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Top-Spion

Fred Mayer ist tot: Der "Inglorious Basterd", der aus Freiburg kam

Joachim Röderer
  • Fr, 22. April 2016, 18:19 Uhr
    Freiburg

Der jüdische Junge Fred Mayer wächst in Freiburg auf, flieht 1938 mit seiner Familie nach New York. Als Spion kehrt er zurück, leitet einen der spektakulärsten Geheimdiensteinsätzen des Zweiten Weltkrieges – und rettet Innsbruck.

Operation Greenup: Fred Mayer (rechts) mit Hans Wynberg und Franz Weber (links) am Ende des Krieges Foto: Patrick O'Donnell "They dared return"
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Frederick "Fred" Mayer ist tot. Der jüdische Widerstandskämpfer und einstige Geheimagent in Diensten der US-Army ist am Freitag vergangener Woche im Alter von 94 Jahren in seinem Haus in Charlestown, West-Virginia, USA, gestorben. Der gebürtige Freiburger hatte im Zweiten Weltkrieg eine Geschichte geschrieben. Diese Geschichte beginnt in Freiburg. Friedrich "Fritz" Mayer ist 16 Jahre alt und besucht das Rotteck-Gymnasium, als es ihm und seiner Mutter Anfang 1938 endlich gelingt, den Vater zur Flucht zu überreden.

Die sechsköpfige jüdische Familie verlässt Nazi-Deutschland gen USA und aus Fritz wird Fred. Sieben Jahre später kehrt dieser zurück ins Deutsche Reich – als Undercoveragent und Kopf einer der spektakulärsten Geheimdienstoperationen des Zweiten Weltkriegs. In der Uniform eines Wehrmachtsoffiziers spioniert Mayer im Frühjahr 1945 hinter den feindlichen Linien die Nazis in Tirol aus. Am Ende fädelt er, obwohl von Folter gezeichnet, die Kapitulation von Innsbruck ohne Blutvergießen ein – eine große Heldentat. Fred Mayer und seine zwei Mitstreiter gelten als die wirklichen "Inglorious Basterds" (zu deutsch: "unrühmliche Mistkerle") und Vorbilder für den Hollywoodfilm von Quentin Tarantino.

Der Vater bekam im Ersten Weltkrieg das Eiserne Kreuz verliehen

In der Herrenstraße 53 in Freiburg betreibt Heinrich Mayer, der Vater von Friedrich, eine Eisenwarenhandlung. Der Vater sitzt im Vorstand der Synagoge. Friedrichs Großvater Julius hatte das Haus 1865 gekauft. Es war das erste Haus in Freiburg, das nach den Vertreibungen im Mittelalter wieder in jüdischen Besitz kam. Der Vater ist ein Kriegsveteran, 1916 dekoriert mit dem Eisernen Kreuz für seine Verdienste im Ersten Weltkrieg.

Fritz besucht das Rotteck-Realgymnasium, fährt Ski und ist Mitglied im Athletikclub. Doch in Nazi-Deutschland nehmen die Repressionen gegen Juden immer mehr zu. Aber Vater Heinrich denkt nicht an eine Flucht ins sichere Ausland. Warum soll ihm, dem einstigen Offizier, und seiner Familie etwas passieren? Als der Anschluss Österreichs vollzogen wird, gibt der Eisenwarenhändler schließlich dem Drängen seiner Familie nach. "Es war eine Flucht in letzter Minute", berichtet Wolfram Zimmer, Oberstudienrat und früherer Lehrer am Rotteck, der Fred Mayer in den USA besucht und bis zu dessen Tod engen Kontakt gehalten hat.

Die Familie zieht in den New Yorker Stadtteil Brooklyn. Fred arbeitet als Mechaniker bei Ford. Nach dem Angriff der Japaner auf Pearl Harbour im Dezember 1941 erklären die USA Deutschland den Krieg. Daraufhin meldet sich Mayer zur US-Army. Die lehnt ihn als "Enemy Alien", als feindlichen Ausländer, zunächst ab. Er wird aber dann vom Office of Strategic Services (OSS), Vorgänger des Geheimdienstes CIA, angeheuert. Er bekommt eine Ausbildung im Guerillakampf. Dabei hat Fred Mayer, eher klein von Gestalt und mit einer sanften Stimme versehen, so gar nichts von einem Spion, wie die New York Times in ihrem Nachruf schreibt.

