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BZ-Interview

Freiburg-Trainer Streich: "Ich habe die Zeit genossen"

René Kübler

Von

Sa, 14. Mai 2016 um 14:10 Uhr

SC Freiburg

Zum Saisonkehraus reist der SC Freiburg zu Union Berlin. Vorher spricht Trainer Christian Streich im Interview über beruhigende Gefühle, die Papa-Rolle, bekannte Ängste und unberechtigte Pfiffe.

Im Aufstiegsglück: Trainer Streich sowie  die Spieler Philipp und Kempf  | Foto: dpa
Im Aufstiegsglück: Trainer Streich sowie die Spieler Philipp und Kempf Foto: dpa

Aufstieg und Meisterschaft in der Tasche, die Feste sind gefeiert. Mit dem Spiel bei Union Berlin endet für den SC Freiburg eine Saison, an deren Ende alle Ziele erreicht wurden. Im Gespräch mit René Kübler blickt Trainer Christian Streich zurück auf ein erlebnisreiches Jahr und schildert seine ganz persönlichen Eindrücke.

BZ: Herr Streich, 1989 sind Sie schon mal in die erste Fußball-Bundesliga aufgestiegen. Wie war das damals?

Streich: Schön. Wir hatten in Homburg das letzte Spiel zu Hause gegen Schalke, lagen hinten, haben es noch gedreht und 2:1 gewonnen. Ich weiß auch noch, dass es 35 Grad hatte.

BZ: Und danach?

Streich: Haben wir in der Bundesliga gespielt.

BZ: Da könnte man jetzt sagen: typisch Streich. In Paderborn wirkten Sie nach dem Aufstieg zunächst recht unbeteiligt. Was ging in Ihnen vor?

Streich: Ich bin nach Spielen oft ganz ruhig, gerade im Erfolgsfall. Wenn man etwas geschafft hat, kommt es zu einer Beruhigung.

BZ: Erfolg beruhigt Sie also?

Streich: Erfolg beruhigt mehr als Misserfolg. Das ist doch klar. Die Konsequenzen sind ja andere. Ich kenne das, dass ich im Erfolg sehr bei mir bin, in einer inneren Balance. Es ist nichts mehr zu beeinflussen, Aktivität ist nicht mehr gefordert, würde auch nichts bringen.

"Wenn man etwas

geschafft hat, kommt es

zu einer Beruhigung."

BZ: Was waren Ihre Gedanken, als Sie da in Paderborn alleine auf Ihrem Trainerstuhl saßen, während alle anderen im Jubel übereinander herfielen?

Streich: Ganz ehrlich: Ich weiß es nicht. Ich bin einfach nur sitzengeblieben. Nicht bewusst. Ich stehe auf oder stehe nicht auf. Das sind irgendwelche Impulse, die ich nicht steuere. Ich denke doch nicht: Jetzt bleibst Du sitzen. Das wäre dann nicht beruhigend. Ob man sitzenbleibt oder aufsteht ist egal.

BZ: Nach dem Abstieg und den vielen Abgängen hatten Sie Mühe, den Frust loszuwerden. Wie und warum ist es Ihnen dann doch gelungen?

Streich: Das ist immer ein Prozess. Wenn man etwas so intensiv lebt, dann braucht es Zeit, um es zu verarbeiten. Alles andere wäre nicht gesund und konstruiert. Wichtig war, irgendwohin in Urlaub zu fahren, wo man nicht mit Fußball konfrontiert wurde. Es ist wichtig, sich zurückzuziehen und Dinge zu tun, die einem guttun. Irgendwo sein, wo man nicht der Trainer ist, sondern irgendjemand. Von Tag zu Tag wurde es besser. Dann kamen nach und nach die Verpflichtungen neuer Spieler. Veränderungen waren nötig und hilfreich.

BZ: Mit welchem Gefühl sind Sie dann in die Saison gegangen?

Streich: Das Arbeiten ist ja immer ähnlich. Es ging darum, zu realisieren, dass man in einer anderen Liga ist, eine andere Rolle hat. Und dann kam dazu, dass irgendwann klar war, Nils Petersen bleibt.

BZ: Das hat etwas verändert.

