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Neue Schulart für junge Ausländer ist praktisch veranlagt

Simone Höhl
  • Mi, 12. November 2014
    Freiburg

In neuen Vabo-Klassen lernen junge Ausländer und Flüchtlinge Deutsch und bereiten sich nebenher auf eine Ausbildung vor.

Da kriegt das Boot den letzten Schliff: Vabo-Schüler im Waldhaus   | Foto: Michael Bamberger
Da kriegt das Boot den letzten Schliff: Vabo-Schüler im Waldhaus Foto: Michael Bamberger

Sie sind mit Eltern oder allein nach Freiburg gekommen, der Arbeit hinterher oder auf der Flucht. Jetzt sollen die jungen Ausländer Deutsch lernen und fit für eine Ausbildung werden: Eine neue Schulart setzt dabei auf praktisches Arbeiten. Die Verständigung mit Händen und Handwerk klappt zum Beispiel schon beim Bootsbau, bei dem auch ein Syrer mitmacht, der auf der Flucht fast ertrunken wäre. Doch die neue Schule wächst schneller als gedacht: Sie hat bereits ein Platzproblem.

Vor der Werkstatt des Freiburger Waldhauses sind halbfertige Holzboote aufgebockt. An einem hobeln zwei Jungs, am nächsten brennt einer seinen Namen in den Bug und gibt eine Art Lötkolben an seinen Nebenmann weiter. "Das ist der Burner", sagt Werkstattchef Franz-Josef Huber zum Gerät. Mit dem brennt der nächste Schüler Punkt an Punkt seinen Namen ins Holz – Wesam – und eine Flagge von Syrien. Von dort ist er weg auf einem großen Boot, doch es kenterte, erklärt der 17-Jährige mit Gesten. Ahmed, 18 Jahre alt und aus dem Sudan, legt das Schleifpapier weg, kommt rüber und übersetzt: Wesam ist vier Stunden im Meer geschwommen, dann hat ihn ein italienischer Helikopter herausgezogen. Von den 600 Flüchtlingen sind 250 gestorben, erzählt Wesam und arbeitet weiter am Boot.

Viel mehr Schüler

als gedacht

Die jungen Männer besuchen die neue Schulart, die kurz Vabo und in Langversion "Vorqualifizierung Arbeit und Beruf ohne Deutschkenntnisse" heißt. Die meisten in der Klasse konnten kein Wort Deutsch, als die Schule im September losging. Eingerichtet wurde sie an den Beruflichen Schulen der Stadt, weil es eine Versorgungslücke gab: Für Ausländer von 15 bis 18 Jahren besteht Berufsschulpflicht, doch der private Römerhof platzte aus den Nähten.

Vor den Sommerferien fehlten sechs Plätze. Geplant war zunächst eine Klasse und anfangs nicht klar, dass sie auch unbegleitete minderjährige Flüchtlinge (UMF) sowie ältere Schüler aufnehmen soll. An den Start gingen nach den Ferien gleich drei Klassen, die jetzt zusammen 40 Schülerinnen und Schüler haben. Etwa ein Drittel von ihnen sind UMF, die anderen kamen mit Eltern – je ein Drittel aus Europa und dem Rest der Welt.

Eine Klasse macht das Bootsprojekt, bei dem immer zwei von älteren Fachschülern angeleitet werden. "Die packen echt mit an", sagt Veronika Feist, die Holzbildhauerin lernt und Soziale Arbeit studiert hat. Die Teams verständigen sich mit Händen und Füßen, bei der Arbeit kann man vor- und nachmachen, nebenbei etwas Deutsch lernen – "wie stopp und gerade, was wichtig ist beim Bohren", sagt die 27-Jährige. Die meisten seien total engagiert, ein Schüler stammt aus einer Schreinerfamilie in Rumänien – "der kann uns noch was zeigen". Thomas Grögler, der schon einige Bootskurse geleitet hat, findet: "Das funktioniert extrem gut."

"Dabei ist der Spagat enorm", sagt Christoph Schmitthenner, einer von zwei Schulsozialarbeitern, die die Vabo-Schüler betreuen. Die kommen nicht nur aus unterschiedlichen Kulturen. "Einer war keinen Tag auf der Schule, ein anderer ist eher knapp vor dem Abitur." Schmitthenner weiß auch von schlimmen Schicksalen, "wo man gar nicht so viel fragt". Manche erzählen beim Schreinern von ganz allein. Und manche sagen, dass sie lieber Zahnarzt werden wollen.

Das Wichtigste ist, dass sie alle erstmal Deutsch lernen: 14 Wochenstunden haben die Vabo-Schüler, das ist viel, dazu Mathe, Englisch, Gemeinschaftskunde, Sport und zwei Tage in der Woche in den Werkstätten der gewerblichen und hauswirtschaftlichen Schulen zur Orientierung. In welchen Bereich die Schülerinnen und Schüler schnuppern, haben die Sozialarbeiter mit ihnen ausgelotet. Und so fertigen einige am Montag ihren ersten Kurzhaarschnitt an, andere nähen Schürzen, wieder andere kochen, lernen Metalltechnik kennen oder bekommen in der Steinmetzwerkstatt ein Gefühl fürs Material. Eine Vabo-Klasse ist an der Friedrich-Weinbrenner-, die beiden anderen sind an der Gertrud-Luckner-Schule angedockt. Sie haben ihre Stundenpläne auch mit der Edith-Stein- und der Richard-Fehrenbach-Gewerbeschule so abgestimmt, dass die Schüler das Berufsfeld wechseln können, ohne ihre Klasse verlassen zu müssen. "Das Ziel ist, die Leute in Ausbildung oder an weiterführende Schulen zu bringen", sagt Axel Klär, der die Gertrud-Luckner leitet.

Währenddessen steigt mit der Zahl der Flüchtlinge die Zahl der Vabo-Schüler kontinuierlich, sagt Friedrich-Weinbrenner-Rektor Ulf Burkhardt. "Es ist fast unplanbar", sagt Schulamtsleiter Rudolf Burgert. Fünf Neue stehen bereits auf der Anmeldeliste, wenn es so weitergeht, müssen die Schulen eine weitere Klasse einrichten. Die Stadt sagt, das geht. Klär sagt, er hat zwar Personal, aber keinen Raum. "Wir stehen auch mit dem Rücken zur Wand", sagt Burkhardt, "das ist ein Problem, das wir lösen müssen." In seinem Foyer sind inzwischen die Boote ausgestellt. Sie schwimmen alle.

Ressort: Freiburg

  • Artikel im Layout der gedruckten BZ vom Mi, 12. November 2014: PDF-Version herunterladen

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