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Kein Anlass zur Entwarnung

Franz Schmider
  • Fr, 10. Juni 2016
    Deutschland

Der Drogen- und Suchtbericht der Bundesregierung stellt die Volksdrogen Alkohol und Tabak in den Mittelpunkt der Analyse.

Wer zu viel Alkohol trinkt, gefährdet ...Bilanz des Drogenberichts aus Berlin.   | Foto: DPA
Wer zu viel Alkohol trinkt, gefährdet seine Gesundheit. Das ist (erneut) eine Bilanz des Drogenberichts aus Berlin. Foto: DPA
Alkoholkonsum ist und bleibt eines der größten Gesundheitsrisiken in Deutschland. Das stellt der Drogen- und Suchtbericht der Bundesregierung fest, den die CSU-Politikerin Marlene Mortler als zuständige Beauftragte der Bundesregierung am Donnerstag in Berlin vorlegte. Nur das Rauchen und der Bluthochdruck führen noch häufiger zu vorzeitigem Sterben. Konkret: Im Jahr 2013 lag "das durchschnittliche Sterbealter bei alkoholbedingten Krankheiten mit rund 61 Jahren knapp 17 Jahre unterhalb des durchschnittlichen Sterbealters", heißt es in dem Bericht.

Dabei ist die Entwicklung widersprüchlich. Zum einen hat die Zahl der Personen, die wegen alkoholbedingter Erkrankungen stationär behandelt werden musste, seit dem Jahr 2000 um 21,5 Prozent zugenommen. Bei Männern waren gar psychische Erkrankungen aufgrund eines übermäßigen Alkoholkonsums der häufigste Grund für einen Krankenhausaufenthalt. Alkoholbedingte Ausfälle, so der alarmierende Befund weiter, verursachen demnach 2,4 Millionen Fehltage bei der Arbeit.

Zugleich aber gilt auch: Der durchschnittliche Konsum an reinem Alkohol pro Jahr geht seit 1980, dem Jahr mit dem Höchststand, langsam aber konstant zurück, von 12,9 Litern auf zuletzt 9,7 Liter. Das könnte bedeuten, dass viele der heute festgestellten Erkrankungen auf einen früheren starken Alkoholkonsum zurückzuführen sind und der Rückgang beim Konsum sich später bemerkbar macht.

Die Zahl der jungen
Komatrinker geht zurück

Zumal auch die Zahl der Jugendlichen abnimmt, die als Komatrinker auffallen und mit einer Alkoholvergiftung ins Krankenhaus eingeliefert werden (2014: 15 600; 2012: 18 800). Ohnehin hat sich die Zahl der 12- bis 17-Jährigen, die regelmäßig alkoholhaltige Getränke zu sich nehmen, in den vergangenen zehn Jahren halbiert. Mortler sieht darin positive Anzeichen. Zugleich bereitet ihr der sorglose Umgang mit Alkohol in der Schwangerschaft Sorge. Immerhin gäbe es in Deutschland 1,5 Millionen Menschen, die an einer "fetalen Alkoholspektrumstörung" (FASD) leiden, also Störungen der Gehirnentwicklung, verursacht durch den Alkoholkonsum der werdenden Mutter. Das können Veränderungen im Stress- und Belohnungssystem sein, psychische Störungen oder auch eine Neigung zu Erregungszuständen.

Sterben in Deutschland zwischen 42 000 und 74 000 Menschen infolge des Alkoholkonsums, so sind nach einer Analyse des Robert-Koch-Instituts beim Rauchen zwischen 100 000 und 120 000. Der Drogenbericht listet volkswirtschaftliche Kosten in Höhe von 33,6 Milliarden Euro auf. Aber auch hier gilt: Das Rauchen kommt aus der Mode. Noch rauchen 26,9 Prozent der Frauen und 32,6 Prozent der Männer, aber bei den 12- bis 17-Jährigen ist der Anteil bei beiden Geschlechtern seit 2001 von 28 Prozent auf 7,8 Prozent zurückgegangen. Auch in der Gruppe der bis 25-Jährigen macht sich dieser Trend bereits bemerkbar. Auffallend, dass die Raucherquoten in Baden-Württemberg (Männer: 26,9 Prozent; Frauen: 18,8 Prozent) deutlich unter denen in den neuen Bundesländern und Berlin (35,1 und 24,1 Prozent) liegt.

Bei der Vorstellung des Berichts kritisierte Mortler den Werbeaufwand, den die Tabakindustrie betreibe. Zuletzt hätten die Konzerne 200 Millionen Euro aufgewandt, um neue Kunden zu gewinnen, erklärte die CSU-Politikerin. "Das übersteigt unsere Präventionsmittel." Mortler bekräftigte ihre Forderung nach einem Außenwerbeverbot für Tabakprodukte sowie bei Kinofilmen, zu denen Kinder und Jugendliche zugelassen seien. "Wir müssen verhindern, dass Jugendliche überhaupt zur Zigarette greifen", sagte Mortler. Die Bundesregierung hatte im April ein Gesetz auf den Weg gebracht, das Tabakwerbung ab 2020 einschränkt. Um dieses Gesetz habe es sehr harten Debatten gegeben, sagte die Drogenbeauftragte. Sie habe selten erlebt, dass eine Lobby so präsent sei.

Nur beiläufig spricht Mortlers Bericht die Medikamentenabhängigkeit an. Ganze vier der 191 Seiten sind dem Phänomen gewidmet. Dabei gelten in Deutschland nach verschiedenen Untersuchungen zwischen 1,3 und 2,3 Millionen Menschen als medikamentenabhängig, vor allem von Schmerz-, Schlaf- und Beruhigungsmitteln. Zwei Drittel der von Medikamenten abhängigen Deutschen sind Frauen, sie nehmen bevorzugt die genannten Substanzen. Hingegen schlucken Männer eher Substanzen, die die Leistungsfähigkeit am Arbeitsplatz steigern, salopp als Hirndoping bezeichnet.

Ressort: Deutschland

  • Artikel im Layout der gedruckten BZ vom Fr, 10. Juni 2016: PDF-Version herunterladen

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