Streich: Sicher. Aber es ging ja nicht nur um ihn. Amir Abrashi und Vincenzo Grifo kamen hinzu. Entscheidend waren aber auch die anderen Spieler, die da geblieben sind: Nicolas Höfler, Christian Günter, Immanuel Höhn. Diese Jungs kenne ich schon so lange und sie kennen mich. Da ist sehr viel Vertrauen und Zuneigung. Wir gehen nicht zum Training, um zusammen zu arbeiten, sondern auch, um zusammen zu leben. Wir verbringen sehr viel Zeit miteinander, sind mehr bei der Arbeit als bei anderen Aktivitäten. Das ist unser Leben. Wenn einen das mit Freude erfüllt, ist es gut. So soll es sein.

BZ: Ab wann haben Sie daran geglaubt, dass der Aufstieg gelingen kann?

Streich: Ein gutes Gefühl hat sich recht schnell eingestellt, weil wir gute Typen haben, die hungrig sind, die dastehen und wissen, welcher Kraftanstrengung es bedarf, erfolgreich zu sein. Sie wussten aber auch, was möglich ist, wenn wir es zusammen gut gestalten. Die zweite Liga bot auch Entwicklungsmöglichkeiten für einzelne Spieler: Maximilian Philipp, Mike Frantz, Nicolas Höfler. Ein Schritt zurück und dafür irgendwann zwei vor.

BZ: Trotz der guten Entwicklung haben Sie während der Saison irgendwann gesagt: Wir sind keine Spitzenmannschaft. Offenbar ein Irrtum.

Streich: Spitzenmannschaft in unserem Verständnis. Es bringt nichts, zu behaupten: Wir sind eine Spitzenmannschaft. Und vorher haben wir Trainer in ein, zwei Spielen gesehen, dass viele Dinge nicht stabil sind. Unser Anspruch ist und bleibt hoch. Es geht darum, wie wir gespielt haben. Letztlich sind wir eine Spitzenmannschaft der zweiten Liga geworden. Aber auch das war ein Prozess.

BZ: Gab es so etwas wie ein Schlüsselereignis oder eine Schlüsselphase?

Streich: Das Trainingslager im Winter war richtig schwierig, weil sich Spieler wie Nils Petersen, Maximilian Philipp und Marc-Oliver Kempf verletzt haben. Dann gab es Auftaktniederlagen in Bochum und gegen Düsseldorf. Wir waren nicht torgefährlich, nicht konsequent. Ganz wichtig war das Spiel in Sandhausen, wie die Mannschaft dort aufgetreten ist, wie wir aufgestellt und eingewechselt haben. In der Folge konnten wir enge Geschichten oft für uns entscheiden.

BZ: Bei der Entwicklung von Spielern hat man nie Gewissheit. In dieser Saison ist es nahezu optimal gelaufen: Vincenzo Grifo, Amir Abrashi, Marc-Oliver Kempf, Maximilian Philipp, Florian Niederlechner und auch Pascal Stenzel haben die Erwartungen erfüllt, teilweise sogar übertroffen. Hat Sie das überrascht?

Streich: Wir hatten viele gute Entwicklungen. Keine Frage. Aber man darf eins nicht vergessen: Viele Spieler waren schon da. Wir hatten einen Grundstock, auf dem wir aufbauen konnten. Es ist einfach, bei uns reinzufinden. Du wirst nicht ausgeschlossen, weil du ein Konkurrent bist. Die Mannschaft wollte sogar personelle Ergänzungen, weil sie erkannt hat, dass wir das brauchen. Deswegen sind Entwicklungen, wie sie bei uns stattgefunden haben, nicht überraschend.

BZ: Vincenzo Grifo hat gesagt, Sie seien ein bisschen wie ein Papa für die Spieler. Hören Sie das gerne?

Streich: Ich merke ja, dass ich immer älter werde. Bald bin ich der Opa für die Spieler. Wenn ein Vater seine Kinder viel machen lässt und viel Vertrauen in sie hat. Wenn er nicht die ganze Zeit sagt: Das darfst Du nicht machen und das darfst Du nicht machen. Wenn er sie aber gleichzeitig daran erinnert, welche Verantwortung sie in ihrer Freiheit zu tragen haben. Wenn das funktioniert, dann können sich Dinge so entwickeln.

