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Fashion

Wie ein Modefotograf in Paris arbeitet

Axel Veiel
  • Mo, 27. Februar 2017
    Panorama

Der deutsche Fotograf Dirk Seiden Schwan hat in der Pariser Modeszene Fuß gefasst. Doch von seinen künstlerischen Ideen hat er sich vielfach verabschieden müssen.

Mal abgehoben auf dem Laufsteg, mal ha...m Fotoatelier – die Pariser Mode  | Foto: Caroline Blumberg
Mal abgehoben auf dem Laufsteg, mal harte Arbeit im Fotoatelier – die Pariser Mode Foto: Caroline Blumberg
Das also ist sein Reich. Zu den wenigen Pariser Fotografen zählt er, die etwas Derartiges haben, die den Modehäusern ein eigenes Fotoatelier bieten können. Nun gut, es ist noch nicht ganz fertig, es wird noch an der Ausstattung gearbeitet. Der Blick fällt auf Holzbalken, weiße Wände, Kupferrohre, Kabelstränge. Das Wichtigste, viel Raum und viel Licht, ist aber schon da. Das Studio erfüllt bereits seinen Zweck.

Dirk Seiden Schwan, den das Leben vom württembergischen Weiler Affstätt bis in die Modemetropole Paris geführt hat, kann sich an diesem Morgen selbst davon überzeugen. Seine Kundschaft ist da, es kann losgehen. Laurence Mahéo, Modeschöpferin des Hauses La Prestic Ouiston, schreitet noch einmal ihre Kreationen ab. An einer Kleiderstange hängen sie, eine neben der anderen. Die Stylistin Elissa Castelbou denkt laut über den Bildhintergrund für die kommenden Fotos nach. Ganz weiß? Oder doch besser sandfarben?

Die Models, eines weißer, eines schwarzer Hautfarbe, stolzieren Gazellen gleich im Atelier umher. Im Wechsel haben sich die dunkelblonde Suzie Bird und die aus dem westafrikanischen Guinea-Bissau stammende Esther Gomis überzustreifen, was die auch als Art-Directrice von La Prestic Ouiston firmierende Mahéo mitgebracht hat.

Der zunächst üppig anmutende Raum des Ateliers wirkt nun plötzlich knapp bemessen. Aber niemand eckt an. Mit traumwandlerischer Sicherheit geht eine jede Person ihrer Wege, die am Ende aber in ein großes Ganzes münden sollen: den online wie auch in Papierform erscheinenden Herbst-/Winterkatalog des Modehauses heißt es zu erstellen.

Seiden Schwan greift zur Kamera, nimmt Bird ins Visier. Ein stetes Klicken signalisiert: Er fotografiert sie. Aber das ist nicht alles. Der 47-Jährige scheint sie zugleich zu umgarnen, zu umtanzen. Er verlagert das Gewicht vom linken aufs rechte Bein. Er geht in die Hocke. Er erhebt sich, wenn auch nur wenig, nähert sich in dieser gleichermaßen unnatürlichen wie kräftezehrenden Haltung dem Model. Er richtet sich auf, stellt sich auf die Zehenspitzen, löst den Blick vom Sucher, blinzelt über die Kamera hinweg, weicht in Stakkatoschritten zurück.

Blass wirkt Seiden Schwan. Die Dreitagbartstoppeln scheinen nachgedunkelt. Längst hat er den Pullover ausgezogen. Sportschuhe, T-Shirt, weite Hose trägt er nur noch, Arbeitskleidung eben in einem Metier, das sportlichen Einsatz verlangt.

Ohne von ihm aufgefordert zu werden, versucht sich Bird an immer neuen Winkelkombinationen von Kopf, Rumpf und Gliedmaßen. Rechter Fuß schräg vorne, Kopf gerade, rechter Arm 60 Grad vor dem Bauch, das war die Pose eben. Ein paar Augenblicke später stehen die Füße schon wieder in einer Reihe, baumeln die Arme locker herab, scheint Mademoiselle zum Schulmädchen mutiert. Ein Glockenblumen-förmig fallendes Kleid aus hauchdünnem Stoff trägt sie, das im nächsten Winter Sommerträume wecken dürfte.

