Kokain-Linien in die Nase, mittags verteilt er Bußgelder und abends transportiert er Pakete mit weißem Pulver von A nach B.

Ob er jemals ein schlechtes Gewissen hatte? "Das waren die 80er, kommt drüber hinweg, ich habe dafür bezahlt", sagt Dowd, und korrupt seien damals die meisten Beamten gewesen, nicht nur er.

Dowd ist tief gefallen, Macht, Geld, Frauen, nichts davon ist ihm geblieben – außer der Marke "Gangster Cop". Als im Jahr 2014 die Dokumentation "The Seven Five" erscheint, die den Skandal des 75. Polizeibezirkes anhand von Archivmaterial und Interviews mit ihm und seinen Ex-Kollegen rekonstruiert, steht Dowd für einige Monate wieder im Mittelpunkt. Fernsehauftritte, roter Teppich, das gefällt ihm, auch wenn er für den Film keine Gage bekommen hat. Jetzt hofft er, dass Sony aus seinem Leben einen Kinofilm macht. Die Rechte sind seit Jahren gesichert, Mark Wahlberg soll die Hauptrolle übernehmen. Hollywood, der Gedanke gefällt ihm.

Dowd setzt den Blinker. "Hier musste ich eine halbe Stunde Patrouille fahren, damit mein Kollege Chicky das Geld aus der Wohnung holen konnte", sagt Dowd und zeigt auf ein altes Backsteinhaus mit der Nummer 548. Ein paar Blocks weiter geht er vom Gas, als er an einem unscheinbaren Flachbau an der Atlantic Avenue entlangfährt. "Das Elektrogeschäft ‘Auto Sound City’ gehörte Baron Perez, von hier hat er seine Drogengeschäfte organisiert", sagt Dowd. Vorne wurden CD-Player verkauft, im Hinterzimmer "die Kilos gestapelt". Szenen wie aus einem Filmskript. Dowd klingt stolz.

Seine Familie kommt aus Brooklyn, der Vater Feuerwehrmann, die Mutter Hausfrau, er das dritte von sieben Kindern. Nach der Schule bewirbt sich Dowd bei der Feuerwehr und der Polizei. "Ich wollte meine Freundin heiraten und deshalb einen sicheren Job", sagt Dowd. Die Zusage von der Polizei kommt zuerst. Dowd ist 20, als er 1982 als Rookie beim New York Police Department beginnt. Rund 23 000 US-Dollar habe er verdient – für einen Job, in dem man "ständig angeschrien und angespuckt" werde, "ein Roboterjob, der von Menschen verlangt wird".

Mitte der 80er erreicht die Crack-Epidemie in Brooklyn ihren Höhepunkt, Polizei und Abhängige bekriegen sich, "ein Blutbad" laut Dowd. Er fühlt sich nicht geschätzt, ist sauer, "dass die Punks da draußen mehr Geld hatten als ich", er verspürt Neid. Warum erzählt er das? Will er Absolution? "Du bist kein Cop, du verstehst das nicht", antwortet Dowd genervt. Wenn er böse ist, zieht er die Oberlippe über die Zähne.

Schmiergeld, Diebstahl – was als Ausnahme beginnt, wird bald zur Methode. Das Leben des Polizisten entwickelt sich zu einem Rausch: Die Macht wird zur Sucht. Das Geld wird zur Sucht. Und auch das Koks wird zur Sucht. "Du bist in der Mitte eines Sturms und machst einfach weiter", sagt Dowd. Sein Ruf spricht sich im Polizeibezirk herum, weshalb Dowds Kollege Ken "Kenny" Eurell zunächst nichts davon hält, als er mit ihm auf Streife soll. Doch die beiden jungen Männer freunden sich an, werden 1987 ein festes Team, Cops und Gangster – auch wenn Eurell, im Gegensatz zu Dowd, Skrupel verspürt. In der Dokumentation "The Seven Five" erinnert sich Eurell, wie er damals dachte: "Vor zwei Monaten war ich ein normaler Cop. Jetzt bin ich ein Krimineller."

