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Nachhaltigkeit

Javier Goyeneche macht mit dem Label Ecoalf Mode aus Abfall

Martin Dahms
  • Di, 03. Januar 2017, 15:02 Uhr
    Ausland

Kleidung aus Abfall – klingt nicht schön, ist im besten Fall aber die Zukunft der Modeindustrie. Javier Goyeneche hat in Madrid das Unternehmen Ecoalf gegründet, um nachhaltig zu produzieren.

Javier Goyeneche vor seiner Boutique in Madrid  | Foto: Martin Dahms
Javier Goyeneche vor seiner Boutique in Madrid Foto: Martin Dahms
Wenn Javier Goyenche über sich spricht, über seine Arbeit und damit Vision, die er damit verbindet, dann erinnert er gerne en Steve Jobs. Auch an den echten Apple-Gründer, er ruft sich dann eine Filmszene vor sein inneres Auge. In Danny Boyles Streifen "Steve Jobs" gibt es einen wunderbaren Dialog. Darin sagt Apple-Mitbegründer Steve Wozniak zu Jobs: "Was tust du? Du bist kein Ingenieur, du bist kein Designer, du kannst mit einem Hammer keinen Nagel treffen. Wie kommt es dann, dass ich zehn Mal am Tag lese: Steve Jobs ist ein Genie? Was tust du?" Worauf Jobs antwortet: "Musiker spielen ihre Instrumente. Ich spiele das Orchester." Der echte Steve Wozniak berichtet, diesen Dialog habe es so nie gegeben. Aber: "Die Idee dahinter stimmt."

Sein Motor ist diese eine Idee: Er will nachhaltige Mode machen

Javier Goyeneche wartet, bis die kurze Geschichte, die er eben erzählt hat, bei seinem Gegenüber angekommen ist. Dann sagt er: "Wenn du mich fragst, ich mache nichts. Ich überzeuge die anderen." Und er lacht. Goyeneche ist 45 Jahre alt, ein charmanter Geschäftsmann, gutaussehend, ernsthaft, begeistert – und begeisternd.

Sein Motor ist diese eine Idee: Er will nachhaltige Mode machen, Mode, die die Welt nicht kaputter hinterlässt, als sie schon ist. Das Orchester, das er dafür spielt, ist noch nicht mal sein eigenes. Er reist durch die Welt und überzeugt die anderen, das zu tun, was er von ihnen will.

Im Jahr 2010 hat Goyeneche in Madrid sein Unternehmen Ecoalf gegründet – "alf" ist eine Liebeserklärung an seinen kurz zuvor geborenen Sohn Alfredo. Als er sich damals am Markt umschaute, stellte er fest: "Es gibt keine guten Recyclingstoffe. Die, die es gibt, sind von minderer Qualität. Aber ich will ein Recylcingprodukt, dem man nicht anmerkt, dass es ein Recylingprodukt ist."

Wer seinen Laden betritt, kommt in eine ganz normale Boutique

Er hat seinen Willen bekommen. Wer seinen Laden in der Madrider Calle Hortaleza betritt, kommt in eine ganz normale Boutique. Goyeneche macht Mode für alle. An den Kleiderbügeln seiner Boutique hängen keine lustfeindlichen Nischenprodukte, nichts, was nur kauft, wer sein Geld mit gutem Gewissen ausgeben will. Er findet: "Wenn ich dir einen Badeanzug mache, den zu tragen ein Horror ist, wirst du dir einen anderen Badeanzug kaufen, so sehr dir meine Geschichte gefällt."

Offenbar gefällt Goyeneches Kunden beides, seine Geschichte und seine Produkte. Die Verkäufe von Ecoalf wachsen von Jahr zu Jahr, für 2016 rechnet er mit sechs Millionen Euro Umsatz. Er exportiert in sieben Länder, darunter Deutschland und die Schweiz. Er hat einen finanzstarken Partner gefunden, den Chef der spanischen Großbank BBVA, Francisco González, der mit 30 Prozent am Unternehmen beteiligt ist. Und wenn alles läuft wie erwartet, wird er im kommenden Jahr zum ersten Mal Gewinn machen. Aber das soll erst der Anfang sein. "Wenn du es gut machst", sagt er, "kannst du so groß werden wie jedes andere Modeunternehmen."

