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Trends

Büchereien brauchen Platz - Konferenz in Freiburg

Wulf Rüskamp
  • Mi, 23. September 2015
    Südwest

Aus dem ganzen Bundesgebiet sind staatliche Berater für kommunale Bibliotheken nach Freiburg zu ihrer Fachkonferenz gekommen. Die Trends und Entwicklungen im "internationalen Bibliotheksraum" waren ihr großes Thema – und am Rande auch die Aufregung um eine Büchereirevision in Bad Dürrheim, die das Regierungspräsidium in die Kritik gebracht hatte.

Damit öffentliche Büchereien attraktiv...fnisse der Besucher angepasst werden.   | Foto: dpa
Damit öffentliche Büchereien attraktiv bleiben, muss der Bestand regelmäßig an die Bedürfnisse der Besucher angepasst werden. Foto: dpa
Bad Dürrheim, ein Ort der Bücherverbannung, gar einer Bücherverbrennung? Unseliges Handeln hatte die Frankfurter Allgemeine Zeitung in einer Glosse einer Mitarbeiterin des Freiburger Regierungspräsidiums unterstellt: Christina Kälberer, diplomierte Bibliothekarin und Leiterin der Fachstelle für das öffentliche Bibliothekswesen, soll 3200 Bücher aus der städtischen Bücherei in Bad Dürrheim aussortiert haben – weil sie angeblich das Wort "Neger" enthielten oder alte Rechtschreibung aufwiesen.

Die Geschichte machte einigen Furor in den sozialen Netzwerken, in denen auch der Vergleich mit nationalsozialistischen Bücherverbrennungen auftauchte, sie hat aber den Nachteil, dass sie offenbar auf einem Missverständnis der Lokalzeitung beruht, das die Frankfurter Allgemeine ohne Nachfragen weitertransportiert hat: An der Sache sei nichts dran, versichern Regierungspräsidium sowie Stadtverwaltung und Gemeinderat von Bad Dürrheim unisono. Immerhin aber rückte die Affäre eine Abteilung ins Rampenlicht, von deren Existenz in den baden-württembergischen Regierungspräsidien allenfalls Experten etwas wissen dürften: die staatlichen Bibliotheksfachstellen, deren Vertreter sich jetzt in Freiburg zu ihrer bundesweiten Fachkonferenz getroffen haben.

Die rund 70 Teilnehmer interessierte freilich weniger die Dürrheimer Aufregung – solche regelmäßig stattfindenden Revisionen von Bücherbeständen sorgten immer wieder für Aufsehen, berichtet Alexander Budjan aus Wiesbaden, Vorsitzender der Fachkonferenz. Anhand internationaler Erfahrungsberichte ließen sie sich über die Zukunft der öffentlichen Bibliotheken berichten. Darin spielt das herkömmliche Buch eine schrumpfende Rolle, nicht bloß der elektronischen Medien und speziell der E-Books wegen. Denn die Bibliothek, so die Vision, die etwa in der Freiburger Universitätsbibliothek schon realisiert ist, soll jenseits vom Lesen und Bücherausleihen zum öffentlichen Zentrum in der Gemeinde werden, zum Ort der Kommunikation und der Begegnung – egal ob man dazu in einem Buch nachschlagen will oder nicht.

Dazu brauchen Büchereien Platz, sagt Budjan – den heute noch vielfach Bücher beanspruchen, die inhaltlich überholt und seit Jahren von niemandem mehr ausgeliehen werden. Hier kommt die Fachstelle ins Spiel, die die kommunalen Bibliotheken bei der Bestandspflege berät. Zugleich geht es auch um Räume, die als Treffpunkt attraktiv sind – am besten mit Café –, ohne dass jene Besucher gestört werden, die immer noch lesen und sich informieren wollen; aber es geht auch um das richtige Buchangebot, das die Menschen anlockt, weil es interessant ist und auf dem Stand der Zeit informiert.

Auf dem Weg zur

"Bücherei 4.0"

Das war bereits in der Vergangenheit so: Die staatlichen Fachstellen haben, dem gesetzlichen Auftrag der Weiterbildung verpflichtet, immer schon die Städte und Gemeinden beim Aufbau und in der Ausgestaltung ihrer Bibliotheken beraten und bei der Finanzierung manches Projektes geholfen. Damit leisteten sie, sagt Oliver Morlock, der zuständige Referatsleiter im Regierungspräsidium, auch eine Art Strukturpolitik.