Dowd dagegen entwickelte ein System ohne Bedenken, ohne Hemmungen, getragen von Hybris. Die Gefahr, aufzufliegen, sei überschaubar. "Polizisten verraten einander nicht", sagt er. "Denn alle wissen, dass Ratten ganz unten in der Hierarchie stehen." Und falls einer Mist baut? "Immer die Aussage des Kollegen bestätigen." Ganz einfach.

Dowds Fall ist einzigartig, seine Skrupellosigkeit spektakulär. Die Macht der Polizei sei aber ein grundsätzliches Problem, das sagt er selbst. "Wenn wir jemanden verhaften wollten, haben wir schon einen Grund gefunden."

Im Auto konzentriert sich Dowd mehr auf das Leben am Seitenrand als auf den Verkehr. Einmal muss er das Lenkrad rumreißen, um nicht in eine Mittelinsel zu knallen. Linker Arm aus dem Fenster, Van Siclen Avenue, Warwick Street, an Zweigeschossern vorbei, die Straßen sind an diesem Donnerstagnachmittag recht leer. "Kenny und ich haben dann irgendwann die Drogenbosse der Stadt kennengelernt", erzählt Dowd. Chelo, den Kopf der "Compania", Baron Perez von "Auto City Sound". Und Adam Diaz, einen dominikanischen Gangleader, der mit seiner "The Diaz Organization" über verschiedene Bodegas, kleine Supermärkte, den Kokainverkauf steuert. Ende der 80er kostet ein Kilogramm davon 34 000 Dollar; Diaz verkauft rund 300 Kilo pro Woche. Dowd verrät Diaz geplante Razzien und kassiert dafür.

Als mehrere Beamte des benachbarten 77. Polizeibezirks im Jahr 1986 wegen Korruption auffliegen, quittieren auch einige von Dowds Mittätern im 75. Abschnitt den Dienst. Dowd macht weiter, "weil die Polizei bestimmt nicht noch einen Skandal wollte", wie er sagt. Der Cop kauft sich eine Wohnung auf Long Island, später eine rote Corvette, die er trotz Warnungen seiner Frau auch vor der Wache parkt. Dass ein solches Auto nicht zum Polizistengehalt passt, verdrängt er.

Lässig kurbelt Dowd seinen SUV in eine Parklücke. Aber als er sich dann zum ersten Mal nach 25 Jahren seinem alten Dienstgebäude an der Sutter Avenue nähert, wird der Macho plötzlich kleinlaut. "Wollen wir da wirklich rein?", fragt Dowd, bremst seine Schritte, bleibt am Garten vor dem Gebäude stehen. Den gab es seinerzeit noch nicht. "What the fuck? Das ist ja süß...", spottet er, aber es wirkt, als wolle er von seiner Unsicherheit ablenken. Dann traut er sich. In der Tür nicken ihm zwei Polizisten zu, als würden sie ihn wiedererkennen, vielleicht aus der Doku. Dowd schleicht durch den Eingangsbereich, nach zwei, drei Minuten steht er wieder in der Tür. Lieber zurück zum Auto.

Mittagspause im Lindenwood Diner. "Hey Mike", sagt der Kellner, Dowd grinst. Er hat sich wieder gefangen. Während er seinen Burger Deluxe mit Pilzen verschlingt, spricht er über seine Pläne, erzählt von Reden, die er an Universitäten gehalten habe, berichtet, wie er das New York Police Departement (NYPD) zum Thema Korruption beriet. Auf seiner Website präsentiert sich Dowd in rosafarbenem Ralph-Lauren-Hemd oder mit Zigarre im Mund. Seine Autobiografie soll irgendwann erscheinen, er will eine Zigarrenfirma gründen, eine Polizeiradioshow...

Wenig Konkretes, viel soll und kann und will. "Ich bin eine Marke, das sollte Geld bringen", sagt er. Für ihn sei es nur logisch, dass die Produzenten John Lesher und Megan Ellison an einem Spielfilm über sein Leben arbeiten. Dowd brüllt jetzt fast: "Der Film ‘Good Fellas’ ist nichts gegen mich!" Alle sollen wissen, wie wild sein Leben war.

