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Erzählungen eines IS-Touristen

Florian Kech
  • Sa, 21. November 2015
    Deutschland

Jürgen Todenhöfer hat die Terrormiliz von innen kennengelernt.

Andrang wie auf einen Popstar: Jürgen Todenhöfer  in Freiburg  | Foto: KECH
Andrang wie auf einen Popstar: Jürgen Todenhöfer in Freiburg Foto: KECH
FREIBURG. Nicht alle, die kommen, dürfen rein. Vor dem Bürgerhaus im Freiburger Seepark staut sich eine Warteschlange. Sie alle wollen jenen Mann hören, der sich selbst am ehesten zutraut, den Wahnsinn dieser Tage zu erklären. Eine Leinwand zeigt den früheren CDU-Bundestagsabgeordneten Jürgen Todenhöfer unter Dschihadisten, Erinnerungsfotos eines IS-Touristen.

Mit 508 Gästen ist die Lesung ausverkauft. Die Nachfrage sei mehr als doppelt so hoch gewesen. Weil viele Leute vergeblich anstehen, verharrt Todenhöfer aus Mitleid im Vorraum und liest einige Passagen. Unter den zahlenden Gästen setzt leises Grummeln ein, das bei seinem Einzug aber in begeisterten Beifall umschlägt. Spätestens jetzt ist klar: Todenhöfer ist der Popstar unter den Terror-Erklärern. "Noch nie bin ich in Freiburg so freundlich empfangen worden", staunt er. Die Mehrheit im Publikum stellt das Freiburger Bildungsbürgertum. Auch auffallend viele junge Muslime interessieren sich für die Lesung. Von 18 bis 80 sind praktisch alle Jahrgänge vertreten.

Als bislang einziger westlicher Journalist bekam Todenhöfer Zugang zur Terrormiliz Islamischen Staat (IS). Seine Erlebnisse aus den zehn Tagen hat er in seinem Buch "Inside IS" dokumentiert. Frei erzählt er, wie er über Skype Kontakt zu den ersten Dschihadisten aufgenommen hatte; wie ihm der berüchtigte Kalif al-Bagdadi eine Sicherheitsgarantie ausstellte; und von den Gewissenskämpfen, die er und sein Sohn Frederic, der ihn gegen seinen Willen begleiten wollte, miteinander ausfochten. Solange Todenhöfer nicht moralisiert, ist sein Erzählstil höchst unterhaltsam. Der Zuhörer bekommt von ihm launige Anekdoten aus dem Absurdistan des Grauens serviert. Es gehört schon eine besondere Kunstfertigkeit dazu, das Publikum bei diesem Thema immer wieder zum Schmunzeln zu bringen. Vielleicht macht diese ironische Distanz aber die Vorstellung des Unvorstellbaren überhaupt erst erträglich. Terror ist, wenn man trotzdem lacht.

Keine Frage, der sportliche 75-Jährige mit dem faltenarmen Gesicht weiß, sich selbst zu inszenieren. Nur er war vor Ort, nur er hat persönlich mit den Dschihadisten geredet, er liest gerade zum vierten Mal den Koran und er kennt den einfachen Grund für den Terror. Am Tag nach den Anschlägen von Paris schrieb er auf seiner Internetseite: "Unsere Kriege sind die Ursache des Terrors. Nicht der Islam." Seine Kritik kennt oft nur eine Richtung: die USA, den Westen, Israel. Verteidigungskriege führen immer nur die anderen. Wer ihm deshalb gleich Antiamerikanismus oder gar Antisemitismus vorhält, wie drei Studenten, die vor dem Bürgerhaus leise demonstrieren, macht es sich allerdings ebenfalls zu einfach.

Man mag nicht mit all seinen Terroranalysen übereinstimmen, sich an seinen Zuspitzungen zuweilen stören, aber ein Abend mit Jürgen Todenhöfer ist in jedem Fall fesselnd. Mal ist er Abenteurer, mal Moralapostel. Vor allem aber ein Mann mit einer spektakulären Geschichte. Nach seiner Lesung stellt sich eigentlich nur noch die Frage: Hat sich schon jemand die Filmrechte an dem Stoff gesichert? Und wenn ja, welcher 45-jährige Schauspieler spielt dann die Hauptrolle?

Ressort: Deutschland

  • Artikel im Layout der gedruckten BZ vom Sa, 21. November 2015: PDF-Version herunterladen

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