Die kommt vorzugsweise kleineren Orten zugute, wo kaum ausgebildete Bibliothekare beschäftigt werden, sondern die Büchereien mit ihren 5000 oder 15 000 "Medieneinheiten" neben- oder gar ehrenamtlich geleitet werden: Das gilt für jede zweite der rund 100 kommunalen Büchereien in Südbaden. Da gibt es Fragen der Aufstellung der Buchbestände, der räumlichen Organisation, der Buchauswahl, der Aktivitäten rund ums Buch. An jedem der vier Regierungspräsidien in Baden-Württemberg gibt es derartige Fachstellen, die ihre Beratungsangebote an alle Kommunen richten.

Das nahm auch Bad Dürrheim wahr. Die Stadt auf der Baar hatte einen "Bücherei-Check" als ersten Schritt auf dem Weg zu einer künftigen "Bücherei 4.0" beschlossen, was eine gründliche Umgestaltung der etwas schwach besuchten und mit recht wenig Geld für Neuanschaffungen ausgestatteten Bibliothek verlangte.

Und zu diesem Check, der mit der Stadt abgesprochen war, gehörte der Besuch von Christina Kälberer und ihrer Mitarbeiter in Bad Dürrheim im Sommer. Sie haben sich unter den 8000 vorhandenen Medieneinheiten die Sachbücher vorgenommen und mehr als 3200 Bände aussortiert – es habe sich etwa um veraltete Reiseführer, Informatikbücher oder Rechtsliteratur gehandelt. Ausschlaggebende Kriterien waren "Aktualität, Nachfrage, Zustand", sagt Kälberer.

Angesichts der geringen Ankäufe kein Wunder, dass so viel veraltet erschien: 26 Cent gab Bad Dürrheim im Jahr 2014 je Einwohner für den Kauf neuer Medien aus, ebenso viel wie etwa Kippenheim oder Herrischried – und nur unterboten von Vogtsburg im Kaiserstuhl, das überhaupt kein Geld bereitgestellt hatte. In Villingen-Schwenningen waren es dagegen 2,17 Euro, in Freiburg 1,94 Euro.

Im Idealfall, so der Deutsche Bibliotheksverband, sollte eine Kommune zwei Bücher/Medieneinheiten pro Einwohner anbieten – und zehn Prozent des Bestands pro Jahr erneuern, was eine Investition von 4 Euro pro Einwohner verlangt. Danach müsste die Dürrheimer Bibliothek 25 000 Bücher besitzen – und jährlich 2500 Medieneinheiten neu anschaffen. Nur so, davon sind die Experten überzeugt, bleibt eine solche Einrichtung attraktiv und aktuell.

Ob es noch andere Kriterien für einen solchen Bücherei-Check gebe, war Christina Kälberer damals, wie sie erzählt, von der Lokaljournalistin gefragt worden. Da habe sie auf die Diskussion um das Wort "Neger" in Kinderbüchern verwiesen, die vor zwei Jahren geführt worden war, verwies auch auf die veraltete Rechtschreibung. Beides sei aber in diesem Fall kein Kriterium gewesen, es habe sich zudem nur um Sachbücher gehandelt.

Was aussortiert wurde, landete im Altpapier. Das Entsetzen bei manchen Dürrheimer Leserinnen und Lesern war dennoch groß, die Kritik am Regierungspräsidium und seiner Fachstelle auch. Kälberer: "Wir haben nichts entschieden, das letzte Wort lag bei der Stadt." Und die will eine moderne Bücherei, in der keine alten Schwarten aufbewahrt werden. Vielmehr soll sie ein an der Aktualität ausgerichtetes Lese-, Unterhaltungs- und Informationsangebot machen, das dann auch in der Statistik der Bibliotheksnutzung überzeugt. Und die eben nicht mehr nur zum Lesen da ist, sondern auch zum Reden – und womöglich zum Kaffeetrinken.

Ressort: Südwest

  • Artikel im Layout der gedruckten BZ vom Mi, 23. September 2015: PDF-Version herunterladen

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