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Der erste Eindruck

Was unser Körperfettanteil mit unserem Charakter zu tun hat

Kerstin Viering

Von

Sa, 20. Oktober 2018 um 16:11 Uhr

Bildung & Wissen

Was ist das für ein Typ: Dominant oder unterwürfig? Gerissen oder naiv? Vertrauenswürdig oder gefährlich? Ein Blick ins Gesicht, schon glaubt man, über jemanden Bescheid zu wissen. Wie funktioniert das?

Das gemorphte Gesicht links schätzten Befragte als eher unterwürfig ein – die Variante mit höherem Körperfettanteil rechts dagegen als dominant. Foto: -
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Die Welt ist voller Schubladen. Vor allem, wenn es um das Einschätzen anderer Leute geht. Was ist das für ein Typ: Dominant oder unterwürfig? Gerissen oder naiv? Vertrauenswürdig oder gefährlich?

Solche Urteile fällen Menschen oft in wenigen Sekunden, ohne je ein Wort mit der jeweiligen Person gewechselt zu haben. Da genügt ein kurzer Blick ins Gesicht, ein Schnappschuss in den sozialen Medien oder ein Foto in den Bewerbungsunterlagen. Schon glaubt man, über jemanden zumindest grob Bescheid zu wissen.

Wie aber kommt dieser erste Eindruck zustande?

Auf Nachfrage kann kaum jemand begründen, warum ihm ein bestimmtes Gesicht als besonders männlich oder attraktiv erscheint. "Das ist in der Regel ein reines Bauchgefühl", sagt Sonja Windhager von der Universität Wien. Sie und ihre Kollegen aber wollen wissen, was dahinter steckt. "Wir untersuchen, woran genau Menschen solche Einschätzungen festmachen und wie diese Merkmale zustande kommen", erklärt die Biologin.

Solche Fragen faszinieren sie, seit Wissenschaftler der Universität von Lausanne vor ein paar Jahren ein verblüffendes Experiment gemacht haben. Sie legten Schweizer Kindern im Alter zwischen 5 und 13 Jahren Fotos von jeweils zwei ihnen unbekannten französischen Politikern vor. Einem von beiden sollten sie in einem Computerspiel das Kommando über ein Schiff anvertrauen.

Der bevorzugte Kapitän war meist der Wahlsieger

Dabei zeigten die Kinder nicht nur ganz ähnliche Vorlieben wie Erwachsene, die vor der gleichen Aufgabe standen. Sie sagten auch sehr zuverlässig die Ergebnisse der französischen Parlamentswahlen voraus: Der bevorzugte Kapitän war meist auch der Wahlsieger. Daraus schlossen die Forscher, dass Wähler bei ihrer Entscheidung gar nicht so sehr auf die tatsächliche Kompetenz oder die Leistungen eines Kandidaten achten. Vielmehr scheint auch hier der geheimnisvolle erste Eindruck die entscheidende Rolle zu spielen. "Das war für mich ein extrem spannendes Ergebnis", erinnert sich Sonja Windhager. "Leider haben die Kollegen damals nicht untersucht, wie die Kinder zu ihren Einschätzungen von Kompetenz und Führungsqualitäten gekommen sind."

Um solchen Fragen systematisch nachgehen zu können, hat die Biologin zusammen mit ihrer Kollegin Katrin Schäfer, Professorin für evolutionäre Anthropologie an der Uni Wien, eine neue Methode entwickelt. Am Computer können die Wissenschaftlerinnen mit speziellen Rechenprogrammen künstliche Gesichter erschaffen. Diese sogenannten Morphs unterscheiden sich nur in den charakteristischen Merkmalen für eine einzige Eigenschaft. "Der Körperfettgehalt beeinflusst die Gesichtsform eines Menschen zum Beispiel sehr stark", erklärt Sonja Windhager. Je höher er ist, umso größer und breiter fällt der untere Teil des Gesichts aus und umso kleiner sind die Augen im Vergleich zum restlichen Antlitz. Also haben die Forscherinnen weibliche Morphs mit unterschiedlichen Abstufungen dieser Eigenschaft erstellt. Insgesamt 275 österreichische Männer und Frauen sollten anschließend beurteilen, wie dominant, attraktiv oder männlich diese Gesichter auf sie wirkten.

Unabhängig von ihrem Alter und Geschlecht waren sich die Mitglieder dieser Jury in ihren Bewertungen weitgehend einig. So wurden Frauen mit hohem Körperfettgehalt als dominanter eingestuft, solche mit niedrigem als eher unterwürfig. Das hat wohl mit den Proportionen des Gesichts zu tun. "Bei Männern ist der Bereich unterhalb der Nase im Durchschnitt größer als bei Frauen", sagt Sonja Windhager. Bei Frauen mit höherem Körperfettanteil aber vergrößert sich durch Fetteinlagerungen genau dieser Teil des Gesichts. "Deshalb wirken solche Morphs männlicher und damit oft auch dominanter", erklärt die Forscherin die Ergebnisse, die im Fachblatt Scientific Reports veröffentlicht wurden.

