Account/Login

Gefangen zwischen Himmel und Erde

  • Mo, 22. Juni 2015, 09:57 Uhr
    Schönau

BELCHEN. "Dort oben sieht man schon die Bergstation", freut sich eine Besucherin, die mit der Seilbahn Richtung Gipfel schwebt. Gleichmäßig gleitet die Kabine bergauf, nur unterbrochen durch ein leichtes Ruckeln, wenn eine der acht Stahlstützen auf dem 1150 Meter langen Weg nach oben passiert wird. Die Sonne heizt die Luft in der rundum verglasten Kabine der Belchen-Seilbahn auf. Auch Tobias Beckert genießt den Ausblick auf den Schwarzwald durch den Sucher seiner Kamera und schießt ein paar Bilder. Ein älteres Paar studiert murmelnd die Landkarte. Plötzlich hält die Seilbahn ohne erkennbaren Grund. In der hin- und herschwingenden Gondel verstummen die Gespräche.

Drei Bergwachtleute steigen die Leiter an dem Stützpfeiler hoch,  | Foto: Rosendahl
Drei Bergwachtleute steigen die Leiter an dem Stützpfeiler hoch, Foto: Rosendahl

BELCHEN. "Dort oben sieht man schon die Bergstation", freut sich eine Besucherin, die mit der Seilbahn Richtung Gipfel schwebt. Gleichmäßig gleitet die Kabine bergauf, nur unterbrochen durch ein leichtes Ruckeln, wenn eine der acht Stahlstützen auf dem 1150 Meter langen Weg nach oben passiert wird. Die Sonne heizt die Luft in der rundum verglasten Kabine der Belchen-Seilbahn auf. Auch Tobias Beckert genießt den Ausblick auf den Schwarzwald durch den Sucher seiner Kamera und schießt ein paar Bilder. Ein älteres Paar studiert murmelnd die Landkarte. Plötzlich hält die Seilbahn ohne erkennbaren Grund. In der hin- und herschwingenden Gondel verstummen die Gespräche.

Acht Meter über dem Boden pendelt die Gondel. Auch die anderen knallgelben Gondeln der Seilbahn sind zum Stehen gekommen, mitten im Fahrbetrieb. Doch die Eingeschlossenen sind nicht alleine: Kurz nach dem Stopp zerreißt eine laute Männerstimme aus den Lautsprechern an den Stützen die Stille: "Sehr geehrte Fahrgäste, wir haben eine technische Störung. Leider ist es uns in absehbarer Zeit nicht möglich, den Fahrbetrieb wieder aufzunehmen. Die Bergwacht ist alarmiert. Bitte bewahren Sie Ruhe und unterstützen Sie die Rettungskräfte!"

18 Uhr, Talstation in Multen: Alle Kabinen verharren auf der Strecke, die Bergwachten aus Schönau, Wieden, Todtnau, Todtnauberg, Istein, Muggenbrunn, Münstertal und Sulzburg mit 40 Einsatzkräften sind über die Rettungsleitstelle in Lörrach alarmiert und bereits auf der Anfahrt nach Obermulten. Alle 47 Fahrgäste haben sich für diese Großübung freiwillig in diese Situation begeben. Ihnen steht eine luftige Rettung bevor. Im Wagen der Einsatzleitung am Boden werden derweil Funkverbindungen eingerichtet und überprüft. Auf einem der Monitore ist eine Landkarte des Einsatzgebiets zu erkennen. Bergwacht-Einsatzleiter Kai Kiefer kontrolliert mit dem Fernglas die Situation entlang der Seilbahnstrecke. Im Ernstfall werden auch Feuerwehren und Sanitätsdienste alarmiert, doch darauf wurde diesmal verzichtet.

18.09 Uhr: Die ersten Rettungskräfte treffen an der Talstation ein und werden von Kiefer und seinem Team über die aktuelle Lage informiert und eingewiesen.