Vorerst ist Ecoalf kein Modeunternehmen wie jedes andere. Ja, auch die Konkurrenz beginne, Recyclingmaterialien einzusetzen. Patagonia, Nike und H&M fallen Goyeneche ein – "aber nur zu einem kleinen Prozentsatz". Bei Ecoalf ist jede Faser aus Abfall gemacht. Nur für Knöpfe und Reißverschlüsse hat das Unternehmen noch keine Recyclingquellen gefunden.

Für seine Flipflops schon. Um die zu machen, hat Goyeneche den spanischen Autoreifenrecycler Signus und das Centro Tecnológico del Calzado de La Rioja eingespannt. 19 Monate lang haben sie getüftelt, um herauszufinden, welcher Reifen sich dazu eignet, erst zu Staub zu werden, um dann ohne Klebstoff oder Gerinnungsmittel als Badelatsche wieder aufzuerstehen. "Es klingt nach einer Kleinigkeit, aber das war ein sehr schönes gemeinsames Forschungs- und Entwicklungsprojekt", erzählt der Ecoalf-Gründer mit Begeisterung in der Stimme.

Ecoalf ist eine Modemarke, aber mehr noch ein Ideengeber

Goyeneche lässt andere für sich arbeiten. Er ist der Orchesterleiter. Anders ginge es gar nicht. Sein Unternehmen hat gerade einmal 21 Beschäftigte, zwei davon in der Forschung und Entwicklung. Ecoalf ist eine Modemarke, aber mehr noch ein Ideengeber. Seine jüngste Idee hat Goyeneche "Upcycling the Oceans" getauft: "In Korea hatten wir begonnen, alte Fischernetze aus Nylon wiederzuverwerten, und wir wollten das auch in Spanien tun. Bis mir die spanischen Fischer sagten: Du solltest den Müll sehen, den wir jeden Tag aus den Netzen holen! Und da entstand die Idee: Warum holen wir nicht den Müll aus dem Meer?"

Meeresmüll als Grundstoff für Ecoalf-Mode. Aus der Idee ist Wirklichkeit geworden, mit Hilfe "wunderbarer Menschen", die sich von Goyeneches Begeisterung anstecken ließen. "Alles im Leben hängt davon ab, auf wen du triffst", sagt er. Die ersten, die sich begeistern ließen, waren die Fischer in der Region rund um Valencia. 165 Boote laden nun täglich den Müll ab, den sie unfreiwillig als Beifang mit an Land bringen; der Müll wird nach Sorten getrennt, Ecoalf behält die PET-Flaschen für sich. Um aus denen Kunstfasern zu machen, die zu Kleiderstoffen verwebt werden können, braucht es etliche Fabrikationsschritte, und für jeden dieser Schritte hat Goyeneche Unternehmen in Spanien gefunden, die seine Anfrage nicht als Belästigung, sondern als Herausforderung begriffen. Den Faden macht ihm ein Unternehmen im katalanischen Anglès; Textil Santanderina im nordspanischen Kantabrien verarbeitet den Faden zu Stoffen.

"Javier, du bist mein Albtraum", habe ihm der Chef des Unternehmens gesagt, "jedes Mal, wenn du kommst, blockierst du meine Forschungs- und Entwicklungsabteilung. Den ganzen verdammten Tag mit deinem Meeresfaden!" Als die Produktion endlich in Gang kam, sagte er: "Weißt du was? Das ist die Zukunft."

Juan Parés, der Chef von Textil Santanderina, bestätigt die Erzählung Goyeneches. PET-Flaschen aus dem Meer erst zu einem Faden und dann zu einem angenehm tragbaren Stoff zu verarbeiten, sei längst nicht so leicht wie das PET-Recyling "vom Land". "Es hätte auch nicht funktionieren können", sagt Parés. Aber es hat funktioniert. Der fertige "Meeresfaden" enthält mindestens zehn Prozent Rohstoff aus dem von Fischern eingesammelten Müll. Mehr geht im Moment noch nicht, in Zukunft hoffentlich schon. Der Rest ist anderes Recyclingmaterial.

Der gemeinsam von Ecoalf, Antex und Textil Santanderina erdachte Stoff wird im Februar erstmals auf der Weltmesse für Bekleidungsstoffe Première Vision in Paris vorgestellt. "Ich glaube ganz stark an die Kooperation von Unternehmen, um erfolgreiche Projekte zu entwickeln", sagt Parés. Und er sagt: "Ohne Javier gäbe es dieses Projekt nicht."

Noch muss man nicht zehn Mal am Tag lesen, dass Goyeneche ein Genie sei. Aber er hat ja auch gerade erst angefangen.

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Ressort: Ausland

Dossier: BZ-Langstrecke

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