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"Wir fliehen, weil wir um unser Leben fürchten"

Marius Buhl
  • Do, 04. Februar 2016
    Computer & Medien

FUDDER-INTERVIEW: Firas al-Shater ist aus Syrien nach Deutschland geflohen – auf Youtube teilt er seine Erfahrungen.

Firas al-Shater, Zukar, fudder  | Foto: Youtube-Screenshot
Firas al-Shater, Zukar, fudder Foto: Youtube-Screenshot

In zwei Tagen wurde sein erstes Youtube-Video mehr als 200 000 Mal angeschaut: Firas al-Shater will mit "Zukar" Deutschland aus Flüchtlingsperspektive erklären. Marius Buhl hat mit dem Berliner aus Syrien über nervige Fragen, das Wörtchen "geil" und Deutschland an sich gesprochen.

Fudder: Herr al-Shater, wie ticken die Deutschen?
al-Shater: Die Deutschen sind Menschen – und Menschen sind unterschiedlich. Wenn ich einen kenne, kenne ich nicht alle. Selbst wenn ich eine Million kenne, kenne ich nicht alle. Mit Flüchtlingen ist das genauso. Wir sind Menschen und wir sind unterschiedlich.
Fudder: Erinnern Sie sich an die ersten Deutschen, die Sie kennen gelernt haben?
al-Shater: Das waren meine Arbeitskollegen. Ich war vor zweieinhalb Jahren einer der ersten Syrer, die hierher kamen. Ich wurde in Syrien verfolgt und wollte hier einen Dokumentarfilm drehen. Die Kollegen hatten tausende Fragen: über Syrien, Assad und den Krieg. Teilweise fühlte ich mich wie ein Außerirdischer.
Fudder: Haben Sie gerne geantwortet?
al-Shater: Anfangs ja. Aber wenn Du die selben Fragen schon dutzende Male beantwortet hast, nervt es irgendwann. Wenn mir die Fragen zu viel werden, sage ich deshalb noch heute: "Ich komme aus Jordanien." Dann fragt niemand mehr.
Fudder: Sie mussten auch die Sprache lernen. Was war Ihr erstes deutsches Wort?
al-Shater: "Entschuldigung". Ich fand es so schwer, dass ich mir vornahm, nie etwas falsch zu machen – um dieses Wort nicht aussprechen zu müssen. Mein Lieblingswort ist aber "geil". Man kann das gar nicht recht ins Arabische übersetzen, genauso wenig wie etwas das Wort "kuscheln". Die Sprachen unterscheiden sich zu stark.
Fudder: In Deutschland wächst die Zahl der Flüchtlingsgegner. Wie erleben Sie das?
al-Shater: Ach, man hört und liest viel über Pegida und die AfD. Aber auf mein erstes Video bei Youtube habe ich viel Zuspruch bekommen. In den Kommentaren sind nur wenige Ausländerhasser. Manche von denen haben geschrieben: "Ich mag Flüchtlinge zwar nicht, aber du bist ein cooler Typ. Du hast Deutsch kennen gelernt, zahlst Steuern – solche wie du sollen hier bleiben. Aber alle anderen raus!"
Fudder: Eine AfD-Politikerin hat gefordert, notfalls auch Kinder an der Grenze zu erschießen.
al-Shater: Grauenhaft. Ich frage mich: Hat jemand deren Oma erschossen, als sie im zweiten Weltkrieg geflüchtet ist? Was ich meine: Man flieht nicht, weil man es irgendwo anders ein bisschen besser findet. Wir fliehen, weil wir um unser Leben fürchten. In Syrien hast Du derzeit die Wahl zwischen kämpfen und töten oder protestieren und im Gefängnis landen.
Fudder: Sie selbst waren im Gefängnis.
al-Shater: Ich war damals einer der ersten Syrer, die gegen Assad protestiert und Filme und Videos von den Demonstrationen gemacht haben. Der Geheimdienst hat mich in Damaskus in verschiedene Gefängnisse gesteckt, meine Familie hat mich freigekauft. Ich bin dann in den Norden Syriens geflüchtet, wo die ’Freie Syrische Armee’ kämpfte und habe von dort aus gefilmt. Mitte 2013 kam ich dann nach Deutschland. Dass ich eines Tages ein deutscher Youtube-Promi werden würde, habe ich nicht gedacht.
Fudder: Gibt es das Phänomen Youtuber in Syrien auch?
al-Shater: Es gibt Youtuber, aber längst nicht so viele. Als ich in Nordsyrien gefilmt habe, musste ich immer in die Türkei fahren, um die Videos hochzuladen.

Firas al-Shater, 26, stammt aus dem syrischen Homs. Seit zweieinhalb Jahren lebt der Videojournalist in Berlin.

Das Video gibt’s unter      http://fudr.fr/zukar

Ressort: Computer & Medien

  • Artikel im Layout der gedruckten BZ vom Do, 04. Februar 2016: PDF-Version herunterladen

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