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Rückkehr der Zertifikate

Finn Mayer-Kuckuk
  • Fr, 13. Dezember 2019
    Wirtschaft

Der Bundestag hat in zwölf Handwerksberufen die vor 15 Jahren abgeschaffte Meisterpflicht in Betrieben wieder eingeführt.

Die Meisterpflicht wurde 2004 in 53 von 94 Berufen abgeschafft, um den Markt zu liberalisieren. Foto: Bernd Settnik
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Orgelbauer, Schilder- und Lichtreklamehersteller, aber auch Fliesenleger müssen wieder einen Mitarbeiter mit Meistertitel im Betrieb haben, um ihre Dienste anbieten zu dürfen. Der Bundestag hat dazu am Donnerstag die Handwerksordnung geändert – und damit die Zeit ein Stück zurückgedreht. Im Jahr 2004 hatte der Gesetzgeber für 53 Berufe die Meisterpflicht abgeschafft. Für zwölf von ihnen führt er sie nun wieder ein. Holzspielzeugmacher, Terrazzoleger, Behälterbauer, Sonnenschutztechniker, Raumausstatter und Drechsler sind nun von der aktuellen Rücknahme der Deregulierung betroffen.

"Wir möchten, dass das Handwerk auch in Zukunft einen Beitrag zu hoher Qualität von Dienstleistungen und der Wirtschaftsentwicklung leisten kann", sagte Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU). Es gehe der Politik um Wertschätzung von Qualitätsarbeit.

Das Echo ist geteilt. Viele Ökonomen bedauern die Abnahme des Wettbewerbs, während Handwerksverbände die neuen Regeln gut finden. Die Kammern waren seinerzeit ohnehin gegen die Lockerung der Meisterregeln. Bernhard Ritter, Geschäftsführer der Kreishandwerkerschaft Freiburg, sagt: "Die Meisterfreiheit hat den Kunden geschadet." In den betroffenen Gewerken habe sich quasi jeder als Handwerker ausgeben dürfen. Die Wiedereinführung der Meisterpflicht sei daher eine Politik im Sinne der Verbraucher. "Das Handwerk hat die Pläne der damaligen rot-grünen Bundesregierung von Anfang an kritisiert", sagt Franz Xaver Peteranderl, der Präsident des Bayerischen Handwerkstages. In den betreffenden Berufen sei die Zahl der Auszubildenden gesunken, solide Betriebe mussten schließen, Verbraucher seien über schlampige Arbeit enttäuscht gewesen. "Allerdings hätten wir uns gewünscht, dass mehr Gewerke in die Meisterpflicht zurückkehren", so Peteranderl.

Zahlreiche Wirtschaftswissenschaftler befürchten höhere Preise und längere Wartezeiten für die Verbraucher. "Die Kundinnen und Kunden können selbst entscheiden, ob Fliesen und Parkett fachgerecht verlegt werden", sagt Arbeitsmarktexperte Karl Brenke vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin. Die Rücknahme sei ein "Ergebnis von Lobbyarbeit". Er sei dafür, die Meisterpflicht komplett abzuschaffen – dadurch gehe nichts verloren. Die Liberalisierung habe zu einer enormen Gründungswelle geführt. "Dieser Erfolg wird nun rückgängig gemacht", so Brenke.

Seit 2004 entstanden neue Solo-Betriebe

Der Meisterzwang verknappe die Zahl der Betriebe, kritisieren Ökonomen. Die Monopolkommission, eine Beratergruppe der Regierung, hatte deshalb von der Rückkehr zu den alten Regeln abgeraten. Auch die Europäische Union verlangt von Deutschland mehr Wettbewerb.

Die rot-grüne Bundesregierung hatte seinerzeit in 53 von den 94 Handwerksberufen den Meisterzwang abgeschafft. Das bedeutet, es können auch Leute einen Betrieb gründen und ihre Dienste anbieten, unter denen sich kein Träger des Meistertitels befindet. Nur in Berufen, in denen bei Stümperei Gefahr droht, blieb der Meisterzwang bestehen.

Die Abkehr von der Meisterpflicht sollte auch Arbeitslose dazu motivieren, sich selbstständig zu machen. Insgesamt war eine Lockerung der Arbeitswelt angestrebt, die damals als überreguliert empfunden wurde. Auch für Zuwanderer, die in ihrem Heimatland ausgebildet wurden, vereinfachte das den Zugang zum Markt. In der Folge entstanden tatsächlich viele neue Solo-Betriebe.