Mittlerer Körperfettanteil ist Trend

Wenn es um die Attraktivität der Gesichter ging, schnitten dagegen die Versionen mit mittlerem Fettanteil am besten ab. Auch das könnte ein Erbe aus den frühen Tagen der Menschheitsgeschichte sein. Denn damals dürften sowohl sehr dünne als auch sehr dicke Menschen in Sachen Gesundheit und Familiengründung klar im Nachteil gewesen sein. Also hat sich im Laufe der Evolution der Trend durchgesetzt, sich möglichst für Partner mit mittlerem Körperfettanteil zu entscheiden – und diese entsprechend attraktiv zu finden.

Außer dem Fett gibt es allerdings noch viele weitere Faktoren, die das Aussehen eines Gesichts beeinflussen. So haben die Wiener Forscherinnen zusammen mit Kollegen aus Deutschland und Russland untersucht, ob man aus bestimmten Indizien im Gesicht eines Menschen auf seine Körperkraft schließen kann. Tatsächlich fand sich ein solcher Zusammenhang sowohl bei europäischen Männern als auch bei Männern und Frauen der Massai in Tansania, wie die Wissenschaftler in der Zeitschrift Plos One berichten. Stärkere Menschen hatten auch rundere, robustere Gesichter und ein ausgeprägte Kieferpartie. Solche Gesichter wurden zumindest von europäischen Testpersonen dann häufig als männlich und dominant, aber nicht unbedingt als besonders attraktiv eingestuft.

Dass solche Untersuchungen in so verschiedenen Weltregionen wie Österreich und Tansania zu ganz ähnlichen Ergebnissen kommen, überrascht Sonja Windhager nicht. Denn zum einen ist die grundsätzliche Anordnung von Fettpolstern und Muskelsträngen bei allen Menschen ähnlich. Zum anderen standen unsere Vorfahren überall vor den gleichen sozialen Herausforderungen.

Das Schubladendenken funktioniert rund um die Welt

"Es war für sie ganz wichtig, Eigenschaften wie die Stärke und Dominanz ihres Gegenübers möglichst schnell einschätzen zu können", erklärt Sonja Windhager. Wer keine blutige Nase oder Schlimmeres riskieren wollte, musste sich schließlich dementsprechend verhalten. Überlegene Gegner zu provozieren, ist noch nie eine gute Idee gewesen. Also brauchte man ein paar grobe Daumenregeln, mit deren Hilfe man seine Mitmenschen rasch einordnen konnte. Die eine oder andere davon mag sich zwar durch kulturelle Einflüsse verändert haben. Das grundsätzliche Schubladendenken aber scheint rund um die Welt bis heute ganz ähnlich zu funktionieren.

Diese in der Evolution bewährten Mechanismen hat die Menschheit offenbar so stark verinnerlicht, dass sie auch in vollkommen unpassenden Situationen Anwendung finden. So neigen viele Menschen dazu, auch in der Frontpartie von Fahrzeugen eine Art Gesicht zu sehen. Studien zeigen sogar, dass beim Betrachten von Fahrzeugfronten die gleichen Gehirnströme aktiv sind wie beim Blick in ein menschliches Antlitz. Sonja Windhager und ihre Kollegen haben nun herausgefunden, dass viele Leute die Vorderseite von Fahrzeugen nach ganz ähnlichen Kriterien beurteilen wie menschliche Gesichter: Autos, die ein breites Fahrgestell und eine breite Kühlerhaube, dafür aber eine relativ kleine Windschutzscheibe haben, werden zum Beispiel als besonders männlich und dominant eingeschätzt.

Das mag zwar eine harmlose Kuriosität sein. In anderen Fällen aber hat das unkritische Anwenden der von der Evolution überlieferten Daumenregeln weitreichende Folgen. Denn es kann durchaus dazu führen, dass man Menschen in die falschen Schubladen steckt. Das zeigt sich zum Beispiel, wenn man Schulaufsätze mit den Bildern der angeblichen Autoren versieht. Lehrer neigen dann dazu, den gleichen Text besser zu beurteilen, wenn er von einem attraktiveren Kind stammt. Ähnliche Probleme gibt es auch bei Bewerbungen. Kandidaten, deren Foto auf Übergewicht schließen lässt, werden bei ansonsten identischen Bewerbungsunterlagen seltener zum Gespräch eingeladen – auch wenn der Body-Mass-Index mit der angestrebten Position überhaupt nichts zu tun hat.

Sonja Windhager plädiert daher dafür, Lehrer und Personalentscheider entsprechend zu schulen, um sie auf die Fallstricke des evolutionär verankerten Bauchgefühls aufmerksam zu machen. Wichtig sei es vor allem, solche Prozesse zu kennen und bewusst zu hinterfragen. Denn nicht jede Daumenregel, die sich in der Evolution bewährt hat, passt noch in die moderne Welt. "Heute ist zum Beispiel nicht mehr der Stärkste der Gefährlichste, sondern der mit dem roten Knopf für die Atombomben", sagt Sonja Windhager. "Auf solche Situationen hat uns die Evolution aber nicht gut vorbereitet."

Ressort: Bildung & Wissen

  • Zum Artikel aus der gedruckten BZ vom Sa, 20. Oktober 2018:
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