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Reportage

So haben Kinder die Zeitungsarbeit erlebt

Nadine Zeller, Sophia Hesser

Von &

Sa, 25. Oktober 2014 um 11:51 Uhr

Freiburg

Einen Tag lang haben die Kinder mitbestimmt, was in der Zeitung steht – sie haben Interviews geführt, Artikel geschrieben und Fotos gemacht. Ein Werkstattbericht.

Auskünfte bitte! Reporterin im Dienst  der Badischen Zeitung  | Foto: nils oettlin/rita Reiser/fotolia
Auskünfte bitte! Reporterin im Dienst der Badischen Zeitung Foto: nils oettlin/rita Reiser/fotolia
Was ist denn hier los? Mädchen rennen mit Notizblöcken durch die Gänge, ein kleiner Junge mit einer Kamera, so groß, dass sein Kopf dahinter verschwindet, knipst jeden, der ihm in die Quere kommt. Den Chefredakteur, die Sportredakteure, den Layoutchef. Im Redaktionskonferenzraum malen Kinder Bilder. Das Pressehaus der Badischen Zeitung in Freiburg ist an diesem Freitag Opfer einer freundlichen Übernahme.

Das Zeitungsprojekt ZiSch (Zeitung in der Schule) feiert zehnten Geburtstag – und ist damit halb erwachsen. Also machen heute die Kinder die Zeitung. Und das sieht dann so aus:

9.50 Uhr Sportredaktion: Redakteur Georg Gulde tippt mit den Kinderreportern Julian Günther und Johannes Am Ende ein Interview ab. Schon tags zuvor waren die zwei Jungs auf der Pressekonferenz des SC Freiburg und haben ein Interview mit SC-Kapitän Julian Schuster geführt. Das kürzen sie jetzt.

Rückblende, Donnerstag: Christian Streich betritt den Raum. Die Journalisten schauen auf, wollen sehen, wie der SC-Trainer auf die Kinder reagiert. Streich setzt sich hin, dann entdeckt er die zwei Jungs in der ersten Reihe. "Ja, hallo", sagt er, "wer seid ihr denn?" Schüchtern sagen die Jungs ihre Namen. Streich geht um den Tisch herum, schüttelt ihnen die Hand und stellt die dümmste aller Fragen. "Kennt ihr mich? Ich bin der Christian Streich." Die Jungs nicken andächtig und schauen ihn mit großen Augen an.

Später in der Mixed Zone beim Interview mit Julian Schuster sind sie dann schon selbstbewusster. Schuster wundert sich über den Gips an Julians Arm. "Wie ist das denn passiert?", fragt er. "Beim Fußball", antwortet Julian. Von da an läuft das Gespräch wie von selbst. Jetzt noch eine Überschrift finden, und das Ding ist rund.

10.10 Uhr im Konferenzraum: Lara, Lara, Lilli und Ronja scharen sich um Peter Friedrich (SPD). Der baden-württembergische Europaminister ist auf Redaktionsbesuch – das lassen die Mädels sich nicht entgehen. Sie sind nicht nur neugierig, auch vorbereitet – der Stift ist gezückt, der Fragespickzettel liegt bereit. Reisen Sie viel? Als der Minister gerade dabei ist zu erklären, dass seine Reisen kein Urlaub seien, sondern Geschäftsreisen, sagt Lara teilnahmsvoll: "Ja, das ist sicher sehr stressig."

Als Friedrich dann beschreibt, wie Baden-Württemberg gedenkt, künftig mit Flüchtlingen umzugehen und mehr Geld in sie zu investieren, nickt Lili und vergibt etwas, das Politikprofis sonst nicht so oft von Medienprofis hören, Lob: "Das ist gut", sagt Lilli, "sehr schön."

Später stehen sie vor dem Rechner im Newsroom herum und feilschen mit Blattmacher Thomas Fricker um jede Zeile. Er sagt: "So groß ziehen wir jetzt eure Box, in die der Interviewtext einfließt. Wenn aber noch irgendetwas anderes in der Welt passiert, machen wir sie kleiner, dann müsst ihr mehr von dem Interview rauskürzen." Die Mädels reißen entsetzt die Augen auf, so hatten sie sich das nicht vorgestellt. Deskchefin Frauke Wolter sagt trocken: "So macht er das mit mir auch immer."

Die Mädchen sind dann aber nicht zimperlich beim Kürzen. Weg damit, interessiert niemand – da kennen sie nichts. Worthülsen, unkonkrete Aussagen? Raus. Im Nu ist das Interview verdichtet.

10.30 Uhr im Newsroom: Jannis ist begeistert. Eine große Uhr prangt auf der digitalen Zeitungsseite. In dem Artikel für die Seite "Aus aller Welt" geht es um die Zeitumstellung – warum es sie gibt, wie lange schon und anderes mehr. Jannis hat geholfen, den Artikel mitzugestalten.

