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Seit 90 Jahren verschnupft

  • kna

  • Di, 29. Januar 2019
    Panorama

Das Tempotuch ist zum Synonym für eine ganze Produktkategorie geworden / Markenforscher finden das nicht unbedingt gut.

Die Packungen haben sich verändert, de...mengeschichte  fast gleich geblieben.   | Foto: dpa
Die Packungen haben sich verändert, der Inhalt ist in den 90 Jahren Firmengeschichte fast gleich geblieben. Foto: dpa

NÜRNBERG/STUTTGART(dpa/KNA). Das Tempo wird 90 und hält sich beharrlich als Synonym für das Papiertaschentuch an sich. Ein Segen für die Marke, sagen Experten. Und ein Fluch zugleich.

Irgendwer hat immer eins zur Hand. Sie stecken in Millionen Jacken-, Hand- und Hosentaschen, meist zerknüllt und ganz unten. Millionen nutzen Papiertaschentücher – viele davon Tempo. Und viele nutzen irgendein anderes und sagen trotzdem Tempo. Denn wie nur wenige andere Marken haben es die akkurat gefalteten Tücher aus der blauen Packung geschafft, mit ihrem Namen in den allgemeinen Sprachgebrauch überzugehen.

Am heutigen Dienstag feiert die Marke ihren 90. Geburtstag. Am 29. Januar 1929 meldete der jüdische Geschäftsmann Oskar Rosenfelder, Mitinhaber der Vereinigten Papierwerke Nürnberg, seine Erfindung beim Reichspatentamt in Berlin an. Und schon kurz danach kam die damalige Produktionstechnik der enormen Nachfrage kaum nach. Bis 1933 wurde das Tempo in Heimarbeit und später von Wohlfahrtswerkstätten in Nürnberg gefaltet. Dank moderner Fertigungsmaschinen konnte die Produktion auf 150 Millionen Stück im Jahr 1935 gesteigert werden – da waren die Brüder Oskar und Emil, nachdem sie nach England emigrierten, schon von den Nazis enteignet. Es war ein Entrechtungsprozess bei dem Justiz, Wirtschaft und die Deutsche Bank Hand in Hand arbeiteten; der Gründer des Quelle-Kaufhauses, Gustav Schickedanz, gelangte in den Besitz des Unternehmens, nachdem das Vermögen der Besitzer beschlagnahmt worden war.

1939 lag der Absatz bei 400 Millionen. 1955 waren es schon 1 Milliarde – 2004 lag er bei 20 Milliarden. Es wechselten Packungsgrößen und Verschlüsse, der markante weiße, geschwungene Schriftzug auf dunkelblauen Grund wurde in den 50er Jahren ein letztes Mal verändert, trotz wechselnder Hersteller. Schickedanz verkaufte das Unternehmen an Procter und Gamble, diese Firma stieß es an den schwedischen Konzern SCA ab.

Verändert hat sich seither wenig – und auch der Markenname hat sich zu einem Symbol für das Produkt an sich entwickelt. Generische Verselbstständigung heißt das Phänomen, das man auch von Uhu, Tesa, dem Labello, dem Edding, der Tupperdose oder auch dem Walkman kennt – mal mehr, mal weniger, und zum Teil auch regional unterschiedlich.

"Das ist Fluch und Segen zugleich", sagt Franz-Rudolf Esch, Direktor des Instituts für Marken- und Kommunikationsforschung der EBS Business School in Oestrich-Winkel. "Exklusive Markenbekanntheit ist erst einmal etwas sehr Wertvolles", sagt er. Das gelinge nur denen, die ein Produkt ganz neu erfinden oder den Markt in einer Kategorie dominieren. Tempo habe das getan, den Markt geprägt, Innovationen vorangetrieben.

So verbucht die Marke die Erfindung der sogenannten Z-Faltung für sich, die seit 1975 dafür sorgt, dass man die Tempo-Tücher mit einer Hand auseinanderschütteln kann. 1988 kam die wiederverschließbare Packung, in den 90er-Jahren die Taschentuch-Box, zwischendurch diverse Balsam- und Öl-Zusätze.

Auf den Namen selbst komme es natürlich auch an, sagt Sybille Kircher, die Chefin der Düsseldorfer Agentur Nomen, die im Auftrag von Unternehmen Produkt- und Markennamen entwickelt. Wenn er kurz sei, sich leicht zum Plural oder gar – wie etwa bei Google – zu einem Verb machen lasse, fördere das die Verselbstständigung. Und natürlich wenn ein Produkt so innovativ sei, dass es dafür im allgemeinen Sprachgebrauch noch gar keinen Begriff gebe. Darauf seien die Hersteller dann zunächst einmal sehr stolz.

Doch Kircher warnt ihre Kunden vor solchen Effekten. Denn die Frage ist, wie lange eine Marke von ihrer Bekanntheit profitieren kann. Denn der Hersteller habe meist viel Geld investiert, um seine Marke bekannt zu machen. Und der Kunde sage dann zwar auch Tempo, meine und kaufe aber: irgendwelche Taschentücher. "Der Hersteller hat dann die Investition in die Marke verloren."

Esch verweist auf ein weiteres Problem: "Wenn eine Marke nur mit Schnupfen verbunden wird, ist es schwierig, neue Produktfelder zu erschließen. Nivea sei so ein Beispiel, bei dem es gelungen sei. Da stehe ein Name, der einst nur mit einer Creme verbunden gewesen sei, heute für das Thema Pflege insgesamt.

Ressort: Panorama

  • Artikel im Layout der gedruckten BZ vom Di, 29. Januar 2019: PDF-Version herunterladen

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