Das Klicken verstummt. Der Fotograf setzt die Kamera ab, schreitet mit der Stylistin zur Qualitätskontrolle. Vor einem über Kabel mit der Kamera verbunden Laptop-Bildschirm stehen die beiden nun. Foto für Foto fällt Castelbou ihr Urteil. "Nicht übel", sagt sie und dann: "Nein, das geht überhaupt nicht, das Kleid hat in der Taille enger anzuliegen." Die Stylistin sucht eine Wäscheklammer, die den Stoff auf dem Rücken des Models zusammenziehen soll bei der nächsten Aufnahme.

Lange

Lehrjahre

Seiden Schwan ist Hindernisse gewohnt. Bevor er im Pariser Modezirkus seinen Platz finden sollte, hatte er einen nicht enden wollenden Hürdenlauf zu absolvieren. Dass Lehrjahre keine Herrenjahre sind – auf die Modefotografie trifft das zu. Ein Jahrzehnt lang durfte er nicht einmal auf den Auslöser drücken. Mit Handreichungen hatte er sich zu begnügen, den ihn ausbildenden Fotografen Lampen, Reflektoren und Stativ aufzustellen oder auch Botengänge zu übernehmen. So bitter ihn das ankam, versüßt wurde es ihm dadurch, dass er Altvorderen über die Schultern schauen, sich Wichtiges abgucken konnte.

Bird verschwindet in einem Seitenraum, um sich ein neues Teil überzustreifen. Während sie eine Auszeit nimmt, heißt es für den Fotografen durcharbeiten. Gomis steht vor ihm. Sie trägt auf ihre afrikanische Herkunft anspielende sandwüstenfarbene Kleider und Hosenträger mit Leopardenmuster. Die 23-Jährige ist neu im Geschäft. Seiden Schwan leitet sie an. Er dirigiert Haltung und Mienenspiel, das die Vorgängerin von sich aus anbot. Die kraftvoll-ruhige Stimme des Fotografen füllt den Raum: "Noch tiefer den Blick, noch tiefer, noch tiefer, ja." Die Klicks des Auslösers verdichten sich zu einem Trommelfeuer.

Bird nutzt die Pause für Privates, tippt auf ihrem Smartphone herum, nippt an einer Tasse Tee. Irgendwie kommt sie einem bekannt vor. Eines dieser Elfen ähnlichen Wesen scheint sie zu sein, die an Kiosken von Modemagazinen wie Vogue oder Elle herabschauen. Nicht die geringste Unebenheit ist an ihr auszumachen. Was nicht heißt, dass sie charakterlos glatt wirkte, der Blick nicht an ihr hängen bleiben würde. Wenn sie ein erfolgreiches Model ist und, wie sie nach dem Absetzen der Teetasse bestätigt, tatsächlich schon einmal die Titelseite der Vogue geschmückt hat, dann deshalb.

Birds Alter ist schwer zu schätzen. Als 18-Jährige würde sie durchgehen, als 28-Jährige ebenfalls. Ob sie bei der Pariser Fashion Week Anfang März über den Laufsteg stolzieren wird? "Dafür bin ich mit 26 Jahren zu alt", sagt sie, "die Gesetze der Modebranche sind knallhart."

Schmerzlich ist das für sie. Defilees sind ihr das Schönste, was die Welt der Mode zu bieten hat. Sie weiß, wovon sie spricht. Für die Modemarke Céline ist sie über den Laufsteg stolziert, hat das Glück bis zur Neige ausgekostet. Als sie es in der Teepause heraufbeschwört, weicht der gelangweilt-verächtliche Gesichtsausdruck, den sie eben noch vor der Kamera hatte, einem gelösten Lächeln.

"Ich habe das so genossen", erzählt sie. Was sie anzog, hatte das Modehaus speziell für sie gemacht. Auf Schuhen mit Absätzen nicht breiter als ein Centstück hatte sie zu balancieren. Sie stand im Scheinwerferlicht, ihr schlugen Bewunderung, Beifall entgegen. "Es gibt nicht viele Berufe, in denen einem so etwas vergönnt ist", sagt Bird. Womit sie nun ihr Geld verdient, ist aus Sicht vieler junger Frauen zwar noch immer ein Traumjob. Knochenarbeit ist es aber schon auch. Enormes Konzentrations- und Durchhaltevermögen hat Bird aufzubringen. Das heutige Fotoshooting illustriert es. Aus der Arbeit eines Tages soll ein mehr als 20 Seiten zählender Modekatalog entstehen. Spaß macht es trotzdem, wobei das Vergnügen, Kataloge oder Zeitschriften zu schmücken, ebenfalls endlich ist. "Drei, fünf, vielleicht auch zehn Jahre als Model, dann ist erfahrungsgemäß Schluss", sagt Seiden Schwan.

