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Frauenrechte

Seit Sonntag dürfen Frauen in Saudi-Arabien offiziell Auto fahren

Martin Gehlen
  • So, 24. Juni 2018, 19:00 Uhr
    Panorama

Seit Sonntag dürfen Frauen in Saudi-Arabien Auto fahren. Kronprinz Mohammed bin Salman führt damit seinen Reformkurs fort – und verstärkt gleichzeitig die Repressionen.

Erstmals in der Geschichte Saudi-Arabiens dürfen Frauen in dem islamisch-konservativen Königreich ans Steuer. Foto: dpa
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Lange haben sie gewartet. Punkt Mitternacht brach auf den Straßen von Riad, Jeddah, Dammam und Dhahran Jubel aus, als sich die ersten Autos mit Frauen am Steuer in Bewegung setzten. Die einen ließen ihren Gefühlen mit lauter Musik freien Lauf, andere winkten fröhlich den Umstehenden zu oder gaben Interviews durch das offene Wagenfenster. Den ganzen Sonntag liefen Twitter, Facebook und Youtube über mit Fotos und Videos, auf denen Frauen ihre ersten Lenkradminuten dokumentierten. So wie Hind Alzahid, die am Ende ihrer Premiere auf dem Parkplatz einer Shopping Mall von lachenden Frauen umarmt wurde. "Ich bin total begeistert, wir schreiben Geschichte. Dieser Tag wird Saudi-Arabien verändern", sagt sie.

Das konservative Lager hielt sich mit Kritik zurück

Die Polizei war mit allen verfügbaren Kräften auf den Straßen, um bei möglichen Rangeleien einzuschreiten. Einige Beamte verteilten Rosen an die weiblichen Neulinge. "Allen Männer sage ich, seid höflich zu den Frauen am Steuer", mahnte der prominente saudischer Liedermacher Mohammed Abdu seine Landsleute per Video. Doch außer ein paar abfälligen Tweets war aus dem erzkonservativen Lager den ganzen Tag über nichts zu hören. Mehr als drei Millionen Frauen könnten in den nächsten Jahren ihren Führerschein machen, schätzen die Verantwortlichen. Die Autosalons reiben sich bereits die Hände, nach Umfragen wollen sich 85 Prozent der weiblichen Führerschein-Neulinge ein eigenes Auto zulegen. Dagegen bangen Zehntausende der rund 1,4 Millionen ausländischen männlichen Chauffeure jetzt um ihre Jobs. Einige hundert Führerscheine an Frauen wurden in den letzten Wochen bereits ausgestellt, die fünf bisher offiziell zugelassenen Fahrschulen können sich vor Bewerberinnen kaum retten. Selbst Kurse für Harley Davidson-Motorräder sind im Angebot. Viele Frauen dagegen brauchen keine Fahrstunden nehmen. Sie können ihre in den USA, Großbritannien, den Emiraten oder Jordanien ausgestellten Dokumente nach einem kurzen Praxistest direkt umschreiben lassen.

Frauenrechtlerinnen fordern weitergehende Reformen

"Jetzt kann ich endlich meine Kinder selbst zur Schule bringen", freut sich Sarah Alwassia in der Hafenstadt Jeddah. Sie habe bereits als 18-Jährige in den Vereinigten Staaten den Führerschein gemacht. "Ich kann es immer noch nicht fassen – endlich ist der Tag gekommen, an dem ich in meiner Heimatstadt fahren kann." Unabhängig zu sein, sei ein großes Thema für sie persönlich, bekräftigte sie und fügt hinzu, das Autofahren sei dabei nur einer von vielen Aspekten. In das gleiche Horn stieß auch die bekannte Frauenrechtlerin Hala Aldosari, die ein Stipendium in Harvard hat und derzeit in Boston lebt. "Die Freude, das Selbstvertrauen und der Stolz der saudischen Frauen, die zum ersten Mal Auto fahren, ohne Angst verhaftet zu werden, treiben mir die Tränen in die Augen", twitterte sie. Sie sei froh und erleichtert, "dass saudische Mädchen künftig etwas freier leben können als ihr Mütter."

Hala Aldosari gehörte 2013 zu den Frauen, die sich für das Recht auf Autofahren selbst ans Steuer wagten. Zusammen mit der kürzlich verhafteten Aziza al-Yousef verfasste sie ein Jahr später eine Petition an König Salman, für die 14 682 Unterschriften zusammenkamen. Der Text, der damals Schlagzeilen machte, forderte ein Ende des männlichen Vormundschaftsrechtes, welches Frauen in nahezu allen Lebensbereichen entmündigt.

Das Regime ließ erst einmal mehrere Frauenrechtlerinnen verhaften

Heute gehört Aziza al-Yousef zusammen mit Eman al-Nafjan und Loujain al-Hathloul zu den prominenten einheimischen Frauenrechtlerinnen, die Kronprinz Mohammed bin Salman im Vorfeld des ersten Frauenfahrtages festnehmen ließ. Es folgte eine staatlich organisierte Hetzkampagne. Zeitungen druckten die Fotos der Verhafteten mit roten Stempeln "Verräter" quer über dem Gesicht. Mindestens neun von ihnen sollen demnächst vor ein Spezialgericht für Terrortaten gestellt werden, wo ihnen Haftstrafen bis zu 20 Jahren drohen. Und so rief ihre prominente Mitkämpferin Hala Aldosari am Sonntag von den USA aus die übrige weibliche Bevölkerung daheim auf, in ihrem Jubel für eine Minute innezuhalten und auch an die "starken und noblen Frauen und Männer" zu denken, die den Weg für diesen Augenblick geebnet hätten. "Ohne ihre Stimmen, ihren Mut und ihre Aktionen wären diese Restriktionen, denen Frauen ausgesetzt sind, niemals öffentlich gemacht, in Frage gestellt oder angepackt worden", twitterte sie. "Diese Menschen sind das Herz und die Seele der Nation. Sie sind niemals Verräter."

Ressort: Panorama

  • Artikel im Layout der gedruckten BZ vom Mo, 25. Juni 2018: PDF-Version herunterladen

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