Der Meisterbrief hat eine lange Tradition. Ob er Voraussetzung für die Führung eines Betriebs ist, war über die Jahrhunderte unterschiedlich: Mal schwang das Pendel in Richtung Regulierung aus, mal in Richtung Liberalisierung. 1810 hob Preußen die Meisterpflicht fast völlig auf, 1908 machte das Reich den Meister wieder zur Voraussetzung für die Ausbildung von Lehrlingen. Die Nazis führten die Pflicht wieder ein, die amerikanischen Besatzer hoben sie auf, Bu
ndeskanzler Konrad Adenauer führte sie wieder ein.

Pro & Contra: Ist die Meisterpflicht sinnvoll?

BZ-Plus Der Meisterbrief hat eine lange Tradition. Es gab aber immer wieder auch Bestrebungen, ihn abzuschaffen. Bei der Frage nach der Meisterpflicht gehen in der BZ-Redaktion die Meinungen auseinander.

Masse ist nicht Klasse, findet Wolfgang Mulke

Je weniger ein Markt reguliert wird, desto größer wird das Angebot. Die Preise sinken und die Verbraucher sind zufrieden. So simpel ist die Argumentation häufig, wenn Kritiker die Rückkehr zum Meisterzwang für ein Dutzend Berufe verteufeln. Nur der erste Teil des Arguments stimmt. Wenn ein Handwerker keine sonderlich ausgewiesene Kompetenz für die Eröffnung eines Betriebs braucht, versuchen sich naturgemäß mehr in der Selbstständigkeit. Ob er oder sie das Metier beherrschen, ist zweitrangig. Ob sie ihre Fähigkeiten als Ausbilder an die nächste Generation weitergeben, ebenfalls. An diesen beiden Punkten scheitert die zweite These der Gegner der Meisterpflicht.

Kunden, die ihr Bad neu fliesen lassen, wollen sicher sein, dass die Arbeit ordentlich ausgeführt wird. Verlässlich ist diese Annahme nicht, wenn sich Hinz und Kunz als Anbieter auf dem Markt tummeln dürfen. Aus diesem Grund hat die Bundesregierung nun für wenige Berufe die Rückkehr zur Meisterpflicht beschlossen. Schludrigkeiten werden für den Verbraucher am Ende teurer und sorgen gewiss nicht für Zufriedenheit. Es ist auch eine Mär, dass eine Arbeitsstunde beim Meisterbetrieb zu teuer ist. Bürokratiekosten und Abgaben sind eher Ursachen für hohe Stundensätze als eine vermeintliche Marktabschottung. Schließlich erhöht die Meisterpflicht auch die Attraktivität der Berufe, weil mit dem Meisterbrief gutes Geld zu verdienen ist. Es gibt also gute Gründe für einen kleinen Rückschritt bei der Liberalisierung.
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Idee aus der Steinzeit, meint Finn Mayer-Kuckuk

Es ist gut, dass wir den Meister haben. Andere Länder beneiden uns um die mehrstufige und gründliche Handwerksausbildung. Eine Prüfung der Ausbildungsqualität in Berufen wie Elektrotechnik leuchtet komplett ein. Aber eine Rückkehr zur Meisterpflicht für mehr und mehr Berufe? Wäre ein Rückschritt. Die Regierung hat es sich 2004 nicht leicht gemacht, die Berufe zur Deregulierung auszuwählen. Wo es drauf ankommt, etwa in der Elektrotechnik, blieb der Meisterzwang bestehen. Aber warum sollten Bürger jetzt wieder vor inkompetenten Raumausstattern, Glasveredlern oder Böttchern geschützt werden? Wer die Arroganz mancher Handwerker bei der Terminsuche erlebt hat, der wünscht sich mehr Wettbewerb.

Dem Autor dieser Zeilen wurde unlängst von einem Handwerker beschieden, er könne im Frühjahr wieder anrufen – vielleicht ließe sich dann ein Termin für den Sommer vereinbaren. Da ist selbst ein Termin beim Facharzt leichter zu bekommen. Die Rückkehr in die miefige Regulierungssteinzeit fordert geradezu dazu auf, künftig doch die Nummer des schwarzarbeitenden Osteuropäers zu wählen. Dem Vernehmen nach sind die sehr fleißig und wissen, was sie tun. Wenn doch mal eine Fliese minimal schief ist, muss und kann der Kunde damit leben. Er hat ja die Wahl. Wenn er erste Qualität will, kann er Arbeit durch einen echten Meister verlangen. Außerdem gibt es heute das Instrument von Bewertungsportalen für Dienstleister, die eine Aussage über die Qualität zulassen.
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Ressort: Wirtschaft

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