Er kann Birds Rede von den knallharten Gesetzen der Branche bestätigen. Nur dass sie ihn als Fotografen anders treffen als Bird. Er bekam sie zu spüren, als sich für ihn die Tore zum Paradies zu öffnen schienen. Vor zehn Jahren war das. Modemagazine wie Elle hatten ihn entdeckt, unter Vertrag genommen. Er verdiente gutes Geld. "Ich hätte mir einen Porsche leisten können, wenn mir das etwas bedeutet hätte", erzählt er. Aber Ruhm und Reichtum hatten eben ihren Preis.

Er, der geradeheraus zu sagen pflegt, was er fühlt und denkt, rieb sich an der Scheinheiligkeit eines Gewerbes, in dem man zu pokern, zu bluffen hat. "Um in der Pariser Modeszene Erfolg zu haben, musst du nicht unbedingt der Tollste, der Beste sein", sagt Seiden Schwan. "Aber du musst zumindest so tun als ob."

Kein Platz fürs

Künstlerische

Hart kam Seiden Schwan zudem an, dass er nicht so kreativ zu Werke gehen durfte, wie er gedacht hatte. Als Fotokünstler hatte er in Paris begonnen. Für Magazine wie Dazed & Confused oder Self Service hatte er mit der Kamera experimentiert, die Grenzen konventioneller Modefotografie freudig überschritten. Wenn kommerziell ausgerichtete Magazine wie etwa Elle auf ihn aufmerksam geworden waren, dann deshalb, "weil sie das Künstlerische cool fanden", wie Seiden Schwan erzählt.

Um der mit dem Künstlerleben einhergehenden Armut zu entkommen, hatte er 2007 beschlossen, die Seiten zu wechseln, bei kommerziellen Modezeitschriften anzuheuern. So beeindruckt sich diese freilich von seinen Sonderwegen gezeigt hatten – was sie von ihm wollten, war Mainstream: schöne Frauen, viel Licht, viel Farbe. Klare Vorgaben bekam der Fotograf fortan. Wo sich eine Spielwiese aufgetan hatte, war nur noch ein schmaler, klar markierter Weg.

Irgendwann wollte Seiden Schwan nicht mehr. Sein Berufsleben war an einem toten Punkt angelangt. Weiterzumachen wie bisher, schien ihm charakterliche Verbiegung. Zurück zu den Experimentierkünstlern und ihren Magazinen, das ging nicht mehr. Sie hatten die Hinwendung zu Mainstream und Kommerz als Verrat empfunden, ließen Seiden Schwan das spüren. Es folgten ein Sabbatjahr und der Entschluss, sich an einem Mittelweg zu versuchen.

Für Modehäuser will er seitdem fotografieren, die ihm kreativen Spielraum lassen. La Prestic Ouiston gehört offenbar dazu. Seiden Schwan kehrt zu Stativ und Laptop zurück. Die Stylistin Castelbou klickt sich dort gerade durch die letzte Bilderserie. "Pas mal", sagt sie, nicht schlecht. Aus ihrem Munde klingt das wie höchstes Lob.

Erklär's mir: Was macht ein Model?

Früher gab es Anziehpuppen, die die Franzosen Mannequin nannten: An ihnen zeigten Schneider ihren Kunden, welche neuen Kleider sie für sie entworfen hatten. Doch das reichte bald nicht mehr: Man wollte auch sehen, wie die Kleider aussahen, wenn man sich darin bewegte. Also zogen sich Mitarbeiterinnen oder gar Töchter der Kundinnen die Kleider an und gingen mit ihnen auf und ab. Damit war der Laufsteg entstanden, und aus dem Mannequin als Modellpuppe wurde ein regelrechter Beruf, der heute vor allem mit dem englischen Wort Model verbunden wird. Es ist nach wie vor ein Traumberuf, in dem freilich nur wenige richtig Erfolg haben. Eine wichtige Rolle spielen dabei auch Fotografen: Sie machen die Bilder, auf denen die Models die neue Mode vorstellen. Dahinter steckt viel langwierige Arbeit, aber auch der Zwang, den Ansprüchen der Modemacher an Aussehen und Körpergestalt (derzeit möglichst dünn) zu folgen.

Ressort: Panorama

  • Artikel im Layout der gedruckten BZ vom Mo, 27. Februar 2017: PDF-Version herunterladen

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