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Plötzlich Aushängeschild

  • Jonas-Erik Schmidt (dpa)

  • Do, 23. August 2018
    Computer & Medien

Der Umsatz der Computerspiel-Branche steigt, das Publikumsinteresse ist ungebrochen – und auch die Politik fremdelt nicht mehr.

Die Gamescom hat sich in diesem Jahr ein Motto gegeben, das man sich auch gut bei einem Kirchentag vorstellen könnte: "Vielfalt gewinnt". In den abgedunkelten Messehallen dröhnen am Mittwoch die Bässe und zucken die Lichter, Tausende Männer, Frauen und Kinder stellen sich lächelnd und gelassen in die schier unendlichen Warteschlangen vor ihren Lieblingsspielen. Willkommen auf dem weltweit größten Event für Computer- und Videospiele.

Die Gamescom zieht wie vielleicht kaum ein anderer Branchentreff in Deutschland Massenpublikum an. Am Tag nach der offiziellen Eröffnung am Dienstag, der traditionell Wirtschaft, Politik und Medien vorbehalten ist, dürfen ab Mittwoch alle in die Hallen. An manchen Stellen muss man sich durch die Massen drücken, so voll ist es. 2017 zählte die Messe mehr als 350 000 Besucher.

"Vielfalt gewinnt", das diesjährige Motto, ist nicht zufällig gewählt. Es ist die zehnte Gamescom, ein Jubiläum. Und das Leitthema deutet an, welchen Weg die ganze Szene in den vergangenen Jahren gegangen ist. Spiele sind heute längst nicht mehr nur ein Thema für junge Männer, wie der Branchenverband Game vorrechnet. Das Durchschnittsalter liege in Deutschland mittlerweile bei über 36 Jahren. Die größte Spielergruppe seien heute die über 50-Jährigen. Und Frauen stellten knapp die Hälfte der Spielerschaft.

Wer durch die Blockbuster-Hallen streift, kann an solchen Zahlen zweifeln: Das Publikum ist vielerorts doch eher männlich, eher unter 40 Jahre alt, eher weiß. "Man muss natürlich vorsichtig sein bei den Zahlen, die die Gamescom nennt", sagt Christoph Bareither, der in Berlin mit Schwerpunkt Medienanthropologie forscht. "Aber klar ist, dass Computerspiele ein Massenphänomen geworden sind. Und richtig ist auch, dass heute nicht nur die Jungen spielen. Das wächst in den Generationen mit."

Keine Frage, die Spielkultur entwickelt sich, dafür muss man auf der Gamescom den Blick nur schweifen lassen. Es gibt Hardcore-Gamer und Gelegenheitsspieler, YouTuber und Retro-Fans. In der einen Halle knallen Kanonenschläge von "World of Warships", in einer anderen spielen putzige Nintendo-Figuren Tennis.

Zwischen zwei Terminen erwischt man auch Peter Smits, der als YouTuber PietSmiet mehr als zwei Millionen Menschen mit seinen Videos zu neuen Spielen erreicht. Er hat auf dem "Gamescom Congress" eine Debatte mit Partei-Prominenz von CDU, SPD, FDP, Grünen und Linken moderiert. Auch daran sieht man die Veränderung der Gamescom: Es kommen immer mehr Politiker. Auch die Bundeswehr ist vertreten. Mit Plakaten im Videospiel-Stil und dem Satz "Multiplayer at its best!" wirbt sie für eine Karriere bei der Armee. Die Messe sei ein "großartiges Aushängeschild für die Stadt", sagte die Kölner Bürgermeisterin Henriette Reker am Dienstag.

Nur sechs Prozent der Spiele kommen aus Deutschland

Auf solches Lob hat die Branche lange gewartet. Auch heute gelten digitale Spiele für manche Politiker noch immer als Nischenprodukte, ihre Inhalte als zweifelhaft. Der Branchenverband Game kontert, die Spieleindustrie sei ein wichtiger gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Faktor für den Standort Deutschland.

Tatsächlich steht eine stärkere Förderung von Spiele-Entwicklern in Deutschland an. Die Bundesregierung hat das bereits im Koalitionsvertrag verankert. "Ich halte eine zielführende und effiziente Förderung für Computerspiele sowie die spezifische Förderung von Games-Technologie für sehr wichtig", sagte Digitalstaatsministerin Dorothee Bär dem Handelsblatt. Laut Branchenverband Game wuchs der Markt im ersten Halbjahr um 40 Prozent auf einen Umsatz von 1,5 Milliarden Euro in Deutschland. Der Anteil an "Games made in Germany" sackte aber ab und liegt bei unter sechs Prozent.

Bessere Fördermodelle könnten "ganz sicher schnell auf den Weg" gebracht werden, versprach Bär. Davon sollen sowohl große als auch kleine Studios profitieren. Der Verband Game hatte bereits in einem eigenen Förderkonzept die Summe von 100 Millionen Euro genannt. "Klingt für mich realistisch", sagt Bär.

Mit der Förderung soll vor allem ein Vorteil von Wettbewerbern aus anderen Ländern ausgeglichen werden. In Spanien, Kanada oder Polen etwa ist eine starke staatliche Unterstützung von Entwickler-Studios bereits gang und gäbe. Zuletzt erhielt das polnische Studio CD Projekt Red mehrere Millionen Euro und brachte seinen erfolgreichen Titel "The Witcher 3" auf den Markt.

Ressort: Computer & Medien

  • Artikel im Layout der gedruckten BZ vom Do, 23. August 2018: PDF-Version herunterladen

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