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Am Tropf der Geldgeber

  • Katharina Zeckau (KNA)

  • Di, 18. Juni 2019
    Computer & Medien

Ein kritischer Film über die Weltgesundheitsorganisation WHO.

Spielende Kinder am Strand: Szene aus dem Arte-Film  | Foto: Robert Cibis (ZDF)
Spielende Kinder am Strand: Szene aus dem Arte-Film Foto: Robert Cibis (ZDF)
"Die WHO ist krank. Sie ist unterfinanziert und unfrei in ihren Entscheidungen." Das ist das beunruhigende Fazit der Dokumentarfilmregisseurin Lilian Franck, die jahrelang den politischen und wirtschaftlichen Zwängen der Weltgesundheitsorganisation nachforschte. Nur 30 Prozent des Budgets der UN-Behörde sind gesichert – die restlichen 70 Prozent müssen, wie es deren Ex-Geschäftsführerin Margaret Chan selbst formuliert, Jahr für Jahr "erbettelt" werden.

Das macht die Behörde abhängig von Regierungen und Unternehmen. Was das wiederum für die gesundheitspolitischen Entscheidungen der WHO bedeutet, zeigt Franck in dem Dokumentarfilm "WHO – Am Tropf der Geldgeber" (Arte, 18. Juni, 23.30 Uhr). Der Film widmet sich drei Bereichen: dem Einfluss von Tabak-, Pharma- und Atomindustrie auf die WHO.

Den größten Raum nehmen dabei die Auswirkungen der Atomkraft auf die öffentliche Gesundheit ein. Erschütternd sind die Erkenntnisse, die Franck zum Reaktorunfall von Fukushima und den Versäumnissen der japanischen Regierung, der Betreiberfirma Tepco sowie der UN-Behörde sammelt: Wieso nach der Nuklearkatastrophe im März 2011 nicht flächendeckend die Einnahme von Jod empfohlen wurde, um Schilddrüsenkrebs bei den Betroffenen vorzubeugen – das erscheint auf den ersten Blick rätselhaft.

Weder der damalige japanische Premier Naoto Kan noch Gregory Hartl, der auch 2011 schon amtierende Pressesprecher der WHO, finden darauf eine überzeugende Antwort. Die nennt dann der frühere WHO-Mitarbeiter Keith Baverstock, der vermutet, man habe "keine Panik auslösen" wollen. Was diese Vorgehensweise für die Menschen vor Ort bedeutet, zeigt Franck auch: japanische Kinder, die in großem Ausmaß Mutationen ihrer Schilddrüse aufweisen. Und die achselzuckend Witze darüber machen, dass sie früh sterben werden. Öffentliche Kritik an der japanischen Regierung, einem ihrer Geldgeber, übt die WHO bis heute nicht. Aus der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl im Jahr 1986 hat die Weltgemeinschaft also offenbar wenig gelernt.

Ein Erzählstrang des Films handelt davon, wie viele Tote auf das Unglück in der Ukraine zurückzuführen seien: Die Zahlen reichen von um die 50, wie es die WHO zumindest zwischenzeitlich publiziert hatte, bis zu einer Million Tote. Unbestritten hingegen ist, dass die WHO zu gesundheitlichen Fragen der Atomenergie nur in Abstimmung mit der IAEO Stellung nehmen darf – einer Organisation, die sich der weltweiten Förderung der Kernenergie verschrieben hat. Lilian Franck lässt zahlreiche Kritiker von derlei Verstrickungen zu Wort kommen, darunter viele ehemalige WHO-Mitarbeiter, Mitarbeiter von Nichtregierungsorganisationen, Ärzte oder den langjährigen Bundestagsabgeordneten Wolfgang Wodarg. Ohnehin ist dieser Dokumentarfilm eine wahre Fleißarbeit. Dass Franck sich regelrecht in das Thema hineingekniet hat, ist ebenso beeindruckend wie unübersehbar: Die lange Liste ihrer hochrangigen Gesprächspartner spricht Bände. Auch ihre hartnäckige Interview-Weise nötigt großen Respekt ab.

Schade nur, dass sich der Film nicht ganz auf die Atomkraft fokussiert hat. Denn der Part über die Lobbyarbeit der Tabakindustrie wird daneben stiefmütterlich behandelt – und schmeckt nach ollen Kamellen. Auch finden sich in diesem ersten Teil des Films einige Passagen, die statt auf Fakten leider mehr auf dunkles Geraune setzen. Überflüssig erscheint zudem der Erzählstrang um die Tochter der Regisseurin, die als Motivation für die Recherchen genannt und als spielendes Natur-Kind ausführlich in Szene gesetzt wird: Als bräuchte man die Beglaubigung durch ein eigenes Kind, um sich Sorgen über die Gesundheit im Allgemeinen und die WHO im Speziellen zu machen. Nichtsdestotrotz ist "WHO – Am Tropf der Geldgeber" ein wichtiger, erschütternder und Augen öffnender Film.

Ressort: Computer & Medien

  • Artikel im Layout der gedruckten BZ vom Di, 18. Juni 2019: PDF-Version herunterladen

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