"In meinem Leben hatte

ich immer mehr Hunger

zu lernen als zu lehren."
BZ: Dann haben Sie Ihre Rolle offenbar bestens interpretiert.

Streich: Ich bin nicht der Papa der Spieler, aber sollte Vincenzo Grifo ein bisschen so ein Gefühl haben, dann freue ich mich sehr darüber. Andererseits bin ich auch ein bisschen der Lehrer, wobei das bei uns nicht so ausgeprägt ist. Soll ich Vincenzo Grifo etwa sagen, wie er 20 Meter vor dem Tor beim Freistoß den Fuß halten soll? Da müsste eher er mich unterrichten. Ich kann auch sehr viel lernen von den unterschiedlichen Persönlichkeiten, die wir haben. In meinem Leben hatte ich immer mehr Hunger zu lernen als zu lehren. Wenn ich aber etwas weiß, dann bringe ich es den Spielern gerne bei. Entscheidend ist, wie man es vermittelt, wie man die Zugänge zu den unterschiedlichen Typen findet.

BZ: Inwieweit finden Sie Zugang, wenn es um Transferentscheidungen der Spieler geht?

Streich: Persönliche Beziehungen können helfen. Andererseits soll es ein offenes Verhältnis sein. Die Jungs sollen nie das Gefühl haben, sie sind gefesselt. Das ist das Gegenteil von dem, was wir wollen. Sie sollen das Gefühl haben, dass bei uns ein konstruktiver Prozess stattfindet.

BZ: Und trotzdem ist es schön, wenn Spieler nicht beim ersten verlockenden Angebot wieder weg sind. Haben Sie Angst, dass es erneut einen personellen Aderlass geben könnte?

Streich: Es gibt keinen Menschen ohne Ängste. Wenn der Mensch keine Ängste hätte, wäre es für ihn nicht möglich gewesen, bis zum heutigen Tag zu überleben. Ängste sind in uns drin. Die Angst, die Sie meinen, ist uns ja bekannt. Wir können sie einordnen. Wahnsinnig viel Angst habe ich diesbezüglich aber nicht. Ich glaube, die Mannschaft bleibt zusammen.

BZ: Dann geht es gemeinsam in Liga eins. Werden Sie irgendetwas an der zweiten Liga vermissen?

Streich: Im Nachhinein kann ich sagen: Ich habe die Zeit genossen. Ich gewinne gern, lieber öfter und mal knapp mit etwas Glück. Ich habe neue Stadien kennengelernt und spannende Menschen. Wer bin ich, dass ich sagen könnte: Ich muss vor 50 000 bis 80 000 Leuten an der Seitenlinie stehen. Erstens kommen sie nicht wegen mir. Und zweitens geht es mir ums Spiel an sich. Wenn wir in der Bundesliga mehr gewinnen als verlieren und viele Punkte holen würden, würde ich weniger vermissen an der zweiten Liga. Im vergangenen Sommer wollte ich die zweite Liga auf keinen Fall haben. Jetzt bin ich sehr dankbar, für die vielen schönen Dinge, die ich erleben durfte.

BZ: Am vergangenen Wochenende, nach dem Spiel gegen Heidenheim, haben Sie sich über Pfiffe von der Haupttribüne aufgeregt. Auf solche Leute, so sagten Sie, könnten Sie im Stadion verzichten. Hat Ihnen das die Stimmung verhagelt?

Streich: Überhaupt nicht. Ich hatte am Sonntag einen strahlenden, wunderschönen Tag. Aber ich kann Dinge nicht überhören, die ich gehört habe. Und die Pfiffe, die von Unkenntnis und mangelndem Sachverstand Zeugnis ablegten, fand ich furchtbar. Ungerecht dazu, zumal an einem solchen Tag, an dem wir ja bereits aufgestiegen waren. Ich geh’ auch nicht in die Oper und fange das Pfeifen an, nur weil mir vielleicht das Stück nicht gefällt. So etwas tut man nicht.

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Ressort: SC Freiburg

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