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Mit der Geschmeidigkeit einer Katze zur Goldmedaille

  • Di, 10. Oktober 2017
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IM PROFIL: Turnerin Pauline Schäfer gewinnt bei der WM auf dem Schwebebalken / So glatt wie dieses Mal lief es für sie nicht immer.

Pauline Schäfer   | Foto: AFP
Pauline Schäfer Foto: AFP
Als Pauline Schäfer, die riesige Medaille in Form eines Bagels um den Hals, direkt nach ihrem Triumph gefragt wurde, wie es für sie weitergehe, da fiel der 20-Jährigen nicht viel ein. Die deutsche Nationalhymne war in der Olympia-Turnarena von Montreal gerade erst verklungen, die Gewissheit, etwas Großes geleistet zu haben, hatte sich bei der neuen Königin am Schwebebalken noch nicht vertieft. Es werde sich nichts ändern, betonte die deutsche Kunstturn-Weltmeisterin. Training, Wettkämpfe und nebenbei die Schule, in der die Sportsoldatin das bislang versäumte Abitur nachholen will, sollen ihren Alltag bestimmen.

Im Verlauf des Abends konnte die 20-Jährige einen ersten Eindruck davon bekommen, was sie in nächster Zeit auch noch in den sowieso schon vollgepackten Terminplan stopfen muss. Doch das Medienparkett, auf dem sie sich öfter wird bewegen müssen, ist nicht das ihre. Während die drei Jahre jüngere Ludwigsburgerin Tabea Alt, die als Bronzemedaillengewinnerin am ehemaligen Zittergerät den Erfolg des Deutschen Turner-Bundes (DTB) bei den Titelkämpfen in Kanada komplettierte, stets freundlich, ausführlich und selbstbewusst Auskunft gibt, wirkt Schäfer in der Öffentlichkeit oft zurückhaltend und um die richtigen Worte verlegen.

Auf dem Schwebebalken ist sie dagegen in ihrem Element. Dort, auf dem nur zehn Zentimeter schmalen Steg, bewegt sich die Begabte mit der Geschmeidigkeit einer Katze. Ihre hohe Flexibilität erlaubt der gebürtigen Saarländerin die schwierigsten Sprünge, macht es ihr möglich, den Oberkörper so weit zurückzubeugen, dass sie sich im Flug mit ihrem Fuß am Kopf kratzen kann. Dass sie nicht sieht, wo sie landet, macht ihr nichts aus. Dieses blinde Vertrauen in das eigene Gefühl hat der Bierbacherin ein Übungsteil ermöglicht, das vor ihr noch keine andere Athletin aufs Gerät gebracht hat: einen Seitwärtssalto mit halber Schraube, der unter ihrem Namen in den internationalen Wertungsvorschriften, dem Code de Pointage, steht. Erfunden hat die Deutsche ihn nicht, schaute sich das Element bei einem Trainingslager in Kanada ab, wo andere Athletinnen es vergeblich versuchten.

Dabei ist sie kreativ, experimentiert mit Gabi Frehse, ihrer Trainerin, gerne an neuen Bewegungsvarianten. Seit fünf Jahren arbeiten die beiden gemeinsam. Damals wechselte die beim TV Pflugscheid-Hixberg groß gewordene Sportlerin an den Stützpunkt nach Chemnitz. Die Entscheidung, die Heimat zu verlassen, fiel ihr nicht leicht, war aber unumgänglich, wollte sie vorankommen. Mittlerweile leben Schäfers ebenfalls turnende Schwester Helene und einer ihrer Brüder auch in der sächsischen Stadt. Sie habe einen Teil ihrer Familie eben einfach zu sich geholt, hat sie dazu mal gesagt.

Doch es gab da noch eine weitere Schwierigkeit zu überwinden: Schäfer brachte eine Rückwärtsblockade mit, hatte Angst vor den Überschlägen, bei denen man erst mal ins Leere springt. 2013 verpasste sie dadurch die Qualifikation für die Europameisterschaft. Es war einer dieser Weckrufe, die sie offenbar braucht, auf die sie gerne erst mal mit Trotz, aber dann doch mit zusätzlicher Motivation reagiert. Vor ihrem eindrucksvollen Auftritt in Montreal gab es eine ähnliche Enttäuschung. Die knapp geschlagene Zweite der deutschen Meisterschaft hatte sich Hoffnung gemacht, in Kanada im Mehrkampf starten zu dürfen. Als die Nominierung sie nur für Boden und Balken vorsah, nahm sie diese Aufgabe laut Bundestrainerin Ulla Koch "hochkonzentriert" und "fokussiert" an.

Die Sicherheit, gepaart mit exakter Ausführung, die sie bei ihren beiden Übungen in der Olympiastadt von 1976 zeigte, beeindruckte und bescherte ihr das Gold. Denn in puncto Schwierigkeit hatte sie zurückstecken, die Übung wegen einer Rückenverletzung leichter machen müssen. "Mit dem Kopf hatte ich eigentlich nie Probleme", hat Schäfer einmal gesagt. Sie hat es bewiesen.

Nicht immer lief alles so glatt. 2015 in Glasgow gewann sie bei der WM schon mal Bronze, weil sie bei der Gratwanderung Haltung bewahrte, während andere abstürzten. Doch auch sie selbst kennt das Gefühl, auf dem harten Boden aufzuschlagen, wenn man nach einer Medaille greift. Zuletzt hatte sie es bei Olympia 2016 und der EM im April gespürt. Dass sie so eindrucksvoll zurückkehren würde, damit hatte sie nicht gerechnet.

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  • Artikel im Layout der gedruckten BZ vom Di, 10. Oktober 2017: PDF-Version herunterladen

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