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Forschung

Die Zellalterung soll langsamer und der Mensch älter werden

Hannes Koch
  • Do, 19. Januar 2017
    Panorama

Der Traum vom langen Leben

Schon heute werden  viele Menschen vie...Künftig soll sich das noch steigern.    | Foto: ILLUSTRATION: Macrovector (fotolia)
Schon heute werden viele Menschen viel älter als früher. Künftig soll sich das noch steigern. Foto: ILLUSTRATION: Macrovector (fotolia)
Alle vier Jahre leben Menschen wie wir ein Jahr länger. Auf diese Formel kann man die Erkenntnisse des Alterswissenschaftlers James Vaupel bringen, der das Max-Planck-Institut für Demografische Forschung in Rostock gegründet hat. Genauer gesagt: Die statistische Lebenserwartung steigt im Vier-Jahres-Rhythmus durchschnittlich um ein Jahr an. Um 1800 beispielsweise lag das Sterbealter im statistischen Schnitt bei 30 Jahren. Heute dagegen liegt die Lebenserwartung von Frauen in Deutschland bei 83 Jahren, von Männern bei 78. Dürfen wir nun damit rechnen, dass sich unsere Lebensspanne weiter in diesem Tempo ausdehnt? Die Forscher der US-Firma Calico in Kalifornien sind optimistisch. Mehr noch: Sie meinen, dass die Menschen bald nicht nur 80 Jahre, sondern doppelt so alt werden könnten. 160 Jahre?

Calico gehört zum Alphabet-Konzern, also zu Google. Ist die Verdoppelung der Lebenszeit eine Narretei von Silicon-Valley-Milliardären, die nicht wissen, wohin mit ihrem Geld? Lange Zeit galten 120 Jahre als Maximal-Lebenserwartung galt. Mittlerweile allerdings halten Mediziner wie Vaupel Menschenalter von um die 120 Jahre nur noch für einen empirischen Befund, der derzeit gültig, aber nicht unverrückbar sei. Wenn die Wissenschaft besser verstehe, was bei der Alzheimer-Erkrankung passiere, wie die Alterung der menschlichen Zellen funktioniere, und man wirksame Medikamente gegen den Krebs entwickelt habe, seien 130 oder 140 Jahre durchaus in Reichweite.

Seit einigen Jahren erlebt die Altersforschung einen Aufbruch. Hunderte neuer Firmen versuchen, aus Fortschritten medizinischer Erkenntnis Geld zu machen. Häufig genannt werden dabei zwei existierende Präparate: Metformin, ein Diabetes-Mittel, und Rapamycin, das bei Organtransplantationen eingesetzt wird. In beiden Fällen deuten Studien auf eine möglicherweise lebensverlängernde Wirkung hin, die über das eigentliche Behandlungsziel hinausgeht.

Eine zupackende Methode praktiziert Tony Wyss-Coray. Er ist Neurologe an der Stanford-Universität in Kalifornien. Versuchsweise verbindet er die Blutkreisläufe junger und alter Mäuse und schafft so eine Art zusammengenähter Zwangszwillinge, um die Wirkung jungen Blutes auf alternde Organismen zu studieren. Seine Ergebnisse legen nahe, dass derartige Bluttransfusionen Erfolg haben könnten. "Die Experimente von Wyss-Coray deuten daraufhin, dass die Synthese des Proteins CREB in der Hirn-Region des Hippocampus angeregt wird, was deren Leistungsfähigkeit steigert", sagt Konrad Beyreuther, Gründungsdirektor des Netzwerks Altersforschung an der Universität Heidelberg. Der Hippocampus sorgt dafür, dass aus neu Gelerntem Erinnerungen werden. Bei Alzheimer-Patienten ist diese Region besonders geschädigt.

Durchbrüche gibt es bisher keine

Ein weiterer Ansatz beschäftigt sich mit der Substanz Resveratrol, die unter anderem in Rotwein vorkommt. Ihr wird eine positive Wirkung bei der Autophagie zugeschrieben. Das sind diejenigen Prozesse in menschlichen Zellen, die Schadstoffe nicht nur zerlegen und umbauen, sondern zu Zellnahrung recyceln können. Darüber forscht der japanische Mediziner Ohsumi Yoshinori; für seine Ergebnsse erhielt er den Nobelpreis.

Rüdiger Horstkorte, Biochemiker an der Uni Halle-Wittenberg, sagt: "Die zunehmende Menge beschädigter und schädlicher Proteine in Zellen ist entscheidend für ihr Altern." Ließe sich die Müllabfuhr verbessern, würden die einzelnen Zellen und dann vielleicht der ganze Körper länger leben. "Bisher verstehen wir viel zu wenig, wie diese Prozesse funktionieren", so Horstkorte. Vielleicht lasse sich so die menschliche Lebensspanne um"20 bis 30 Jahre" ausdehnen. Eine Verdoppelung hält er aber für illusorisch.

Zum Anti-Aging-Kongress nach München kamen im Juni 2016 in Deutschland ansässige Firmen, die sich mit ähnlichen Themen beschäftigen. Ihre Gene aus Hamburg bietet Gentests an, damit die Kunden ihren Lebensstil so gestalten, dass er zu ihren erblichen Prädispositionen passt. Und CellGym in Berlin wirbt mit einer Behandlung, die Mitochondrien, die Kraftwerke der menschlichen Zellen, bei der Arbeit unterstützen soll. Durchbrüche haben diese Unternehmen bislang nicht zu verzeichnen. Auch Google-Tochter Calico hüllt sich in Schweigen. Gemeinsam werden es die Manager, Entwickler und Wissenschaftler jedoch vermutlich schaffen, die durchschnittliche Lebenserwartung in reichen Industrieländern in Richtung 90 oder 100 Jahre zu verschieben. Aber 160? Der Mythos vom Jungbrunnen ist ein alter Traum, der unsere Kultur seit 2000 Jahren begleitet.

Ressort: Panorama

  • Artikel im Layout der gedruckten BZ vom Do, 19. Januar 2017: PDF-Version herunterladen

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