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Doggerland

Künstliche Insel in Nordsee für Windpark geplant

Christian Mihatsch
  • Mi, 22. März 2017, 00:00 Uhr
    Wirtschaft

Um Strom aus Offshore-Wind produzieren zu können, werden bald neue Gebiete für Windparks gebraucht. Stromnetzbetreiber wollen nun eine künstliche Insel in der Nordsee schaffen.

Gebiete für Offshore-Windparks werden knapp.  | Foto: Daniel Reinhardt
Gebiete für Offshore-Windparks werden knapp. Foto: Daniel Reinhardt
Um Strom aus Offshore-Wind wird immer billiger. Doch irgendwann werden alle küstennahen Gebiete genutzt sein. Dann bleibt nur das offene Meer. Um dort kostengünstig Strom produzieren zu können, braucht man aber eine Insel.

Doggerland ist das Atlantis Nordeuropas – ein untergegangenes Paradies. Die Landbrücke zwischen Kontinentaleuropa und den britischen Inseln war die Heimat von mittelsteinzeitlichen Jägern und Sammlern, bis vor 7500 Jahren der letzte Teil von Doggerland infolge eines Tsunamis unterging. Geblieben ist eine Untiefe in der Nordsee, die Doggerbank, wo Fischer gelegentlich steinzeitliche Artefakte in ihren Netzen finden.

Nun könnte Doggerland wiederauferstehen: Der holländische Stromnetzbetreiber Tennet und sein dänisches Pendant Energinet planen, auf der Doggerbank eine oder mehrere künstliche Inseln zu bauen. Diese sollen als Basis für einen gigantischen Windpark dienen. Torben Nielsen von Energinet erklärt die Logik hinter dem Projekt: "Vielleicht klingt es ein bisschen verrückt und wie Science Fiction, aber eine Insel auf Doggerbank könnte die Windkraft der Zukunft viel billiger machen." Die geplante Insel ist sechs Quadratkilometer groß und rund. Vorgesehen sind ein eigener Hafen, ein Flugplatz und Unterkünfte für bis zu 2000 Mitarbeiter. Um die Insel herum soll dann ein Offshore-Windpark entstehen, wie ihn die Welt noch nicht gesehen hat: Mit 90 bis 100 Gigawatt hätte Neu-Doggerland so viel Kraftwerkskapazität wie Großbritannien.

Mel Kroon, der Chef von Tennet, sagt denn auch: "Dieses Projekt kann zu einer komplett erneuerbaren Stromproduktion in Nordwesteuropa beitragen." Die Geburtsstunde dieser langfristigen Vision, wie Tennet es ausdrückt, steht kurz bevor. An diesem Freitag soll in Brüssel das Konsortium zum Bau der Insel aus der Taufe gehoben werden. Dieses wird dann die Machbarkeit genauer abklären.

Mit dem Baubeginn von Neu-Doggerland ist nicht kurzfristig zu rechnen. Erst sollen alle küstennahen Seegebiete für Offshore-Wind genutzt werden. "Aber wenn alle küstennahen Gebiete voll sind, dann brauchen wir Platz weit von den Küsten entfernt", sagt Jeroen Brouwers, ein Tennet-Sprecher. Dies dürfte aber nicht vor den 30er-Jahren dieses Jahrhunderts der Fall sein.

Der Bau einer Insel auf Doggerbank hat Vorteile. Doggerbank hat gute Windverhältnisse, ist zentral gelegen (siehe Karte) und das Wasser ist dort nur 15 bis 36 Meter tief – um die 20 Meter flacher als in der umliegenden Nordsee. Platz ist reichlich da. Die Doggerbank hat eine Fläche von etwa 18 000 Quadratkilometern. Damit ist sie halb so groß wie Baden-Württemberg. Die geplante Insel soll als Logistikumschlagplatz für den Bau des Windparks dienen. Mitarbeiter, Baumaterial und Werkstätten lägen inmitten des Windparks, was die ansonsten komplizierte Hochseelogistik vereinfacht. Dank der Insel wäre der Windpark letztklich küstennah.

Die Insel soll aber auch als Umschlagplatz für Strom dienen. Windräder produzieren Wechselstrom, der auf der Insel in Gleichstrom umgewandelt werden soll. Letzterer kann verlustfrei über große Distanzen transportiert werden. Die Insel soll denn auch mittels Unterseekabeln an die Stromnetze von Deutschland, England, Holland, Belgien, Dänemark und Norwegen angebunden werden. "Die Insel dient als Spinne in einem Nordseenetz von Offshore-Windparks und internationalen Stromleitungen", erklärt Tennet in der Projektskizze. Dank dieser Verbindungen ließen sich etwa die norwegischen Pumpspeicherkraftwerke als Batterie für ganz Nordwesteuropa nutzen.

Billig wird Neu-Doggerland aber nicht. Der Bau der Insel allein koste 1,5 Milliarden Euro, schätzt Tennet. Dazu kommen die Bauten, der Flugplatz, die Umspannwerke. Dafür fallen die Kosten für Offshore-Wind. Vergangenes Jahr folgte ein Niedrigpreisrekord auf den nächsten. Im Juli gewann der dänische Stromkonzern Dong eine Auktion für Offshore-Wind mit einem Preis von 72,50 Euro pro Megawattstunde (MWh). Im September bot der schwedische Stromkonzern Vattenfall 60 Euro pro MWh, nur um sich zwei Monate später erneut zu unterbieten. Dann bekam Vattenfall den Zuschlag für den Bau des dänischen Kriegers-Flak-Windparks für 49,90 Euro pro MWh. Damit sei Offshore-Wind konkurrenzfähig mit Kohlekraftwerken, sagt Henrik Poulsen, der Chef von Dong: "Wenn man ausreichend Platz hat und die richtige Windgeschwindigkeit, dann kann man Offshore-Wind mindestens zum gleichen Preis bauen, wie ein neues Kohlekraftwerk." Diese Bedingungen erfüllt Doggerland. Platz ist da, Wind auch. Jetzt fehlt nur noch die Insel.

Ressort: Wirtschaft

  • Artikel im Layout der gedruckten BZ vom Mi, 22. März 2017: PDF-Version herunterladen

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