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Spielziel: Überleben

Daniel Laufer
  • Do, 28. August 2014
    fudder

Das Computerspiel DayZ sieht wie ein Zombie-Shooter aus, ist aber ein detailverliebtes, apokalyptisches Gesellschaftsexperiment.

fudder DayZ  | Foto: Bohemia Interactive
fudder DayZ Foto: Bohemia Interactive

1 Stunde und 9 Minuten – so lang überlebt ein Spieler durchschnittlich im Computerspiel DayZ. Und wer in der adrenalingeladenen Mischung aus Rollenspiel und Survival-Shooter stirbt, muss ganz von vorne anfangen. Warum Fudder-Redakteur Daniel Laufer von DayZ begeistert ist:

Ich habe zwei Zombies erschlagen, ein Dorf geplündert und Dosenspaghetti gefunden. Gleich will ich weiter, nur noch schnell aus dem Brunnen trinken, da bekomme ich Besuch. "Zieh’ alles aus, was du hast!", sagt der Typ mit dem roten Motorradhelm zu mir. Er hat sein Jagdgewehr auf mich gerichtet. Ich habe ihn nicht kommen sehen. Von hinten läuft eine Frau zu uns, sie trägt einen Baseballschläger, schwingt ihn bedrohlich. "Zieh’ dich aus und setz dich hin, oder ich bring dich um!", ruft der Typ noch mal. Ich folge der Anweisung. Die Frau holt einen Dosenöffner aus ihrem Rucksack und isst meine Spaghetti auf, der Mann zieht meine Stiefel an. Ich hocke daneben, in Unterwäsche, und schaue zu. Dann legt er mir Handschellen an. "Viel Spaß", sagt er und verschwindet mit seiner Partnerin im Wald. Ich freue mich. Sie haben mich zur Abwechslung mal am Leben gelassen.

Die Feinde sind Hunger,

Zombies und Menschen

Ich sitze vor dem Computer und spiele DayZ. Es geht dabei ums pure Überleben: Man sucht nach Verpflegung, Medikamenten und Waffen, manchmal dauert es Stunden, bis man einigermaßen ausgerüstet ist. Das Computerspiel spielt in einem fiktiven Ex-Sowjet-Staat, der ein bisschen aussieht, wie man sich den bürgerkriegsgeplagten ukrainischen Osten vorstellt. Dort kann man Städte, Wälder oder Militärcamps erkunden. Wer nicht aufpasst, stirbt. Denn aggressive Zombies lauern überall, man kann verhungern oder an einer Infektion zugrunde gehen. Die größte Gefahr ist aber der Mensch. Zig andere Spieler verfolgen die gleichen Ziele. Manche sind freundlich und bieten dir eine Cola an, andere wollen unbedingt deinen Rucksack, deine Schrotmunition oder sogar dein Blut. Weil man nie weiß, was einen erwartet, hat man permanent den Finger am Abzug. Die Folge sind Darwinismus und pure Hysterie.

Ich habe in der Vergangenheit alles ausprobiert, was man so spielt: Counter Strike, Call of Duty, Battlefield – man schießt sich eben durchs Internet. Das Ergebnis ist gähnende Langeweile. Aber jetzt gibt es DayZ und es könnte alles verändern – denn in DayZ lebt man nur einmal. Wenn der Charakter des Spielers stirbt, fängt dieser wieder ganz von vorne an, irgendwo im Nirgendwo. Mühsam gesammelte Ausrüstung ist dann futsch.

Anfangs ist man als Spieler noch ziemlich planlos. Im Internet findet man Anleitungen, zum Beispiel den "Ratgeber für Psychopathen". "Spiel mit deinem Opfern", wird darin empfohlen. "Fessel es, frag es, ob es hungrig ist, und füttere ihm dann verrottete Früchte. Es wird krank werden." Ein anderer Ratgeber warnt: "Ein Psychopath wird dich verfolgen, bis du tot bist. Schieß, sobald du ihn siehst!"

Nur gibt es da ein Problem: Um in DayZ erfolgreich zu sein, sollte man sich mit anderen Spielern verbünden – sonst hat man keine Chance. Sicher ist man aber auch nicht in der Gruppe. Einmal sind wir zu zehnt unterwegs, bewaffnet bis an die Zähne. Wir rücken in eine Stadt vor. Zwei Personen kommen die Straße runtergerannt. "Stopp, Waffen fallen lassen!" Sie reagieren nicht. Ein paar Gewehrsalven, dann liegen sie am Boden. Wenig später geraten wir selbst in einen Hinterhalt. Am Ende sind fast alle von uns tot, fangen wieder bei null an. Das ist frustrierend.
Beim Warten im Hinterhalt kann man Kafka lesen

Wegen solcher Szenen kann ich DayZ nicht spielen, wenn ich einen anstrengenden Tag hatte. Das Spiel hilft mir nicht beim Abschalten. Manchmal probiere ich es trotzdem, liege nach zwei Stunden völlig aufgekratzt im Bett, vollgepumpt mit Adrenalin. Dann hat die Faszination mal wieder gesiegt. Eigentlich ist das erstaunlich, denn DayZ ist kein fertiges Spiel. Angeboten wird eine frühe Version; sie hat etliche Fehler, manche Inhalte sind noch unvollständig. Selbst der Chefentwickler rät davon ab, DayZ schon zu kaufen. Mehr als zwei Millionen Spieler haben es trotzdem getan. Sie erwartet eine überraschende Detailverliebtheit. So findet man im Spiel zum Beispiel Bücher, von Tolstois "Anna Karenina" bis hin zu Kafkas "Die Verwandlung". Man kann sie lesen, zum Beispiel, während man in einem Hinterhalt lauert.

In der Computerspielwelt ist DayZ ganz klar die spannendste Entwicklung seit Jahren. Auf der einen Seite werden primitive Schießspiele auf den Markt geworfen, auf der anderen lineare Spiele mit zwar kinoreifer Geschichte, dafür aber ohne Langzeitspaß. DayZ ist dagegen ganz anders. Es gibt eine Geschichte, aber jeder Spieler schreibt sie für sich selbst, wieder und wieder. Dazu kommt: Es ist ein soziales Experiment. Alle Spieler haben mit den gleichen Gefahren zu kämpfen – wie werden sie reagieren, wenn sie unter diesen Umständen aufeinandertreffen? Wer DayZ zum ersten Mal sieht, mag es für langweiligen Schrott halten. Oft läuft man eine Ewigkeit durch die Landschaft und es geschieht überhaupt nichts. "Was ist das Ziel?", ist dann die Frage. Vielleicht zurecht, denn man kann nicht gewinnen, nur verlieren. Und wie im echten Leben geht es darum, das hinauszuzögern, so lange es geht.

Mehr zum Spiel           fudr.fr/dayz

Ressort: fudder

  • Artikel im Layout der gedruckten BZ vom Do, 28. August 2014: PDF-Version herunterladen

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