Dann der Schreck, die Agenturen vermelden wieder einen Ebola-Toten – dieses Mal in New York. Der Zeitumstellungsartikel wird zur Meldung geschrumpft. Jannis ist enttäuscht. Und beginnt er, mit der Redakteurin zu verhandeln. "Kann nicht die Politik Ebola übernehmen? Dann haben wir mehr Platz auf unserer Seite." So läuft das im Newsroom. Es wird diskutiert, gewichtet und argumentiert.

11.30 Uhr im großen Konferenzraum: So viele Menschen waren noch nie in der täglichen Redaktionskonferenz. Die Kinderreporter vertreten die einzelnen Ressorts und sagen, was diese für den morgigen Tag planen. Zwanzig Minuten später – die Tagesthemen stehen bereits. Noch Fragen?

"Warum gibt es nicht mehr ,Erklär’s mir‘ in der Zeitung?", will ein Kind wissen. Thomas Fricker, der stellvertretende Chefredakteur, muss zugeben: "Wisst ihr, die zu schreiben, ist gar nicht so einfach. Da kommen selbst wir erfahrene Redakteure ins Schwitzen." Außerdem gebe es da immer das Platzproblem: Jeder Redakteur will einen angemessenen Platz für seinen Text, daher muss entschieden werden, was wichtig ist und was nicht. Genug palavert. Nach der Konferenz stürmen die Reporter wieder die Redaktionsräume.

12.05 Uhr im Verlagsgebäude: "Wir wollen mit dem Chef sprechen!" Die Onlinereporter Alexandra und Florian aus Pfaffenweiler betreten ungeniert das Büro des BZ-Geschäftsführers. "Wie heißt du?", fragt Alexandra, den Notizblock fest in der Hand. "Hans Otto", antwortet der Überfallene. "Nachname?", setzt die junge Reporterin forsch nach. "Holz." Alles wird notiert. Florian trägt eine große Fotokamera um den Hals, schießt ein Bild vom Geschäftsführer und will wissen, ob er die Zeitung gegründet oder seinen Posten nur geerbt habe. Holz lacht und sagt: "Die Zeitung gibt es schon ganz lange und so alt bin ich doch noch gar nicht. Ich kann sie also gar nicht gegründet haben. Ich bin hier ein angestellter Chef, aber es gibt ja viele verschiedene Chefs."

13.30 Uhr im Reportageressort. Redakteur Stefan Hupka spricht in kulinarischen Metaphern zu den Kindern: "Ein Interview ist wie ein Ragout, je mehr ihr es eindampft, desto besser wird es." Verständnislose Blicke. Ein neuer Anlauf: "Oder wie Spaghettisauce. Spaghetti Bolognese – das hattet ihr doch zum Mittagessen."

14 Uhr in der Kulturredaktion: Es sprudelt fast zeitgleich aus den Mündern: Kaja, Jonas, Noemi und Nico waren am Vormittag im Theater im Marienbad. Dort haben sie sich das Stück "Ein Schaf fürs Leben" angesehen. "Es gab einen Mann, dessen Kopf auf einem Tablett serviert wurde", sagt Jonas aufgeregt. Niko nickt heftig, die Szene scheint sie nachhaltig beeindruckt zu haben. Kulturredakteurin Heidi Ossenberg sucht mit den Kindern einen guten Einstieg für den Artikel. "Machen wir das jetzt dick?", fragt Noemi. "Ja genau, der Vorspann ist bei der BZ immer fettgedruckt", sagt die Redakteurin und schmunzelt. "Wenn wir Kinder jetzt nicht hier wären, würdet ihr dann auch ins Theater gehen?", fragt Kaja. "Na klar, nur müssten wir den Text dann ohne eure Hilfe schreiben."

14.20 Uhr in der Wirtschaftsredaktion: Redakteur Michael Saurer schlägt vor, dass die vier Gastreporter einen Kommentar zum Thema Taschengeld schreiben. Amelie, die einen Computerkurs in der Schule belegt, will selbst an die Tastatur. Keine Chance für den Redakteur – schon in der nächsten Sekunde stecken Amelie, Melanie, Aliyah und Yunus ihre Köpfe vor dem PC zusammen. Amelie tippt, die anderen formulieren. "Wenn man viel Geld bekommt, muss man nicht wirklich gut drauf aufpassen", steht auf dem Schirm.

"Das ist Umgangssprache, das muss darauf` heißen", ruft Melanie. Redakteur Saurer kommt bei diesem wilden Hühnerhaufen kaum zu Wort. 15 Uhr im Pressehaus: Die Kinder gehen heim – ihre Arbeit ist vollbracht. Jetzt müssen die Erwachsenen alleine klarkommen.

Mehr zum Thema:

Ressort: Freiburg

  • Zum Artikel aus der gedruckten BZ vom Sa, 25. Oktober 2014:
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