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Schluss mit der Mitleidsfarce

Simon Fuenfgelt, Klasse 9c, Kepler-Gymnasium, Freiburg

Von Simon Fuenfgelt, Klasse 9c, Kepler-Gymnasium & Freiburg

Fr, 15. Januar 2016 um 12:53 Uhr

Schülertexte

Am 13. November ist in Paris ein schwerer Terroranschlag mit 130 Toten passiert. Natürlich sind viele Europäer und vor allem Franzosen und Deutsche aufgeschreckt. Der Terror des IS ist ganz nah gekommen. Die Angst, dass es einen Anschlag in Deutschland geben könnte, ist größer als je zuvor. Nun kann man beobachten, dass viele Nutzer in sozialen Netzwerken ihr Mitgefühl mit unseren Nachbarn bekunden wollen. Bei Franzosen oder Leuten, die mit dem Land sehr verbunden sind, ist es verständlich, dass sie ihre Trauer mit Symbolen und Hashtags ausdrücken wollen. Für sie ist es eine Art der Trauerbewältigung. Doch bei vielen anderen Usern, die eigentlich mit der Sache gar nichts zu tun haben, wird es immer mehr zur Farce.

Man wird an die Traueraktionen nach Charlie Hebdo erinnert. Und man kann einen regelrechten Wettkampf erkennen. Während der eine mit der Tricolore als Profilbild auftrumpft, warten andere schon mit dem Eiffelturm als Friedenssymbol auf. Ungeschlagen bleiben die, die zwei Merkmale schon haben und sich dann noch entsprechende Zitate (oft sind sie falsch zitiert und die Personen, die sie posten, verstehen sie selber nicht so ganz) und Signaturen anfertigen, zum Beispiel "Je suis Paris". Niemand will sich lumpen lassen, sondern zeigen, wie viel Mitgefühl er hat. Da kann der Einzelne sich super aus der Masse hervortun. Jeder Z-Promi gibt ein Statement darüber ab, wie fassungslos er ist und was er empfindet. Man hat das Gefühl, jeder benutzt dieselben abgenutzten Phrasen. Und so kann man dann beweisen, was für ein Gutmensch man ist. Das kommt gut an.

Auch für die Medien muss dies ein Fest sein. Die Sache wird fast so ausgeschlachtet wie der 11. September. Überall erscheinen Augenzeugenberichte, und teils halbgare Hintergrundinformationen werden in die Runde geworfen. Langweilig gewordene Themen wie die Flüchtlingskrise oder Konflikte anderswo in der Welt treten weit zurück. So kriegt der schlagzeilengierige Deutsche endlich wieder frisches Futter. Häppchenweise wird das Thema aufgedröselt. Hier ein Bild, dort ein Video. Er hat wieder ein neues Thema, mit dem er sich im Alltag brüsten kann.

Ich habe das Gefühl, die Leute bewegen sich gern auf dem Grat zwischen Angst und Faszination am Schrecklichen. Man ist ja schon irgendwie schockiert, aber endlich gibt es neue Bilder und Gesprächsstoff im Netz statt vom Abendessen oder schönen Sonnenuntergängen. Man kann sich in der allgemeinen Angst auch prima unzählige Horrorereignisse ausmalen. Und schlechte Nachrichten verkaufen sich bekanntlich sowieso am besten.

Fraglich ist nur, ob Leute, die schnell ihr Profilbild überarbeiten, um ihr Mitgefühl und ihre Solidarität zu zeigen, überhaupt mal in sich gehen und sich wirklich Gedanken zum Geschehen machen, statt schnell irgendwelche Phrasen rauszuhauen. Und warum fühlt sich ein Großteil mit Frankreich solidarisch und mit entfernteren Ländern nicht? Spielen die geografischen Distanzen in Zeiten der Globalisierung nicht eine untergeordnete Rolle? Wächst die Welt nicht immer mehr zusammen?

Wo waren die Beileidsbekundungen der Massen für Russland, als viel mehr Menschen starben, wo waren die Hashtags für Nigeria, und wer hat sein Profibild mit der jemenitischen Flagge bestückt? Interessant wird es halt erst, wenn Leute in greifbarer Nähe grausam und mit viel "Action" sterben. Wann finden denn die TV-Brennpunkte für täglich tausende leise und friedlich verhungernde Kinder statt? Dies ist für uns anscheinend uninteressant. Obwohl wir wahrscheinlich mehr dagegen unternehmen könnten als gegen fanatische Gruppen anzukämpfen. Obwohl doch für uns jeder Mensch, egal woher er kommt, gleichwertig sein sollte. Die Wahrheit sieht dann doch wieder mal anders aus. Wir sollten auf jeden Fall mit Frankreich trauern, aber den Maßstab nicht aus den Augen verlieren. Und vor allem diesen, in meinen Augen widerlichen Mitleids- und Solidaritätsbekundungswettbewerb sein lassen, wenn die Trauer nicht zur Farce werden soll.

Ressort: Schülertexte

  • Zum Artikel aus der gedruckten BZ vom Fr, 18. Dezember 2015:
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