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Stuttgart

Landtag sucht nach Schuldigen der Schulmisere

Roland Muschel
  • Do, 27. Oktober 2016, 00:00 Uhr
    Südwest

Baden-Württemberg hat massive bildungspolitische Probleme, die weit mehr berühren als die Frage nach der Anzahl der Lehrer. Nun beginnt das Schwarzer-Peter-Spiel.

Mit Eifer bei der Sache – so wün...üler, sondern auch Bildungspolitiker.   | Foto: dpa
Mit Eifer bei der Sache – so wünscht man sich nicht nur Schülerinnen und Schüler, sondern auch Bildungspolitiker. Foto: dpa
Wer jetzt 1074 Lehrerstellen streiche, sagt SPD-Fraktionschef Andreas Stoch am Mittwochmorgen im Landtag in Richtung der grün-schwarzen Regierungsbank, "der versündigt sich an den Kindern in Baden-Württemberg". Denn das führe zwangsläufig zu einer "miserablen Unterrichtsversorgung" im kommenden Schuljahr. Der Unterrichtsausfall werde ein "grün-schwarzer" sein.

Stoch, bis zum Regierungswechsel selbst Kultusminister, hat die aktuelle Debatte unter dem Titel "Mogelpackung für die Schulen im Land" auf die Tagesordnung gesetzt. Es ist der Versuch, Grün-Schwarz weiter in die Defensive zu bringen nach dem öffentlichen Streit, den sich Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU) und Finanzministerin Edith Sitzmann (Grüne) um die Anzahl der Lehrerstellen geboten haben.

Doch die von der Opposition unter Beschuss genommenen Koalitionspartner haben sich inzwischen geeinigt – und versuchen daher gemeinsam, den Spieß umzudrehen und den Ex-Kultusminister für alle Probleme im Bildungsbereich verantwortlich zu machen. Parteifreunde hatten Stoch vor dieser Gefahr gewarnt. Als der SPD-Vormann nebenbei sagt, dass man sich am Ende der Woche auch mit der IQB-Bildungsstudie beschäftigen müsse, ruft ihm CDU-Vize-Regierungschef Thomas Strobl hämisch entgegen: "Das ist Ihre Leistung!" Später verschickt CDU-Generalsekretär Manuel Hagel eine Pressemitteilung, in der er den Absturz Baden-Württembergs beim bundesweiten Leistungsvergleich von Neuntklässlern als "Armutszeugnis für fünf Jahre grün-rote Bildungspolitik in Baden-Württemberg" geißelt.

FDP-Fraktionsvize Timm Kern schiebt den Schwarzen Peter in die gleiche Richtung, AfD-Fraktionsvize Rainer Balzer sieht das Heil darin, "Leistung" einzufordern und den "Ballast der Stuhlkreise" abzuwerfen. Nach der offiziellen Landtagsdebatte arbeitet auch Stoch per Pressemitteilung nach: "Billige Schuldzuweisungen" seien fehl am Platz; die Verschlechterung fürs Land habe sich schließlich vor 2010 abgezeichnet. Sprich: schon zu schwarz-gelben Regierungszeiten.

Die Landtagsdebatte um Lehrerstellen ist nur das Vorspiel für das Schwarzer-Peter-Spiel der nächsten Tage und Wochen. Am Freitag wird der IQB-Bildungstrend, eine bundesweite Vergleichsstudie, offiziell vorgestellt. Wie von der Badischen Zeitung vorab berichtet, schneiden die Schüler im Südwesten dabei über alle Schularten hinweg in Deutsch und Englisch deutlich unterdurchschnittlich ab. Die Suche nach den Schuldigen an der Misere ist daher bereits in vollem Gange.

Eisenmann wird die IQB-Studie am Freitag in Berlin als stellvertretende Vorsitzende der Kultusministerkonferenz selbst mit vorstellen. Zuvor will sie sich zum Inhalt nicht äußern. Nur so viel: "Ich mache mir große Sorgen, dass die Diskussion ab der kommenden Woche noch einmal ganz anders laufen wird."

Vorerst geht sie mit ihrem Amtsvorgänger wegen der Lehrerstellen hart ins Gericht: Grün-Rot habe sich in den vergangenen Jahren für viele Beschlüsse feiern lassen, deren Finanzierung Stoch aber nicht gesichert habe. Sandra Boser, Fraktionsvize und Bildungsexpertin der Grünen, hält dem ehemaligen Koalitionspartner ebenfalls vor, die gemeinsamen bildungspolitischen Beschlüsse nicht finanziell unterfüttert zu haben. Zugleich deutet Boser an, dass der im Haushaltsentwurf vorgesehene Abbau von Lehrerstellen im November noch nach unten korrigiert werden könnte – dann werden die neuesten Statistiken zu den Schülerzahlen vorliegen.

Einen Seitenhieb hat die Bildungsexpertin der Grünen indes auch für Eisenmann parat: Deren Ankündigung, wegen Lehrermangels den Ausbau von Inklusion und Ganztagsschulen aussetzen zu müssen, sei "nicht nachvollziehbar". Offenbar tragen die Grünen der CDU-Kultusministerin den öffentlichen Aufschrei weiter nach, der dazu geführt hat, dass im Haushalt 2017 auf die Schnelle 160 zusätzliche Deputate finanziert werden. Damit stehen dem Abbau von 1074 Stellen nun die Schaffung von 737 Deputaten für spezielle Vorhaben entgegen. "Ich bin zufrieden mit dem, was im Regierungsentwurf für 2017 in meinem Etat steht", betont Eisenmann. Die CDU-Abgeordneten applaudieren ihrer Ministerin, bei den Grünen rührt sich kaum eine Hand.

Ressort: Südwest

  • Artikel im Layout der gedruckten BZ vom Do, 27. Oktober 2016: PDF-Version herunterladen

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