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Interview

Warum manche mit Alkohol müde, andere aggressiv werden

Patrik Müller
  • So, 19. Februar 2017, 13:47 Uhr
    Südwest

Manche schlafen ein, andere singen Lieder, einige schlagen zu: Alkohol wirkt bei Menschen ganz unterschiedlich. Der Freiburger Psychologe Dieter Riemann erklärt das Phänomen Alkohol.

Schlafen oder Schlägern – Alkohol wirkt sich unterschiedlich aus.  | Foto: dpa
Schlafen oder Schlägern – Alkohol wirkt sich unterschiedlich aus. Foto: dpa
BZ: Herr Professor Riemann, Alkohol macht den einen lustig, den anderen aggressiv. Warum?

Riemann: Alkohol baut Hemmschwellen ab, deshalb ist er ja so beliebt. Wer schüchtern ist, wird locker. Das Problem ist: Wer den Tag über ein bisschen Ärger hatte, wird abends nach zu viel Alkohol vielleicht richtig aggressiv. Das hängt immer von der Situation, der Persönlichkeit und der Bedürfnislage ab. Auch die Gewöhnung spielt eine Rolle: Erfahrene Trinker merken möglicherweise nach einer Flasche Wein nichts. Wer Alkohol nicht gewohnt ist, macht vielleicht schon nach ein bis zwei Viertel Wein unmögliche Dinge.

BZ: Andere wiederum werden müde.

Riemann: Alkohol kann stimulieren und sedieren. Jeder kennt die Bierdimpfel, die im Festzelt mit dem Kopf auf der Brust einschlafen. Das sieht immer sehr friedlich aus, aber es kann eine schwere Alkoholvergiftung sein, gerade bei Jugendlichen. Bewusstlosigkeit ist gefährlich, weil die Atmung aussetzen kann. Man kann daran genauso sterben wie an einer Überdosis Heroin – und das kann schnell gehen.
Dieter Riemann (58) ist Professor für Psychologie an der Freiburger Uniklinik.

BZ: Macht es einen Unterschied, ob alleine getrunken wird?

Riemann: Es gibt gerade unter Jugendlichen eine Gruppendynamik: Was der Leithammel macht, machen alle. Wenn der Alkohol sie enthemmt hat, werfen aus der Menge heraus manchmal auch friedfertige Menschen Steine. Massenentgleisungen wie zuletzt bei Borussia Dortmund oder vor einem Jahr in der Kölner Silvesternacht wären ohne Alkohol möglicherweise nicht so abgelaufen. Das soll jetzt aber nicht als Plädoyer fürs Alleintrinken verstanden werden: Wir wissen von Depressiven, dass Alkohol die Hemmschwelle senkt, sich etwas anzutun.

"Wer viel verträgt, gilt als echter Mann."
BZ: Was raten Sie Menschen, die wissen, dass sie betrunken zu unkontrollierten Aktionen neigen – aber wissen, dass sie es nicht schaffen, nüchtern zu bleiben?

Riemann: Die sollen jemanden mitnehmen, der auf sie aufpasst. Das sollte eine Person des Vertrauens sein und keiner aus der Clique, in der es schon mal Ärger gab. Wenn man unbedingt trinken will, ist Schnaps eine schlechte Wahl, Bier entschleunigt den Vorgang ziemlich. Man sollte zwischendurch ein Wasser trinken und vor die Tür an die frische Luft gehen. Der beste Tipp ist, die kritische Situation zu meiden. Hat jemand das Gefühl, sich nicht kontrollieren zu können, liegt der Gang zur Suchtberatungsstelle nahe.

BZ: Warum sind es fast immer Männer, die aggressiv werden?

Riemann: In unserer Kultur gehört Alkohol zum männlichen Erwachsenwerden dazu. Unter Alkoholkonsum neigen manche jungen Männer aber dazu, sich Dinge zu trauen, die ihnen nüchtern vielleicht gar nicht in den Sinn kämen. Das kann beispielsweise aggressives Verhalten gegen andere sein, um sich in der Gruppe zu beweisen. Es ist eine Frage des Rollenbildes: Wer viel verträgt, gilt als echter Mann – zum Glück erleben wir in den letzten Jahrzehnten zumindest in Teilen der Gesellschaft ein Umdenken.

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Ressort: Südwest

  • Artikel im Layout der gedruckten BZ vom Sa, 18. Februar 2017: PDF-Version herunterladen

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