Mitten in der Nacht springen die drei Männer aus dem Flugzeug

Bei der Ausbildung lernt er Hans Wynberg, einen jungen jüdischen Emigranten aus Amsterdam, kennen. Die beiden werden Freunde. Die erste Station ist Nordafrika. Dort wird es Mayer und Wynberg schnell zu langweilig. Sie lassen sich nach Bari in den befreiten Teils Italien versetzen. Und drängen dort mit aller Macht auf einen Auftrag. Schließlich werden sie für die Operation Greenup ausgewählt, ein Himmelfahrtskommando. "Ich liebte das Abenteuer", erklärte Fred Mayer später. Und: Hass und Liebe seien bei ihm zusammengekommen: "Hass auf die Nazis und die Liebe zu Amerika, dem Land, dem ich mein Leben verdankte."

Zum Dritten im Bunde wird Franz Weber, ein desertierter Wehrmachtsoffizier und gebürtiger Tiroler.

Mitten in einer kalten Februarnacht springt das Trio aus einer B-24 Liberator mit Fallschirmen über dem Sulztalferner Gletscher ab. "Er war komplett ohne Furcht", erinnert sich der Pilot an Fred Mayer. Durch hüfthohen Schnee kämpfen sich die Männer voran, über eine lebensgefährliche Rutschpartie über vereiste Hänge kommen sie ins Tal. Sie verstecken sich in Oberperfuss nahe Innsbruck, Franz Webers Heimatdorf. Webers drei Schwestern, seine Verlobte Anni, deren couragierte Mutter und andere aus dem Dorf werden zu Helfern der Spione.

Fred Mayer bekommt von Luisa Weber, die in einem Sanatorium arbeitet, die Wehrmachtsuniform eines verstorbenen Offiziers und einen Kopfverband verpasst. Bald sitzt er in Innsbruck im Offizierskasino unter anderen Offizieren. Es gibt gutes Essen und noch mehr Bier. Das lockert die Zungen. Ein Ingenieur kommt gerade aus Berlin zurück und berichtet über seine Arbeit im Führerbunker in allen Details. Die Info geht als Brief über eine Kette von Botinnen nach Oberperfuss.

Fred Mayer weigert sich auch unter Folter, die Namen seiner Mitstreiter zu nennen

Dort hat sich Funker Hans Wynberg auf dem Dachboden bei einem Bauern versteckt und übermittelt die Nachrichten nach Bari an den OSS. Auch den Zeitpunkt von Munitionslieferungen per Zug über den Brennerpass für die italienische Front forscht Fred Mayer erfolgreich aus. Und er sammelt Infos über die "Alpenfestung", welche die Nazis zu errichten vorgeben, was die Alliierten beunruhigt. Die ganze Geschichte ist aber, wie sich später herausstellte, ein Phantom.

Der OSS in Bari verlangt Infos über die Produktion von Messerschmitt-Düsenjägern, die geheim in einem Bergstollen produziert werden. "Das hatte etwas von James Bond", sagt Militärhistoriker Patrick O’Donnell, der über die Operation Greenup das packende Buch "They dared return" geschrieben hat. Fred Mayer kommt in neuer Identität als französischer Facharbeiter in den Stollen. Die Produktion ruht mangels Nachschub.

Doch wenige Tage später klopft es nachts an der Tür der Wohnung von Franz Webers Schwester, bei der Fred Mayer Unterschlupf gefunden hat. Die Frau hält die Gestapo an der Tür genau so lange hin, bis der Spion alle Papiere im Ofen verbrannt hat. Die Gestapo foltert Fred Mayer mehrere Tage lang. Die Schergen tauchen seinen Kopf in einen Wasserkübel, hängen ihn kopfüber auf, stecken ihm eine Pistole in den Mund und schlagen ihm dabei alle Backenzähne aus. Besonders sadistisch verhält sich der Innsbrucker Gestapochef Walter Güttner. Trotz aller Tortur: Mayer weigert sich standhaft, die Namen seiner Mitstreiter und deren Aufenthaltsort preiszugeben. Auf Intervention des NSDAP-Kreisleiters von Innsbruck, Max Primbs, lässt die Gestapo von Mayer ab.

Mit einem Betttuch als weißer Fahne fährt er der US-Armee entgegen

Der Führer in Berlin hat da bereits Selbstmord begangen, die Russen stehen in der Reichshauptstadt und die US-Army rückt auf Innsbruck vor. Primbs und den anderen Nazi-Bonzen dämmert längst, dass der Krieg verloren ist. Das Blatt wendet sich auch für Fred Mayer. Er wird zu Franz Hofer, Gauleiter von Tirol und Vorarlberg, gefahren. Hofer ist fanatischer Nazi, gehörte zu Hitlers engem Zirkel. Er hat bereits eine Radioansprache vorbereitet, mit der er zum Kampf bis zum letzten Mann und bis zur letzten Patrone aufrufen will. Das hätte viele Opfer und die Zerstörung von Innsbruck bedeutet.