Einen "Ganoven, der zufällig in Polizeiuniform gelandet ist", nennt ihn Mike Troster, einer der führenden Ermittler der US-Drogenvollzugsbehörde. Vor ihrer Verhaftung tragen Dowd und Eurell das erbeutete Bargeld nach Atlantic City, ins Kasinodorf von New Jersey, wechseln es in Spielchips und dann zurück in saubere Scheine. Sie mieten Limousinen, zuweilen dürfen die Frauen mit. "Ich habe mich in dieser Zeit wie Gott gefühlt", sagt Dowd, "es war fast wie eine außerkörperliche Erfahrung." Manchmal vergisst er, die Gehaltschecks des NYPD einzulösen.

Anfang der 90er häufen sich die Beschwerden über Dowd. Die Polizei hört Telefonate ab. Im Juli 1991 werden Dowd und Eurell festgenommen, kommen aber gegen Kaution frei. Der Plan, den sie daraufhin schmieden, offenbart ihre ganze Manie. Sie wollen die Frau eines kolumbianischen Drogenbarons kidnappen, Geld erpressen und dann nach Nicaragua flüchten. Am Ende verrät Eurell das Vorhaben, um seine eigene Haut zu retten.

Das Gerichtsverfahren wird zum Spektakel. Wie viele Straftaten er in seiner Dienstzeit begangen habe, fragt der Richter. Dowd, zu diesem Zeitpunkt 33 Jahre alt, seufzt, blickt zur Seite, spielt mit der Zunge. "Hunderte." Ob er sich als Drogendealer oder als Polizist betrachte? Im Saal sitzt auch sein weinender Vater Jack, die Kameras laufen. Dowd schweigt lange, dann neigt er sich zu seinem Anwalt und murmelt schließlich: "Beides."

Dowd wird zu 14 Jahren Gefängnis verurteilt, Kollege Kenny bleibt nach seinem Deal mit den Ermittlern verschont. "In gewisser Weise war es auch befreiend. Ich konnte endlich mal die Wahrheit sagen", sagt Dowd heute. Er verbringt zwölfeinhalb Jahre in verschiedenen Gefängnissen. Treibt Sport, liest, ist Einzelgänger. Seine Frau lässt sich scheiden, zu ihr und seinen beiden Söhnen hat er heute sporadischen Kontakt.

Dowd gefällt sich
in der Opferrolle

Auf seiner Website schreibt Dowd, dass er auf dem "Weg zur Erlösung" sei, und es scheint, als müsste er vor allem sich selbst davon überzeugen. Im vergangenen Jahr lernte Dowd eine Frau über Twitter kennen, "es wurde schnell heiß und feucht", wie er in seiner Dowd-Sprache sagt. Am 30. Dezember 2016 wurde die Polizei nach Long Island gerufen, es heißt, er habe sie gewürgt. Dowd verbrachte eine Woche im Gefängnis. Im April und Mai soll er das gerichtliche Kontaktverbot gebrochen haben, noch im Juli kommt er deshalb vor Gericht. "Ich werde nicht fair behandelt, aufgrund meiner Vergangenheit." Er gefällt sich in der Rolle des Opfers.

Eine Station auf dieser Fahrt ist ihm besonders wichtig: Der Supermarkt, der damals Adam Diaz gehörte und als zentraler Drogenumschlagsort fungierte. Dowd parkt sein Auto, geht zum Kofferraum und steht plötzlich mit freiem Oberkörper auf dem Bürgersteig. Er kramt ein T-Shirt mit der Aufschrift "The Seven Five" hervor und zieht es über. Michael Dowd sieht jetzt aus wie sein eigenes Maskottchen.

Vor dem Supermarkt hat ein Mann einen Trödelstand aufgebaut. "Na, kennst du das?", fragt Dowd und stretcht sein Shirt. Der Mann schüttelt den Kopf. "The Seven Five!", ruft Dowd. Der Mann schüttelt wieder den Kopf. "Dadurch ist dieser Laden berühmt geworden!" Jetzt schütteln beide den Kopf. Auf dem Weg zurück zum Auto sagt Dowd: "Der kennt mich, der gibt’s nur nicht zu."

Ressort: Ausland

  • Artikel im Layout der gedruckten BZ vom Fr, 21. Juli 2017: PDF-Version herunterladen

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