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"Ich beobachte ein abnehmendes Verständnis"

Frauke Wolter
  • Di, 08. Mai 2018
    Ausland

BZ-INTERVIEW mit Dominik Bartsch, Repräsentant des UNHCR in Deutschland, über den Umgang mit Flüchtlingen.

Dominik Bartsch   | Foto: UNHCR
Dominik Bartsch Foto: UNHCR

Auch Deutschland gehört zu den Aufnahmeländern. Über den Umgang mit Flüchtlingen hierzulande sprach Frauke Wolter mit Dominik Bartsch, Repräsentant des UN-Flüchtlingshilfswerks.

BZ: Herr Bartsch, Deutschland ist einer der größten Geber der UN-Flüchtlingshilfe. Sind Sie auch zufrieden mit der deutschen Flüchtlingspolitik?
Dominik Bartsch: Deutschland ist tatsächlich ein Wandler zwischen den Welten. Auf der einen Seite ein großzügiger Geber, auf der anderen hat es selbst Erfahrungen mit Flüchtlingen. Letzteres stärkt seine Gesprächsposition mit Aufnahmeländern aus dem globalen Süden. Gleichzeitig gibt es hierzulande aber einen zunehmenden Trend zur Abschreckung.
BZ: Woran machen Sie diesen fest?
Bartsch: Nehmen Sie die geplanten Ankerzentren, in denen Asylbewerber bis zum Abschluss ihres Verfahrens bleiben sollen, abgeschottet von der Außenwelt. Hier sind alle Kapazitäten gebündelt, was erst mal positiv zu bewerten ist, denn die Verfahren können somit effizienter durchgeführt werden. Auf der anderen Seite sind wir sehr besorgt, dass in solchen Zentren viele Menschen ganz unterschiedlicher Herkunft und Bleibeperspektive zusammen warten müssen. Das führt zwangsläufig zu Frust und Konflikten, wie auch vor Kurzem in Ellwangen. Wir haben zudem die Befürchtung, dass in solchen Zentren für die Asylbewerber eine unabhängige Rechtsberatung nicht garantiert ist.
BZ: Zeigt diese Art der Abschreckung denn Wirkung?
Bartsch: Noch ist das Anker-Modell in der Konzeptionsphase. Bei der erschwerten Familienzusammenführung bestimmt. So gibt es syrische Flüchtlinge, die einen subsidiären Schutzstatus haben und schon mehr als zwei Jahre hier sind. Man hat sie darüber informiert, dass der Familiennachzug ab dem Stichtag März 2018 stattfinden kann, nun bleibt er weiter ausgesetzt. Einige von ihnen machen sich jetzt auf den gefährlichen Weg zurück in die Türkei, weil ihre Ehefrauen nicht nachkommen dürfen. Teilweise nutzen sie sogar die gleichen Schlepper, mit denen sie nach Deutschland gekommen sind. Das ist doch paradox – und auch ein Armutszeugnis für die Politik, wenn der Familie so ein geringer Wert beigemessen wird.
BZ: Wie viele Fälle gibt es?
Bartsch: Quantifizieren kann ich das nicht. Aber ich gehe davon aus, dass viele Flüchtlinge freiwillig zurückkehren oder in Drittländer gehen, ohne sich hier abzumelden. Die Schutzquote beträgt in Deutschland um die 50 Prozent. Das heißt, dass von den 1,2 Millionen Menschen, die in den Jahren 2015/2016 hierher kamen, 600 000 bereits einen negativen Asylbescheid haben. Nicht alle gehen sofort, einige haben gegen den Bescheid geklagt, andere sind geduldet.
BZ: Gerade Letzteres wird in Deutschland misstrauisch beobachtet...
Bartsch: Da muss man wirklich jeden Einzelfall betrachten, wir warnen vor der Pauschalisierung, auch bei der Diskussion um die Abschiebung. Flüchtlinge sind ein zentrales Thema, das polarisiert. Ich beobachte derzeit ein abnehmendes Verständnis für sie, die Bereitschaft zur Empathie sinkt. Zwar gibt es noch viele Engagierte, aber das Schutzumfeld wird schwieriger.
BZ: Was raten Sie?
Bartsch: Europa muss neue Lösungen für sein Asylsystem finden. Die Solidarität muss neu ausgelotet werden. Ich habe die Sorge, dass Flüchtenden der Zugang zu Verfahren verwehrt wird, nur weil sie aus einem Drittland kommen. Dabei muss am Anfang die Frage stehen: Was ist los, was sind die Gründe für deine Flucht? Und nicht: Jetzt prüfen wir erst einmal die Zuständigkeiten.

Dominik Bartsch (51) arbeitet seit 1990 für die UNO. Seit Februar dieses Jahres ist er Repräsentant des UNHCR in Deutschland.

Ressort: Ausland

  • Artikel im Layout der gedruckten BZ vom Di, 08. Mai 2018: PDF-Version herunterladen

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