Historiker O’Donnell beschreibt in seinem Buch, wie Fred Mayer an die Menschlichkeit des Gauleiters appelliert und wie es ihm in letzter Sekunde gelingt, dass Hofer über Radio die Kapitulation verkündet. Innsbruck wird zur offenen, unverteidigten Stadt erklärt.

Am 3. Mai 1945 ist es der von Folterungen gezeichnete Fred Mayer, der in einer zerschlissenen amerikanischen Uniform im BMW von Kreisleiter Primbs und einem Betttuch als weißer Fahne an deutschen Flakstellungen vorbei bis zur Front der Amerikaner fährt. Er präsentiert der überraschten 103. Division Hofers Entschluss. Nun sitzt der Gestapochef Güttner genau in der Zelle, in der dieser Tage zuvor noch den US-Spion gepeinigt hatte. "Machen Sie mit mir, was Sie wollen, aber lassen Sie meine Familie in Ruhe", bettelt Güttner. "Was glauben Sie, wer wir sind? Nazis?", antwortet Fred Mayer, dreht sich um und geht.

Das Rotteck ehrte ihn mit dem Freddy-Mayer-Saal

Mit Franz Weber (gestorben 2001) und Hans Wynberg (gestorben 2011) blieb Fred Mayer befreundet, übrigens auch mit Ex-Kreisleiter Primbs. Der Spion aus der Herrenstraße bekommt nach dem Krieg einen Orden, ansonsten macht er kein großes Aufheben aus seiner Heldentat, wie in der TV-Dokumentation "The real Inglorious Basterds" zu sehen ist: "Ich hab’ nur meinen Job gemacht, aber es war ja auch mein Krieg", sagt er da. Fred Mayer arbeitet später in verantwortlicher Position für den US-Auslandsradiosender "Voice of America".

In den frühen Morgenstunden des 15. April 2016 ist Fred Mayer, 94 Jahre alt, im Beisein seiner Familie friedlich eingeschlafen. Bis drei Wochen vor seinem Tod hat er noch als Freiwilliger mit seiner Lebensgefährtin Virginia Nash Essen auf Rädern ausgefahren. "Ich helfe damit älteren Menschen", hatte er über diese Tätigkeit auch 2006 bei seinem Besuch in Freiburg am "Rotteck" berichtet. Da er da selbst schon weit über 80 Jahre alt war, sorgte das für einen Lacher, wie sich sein Freund Wolfram Zimmer erinnert. Freiburg hat Fred Mayer zuletzt 2006 besucht. Er kehrte auch an seine alte Schule, das Rotteck-Gymnasium, zurück. Bis zuletzt hielt er Kontakt zu Schule.

Tochter Claudette Mayer informierte letzte Woche den Freund Wolfram Zimmer aus Kirchzarten per Mail über die traurige Nachricht vom Tod des 94-Jährigen. Fred Mayer sei froh gewesen, so ein langes, glückliches Leben gehabt zu haben. Jeder, der ihn kannte, habe um seine Wir-schaffen-das-Einstellung, seine Freundlichkeit, seine Großzügigkeit geschätzt – ebenso wie alles, was er gekocht und gebacken habe, schreibt die Tochter. Der Humor habe stets aus seinen Augen gefunkelt, fügt sie an. Eine Beerdigung hat es nicht gegeben. Fred Mayer hat verfügt, dass sein Körper der West Virginia of Medicine School gespendet wird.

Am Rotteckgymnasium wurde Veranstaltungsraum der Schule vor zwei Jahren in Freddy-Mayer-Saal umbenannt, worüber sich der ehemalige Schüler sehr gefreut hat. Sonst hat es für ihn, den bescheidenen Helden, in Freiburg bislang noch keine Ehrung gegeben.

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Weitere Infos

  • Buch: "They dared return" von Patrick O’Donnell (auf Englisch)
  • Dokumentarfilm: " Inglorious Basterds – die wahre Geschichte", Dokumentarfilm in deutscher Übersetzung

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Ressort: Freiburg

  • Artikel im Layout der gedruckten BZ vom Sa, 23. April 2016: PDF-Version herunterladen

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