18.20 Uhr: Immer mehr Einheiten melden sich in voller Ausrüstung einsatzbereit, wobei der Bahnbetreiber die Rettungssysteme und Seile bereitstellt, während die Einsatzkräfte Gurte und Helme selbst mitbringen. Die Strecke zwischen zwei Stützen ("Stützenfelder") werden berg- und talwärts den Rettungstrupps zugewiesen. Pro Kabine werden drei Retter eingeteilt, die sich dann zur nächsten, von der Kabine aus bergwärts befindlichen, Seilbahnstütze begeben. An den fest montierten Leitern klettern zwei Retter nach oben, wo sie auf einer Plattform die weiteren Aktionen vorbereiten, während die dritte Person die Sicherung vom Boden aus einrichtet. Volle Konzentration ist allen ins Gesicht geschrieben, obwohl alle Griffe vielfach geübt sind. Dennoch darf keine Routine aufkommen, sie könnte Unachtsamkeit begünstigen.

Mit einer Seilfahrrolle und einem Gurt wird nun Andreas Steiger, Bergretter aus Schönau, am Drahtseil der Bahn hängend zur Kabine hinab gelassen. Sein Bergwachtkollege auf der Plattform reguliert die Geschwindigkeit mit einem sogenannten Bremsseil. Auf dem Kabinendach angekommen, sichert sich Andreas Steiger per Karabinerhaken an der Kabine erstmal selbst. Durch die Kabinenfenster nimmt er Kontakt zu den Fahrgästen auf. Er gibt Anweisungen und beruhigt die Leute, bevor er die Kabinentür von außen öffnet. Mit Hilfe einer Strickleiter klettert er in die Kabine, wo er die Fahrgäste einzeln auf das Abseilen vorbereitet. Rettungsgurte werden angelegt. Es gibt ein paar aufmunternde Worte, und vorsichtig schwingt der Fahrgast mit dem Gesicht zur Kabine ins Freie. Gesichert durch den dritten Bergretter schwebt er zu Boden, wo ihn Bergwachtleute empfangen.

18.58 Uhr: Knapp eine Stunde nach der Alarmierung ist der erste Fahrgast ohne Zwischenfall evakuiert. Entlang der Seilbahnstrecke wiederholen sich die Bilder: Rettungstrupps in Uniformen im Gelände, auf den Plattformen oder bereits in den Kabinen beim Vorbereiten der Fahrgäste fürs Abseilen. Allradfahrzeuge bringen die "Geretteten" zur Talstation.

19.30 Uhr: Tobias Beckert trifft an der Talstation ein. Sonst als Feuerwehrmann im Einsatz, hat ihm die Opferrolle neue Perspektiven eröffnet: "Unsere Retter haben so umsichtig und professionell gearbeitet, soviel Ruhe und Selbstvertrauen ausgestrahlt, dass ich mich zu keinem Zeitpunkt geängstigt habe", erzählt er.

20 Uhr: "Letzter Fahrgast erfolgreich evakuiert", meldet ein Retter per Funk. Alle 47 Fahrgäste in den Gondeln sind wohlbehalten zurück. Erleichterung und Stolz spiegelt sich in den Gesichtern der Einsatzkräfte, die nach und nach an der Talstation eintreffen. "Geschafft", stellt auch Einsatzleiter Kai Kiefer zufrieden fest. Die Übung wurde ohne Zwischenfälle unter Einhaltung der Zeitvorgaben erfolgreich abgewickelt. Koordination aller Kräfte, die Zusammenarbeit und die Kommunikation haben einwandfrei funktioniert. Inzwischen schwindet das Tageslicht, die Dämmerung zieht auf. Dunkle Wolkentürme kündigen einen Wetterwechsel an, Regentropfen fallen. Retter und Gerettete machen sich nach diesem Nervenkitzel auf den Heimweg.

Weitere Bilder im Internet unter http://www.badische-zeitung.de/fotos

Ressort: Schönau

  • Artikel im Layout der gedruckten BZ vom Mo, 22. Juni 2015: PDF-Version herunterladen

Artikel verlinken

Wenn Sie auf diesen Artikel von badische-zeitung.de verlinken möchten, können Sie einfach und kostenlos folgenden HTML-Code in Ihre Internetseite einbinden:

© 2024 Badische Zeitung. Keine Gewähr für die Richtigkeit der Angaben.
Bitte beachten Sie auch folgende Nutzungshinweise, die Datenschutzerklärung und das Impressum.

Kommentare


Weitere Artikel