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Von Freundschaft und dem Glück, ein Heimkind zu sein

  • Katrin Hoffmann

  • Do, 16. Februar 2017
    Kino

ANIMATIONSFILM: "Mein Leben als Zucchini" von Claude Barras wird die Herzen der Zuschauer erobern, egal wie alt sie sind.

Icare alias Zucchini   | Foto: polyband
Icare alias Zucchini Foto: polyband
Kinderfilm, Familienfilm oder doch nur für Erwachsene? Eine seiner Stärken ist, dass man diesen Animationsfilm nicht eindeutig einordnen kann. Er arbeitet nicht mit den einfachen Bildern, die häufig Kinderfilmen vorbehalten sind, und nicht mit den typischen komplizierten Themen der Erwachsenenwelt. Nach Gilles Paris’ Buch "Autobiografie einer Pflaume" (2004) entstand der Stop-Motion-Puppentrickfilm über den neunjährigen Icare, der am liebsten Zucchini genannt werden will. Bei seiner Mutter führt er kein glückliches Leben, da sie als Trinkerin nur vor dem Fernseher hockt und selten gutes Essen serviert.

Nach ihrem Tod, an dem er nicht ganz unschuldig ist, kommt der Junge ins Waisenhaus. Darüber kann man sich mit ihm freuen, denn das Heim ist ein Ort der Zuflucht und wird von sympathischen Pädagogen geleitet. Der französische Regisseur Claude Barras dreht in seinem Debütfilm die übliche Situation um – die Welt draußen ist den Kindern feindlich gesinnt, hier drinnen, im "Haus der Springbrunnen" haben sie einen geschützten Raum.

Alle Kinder haben Schwieriges erlebt – und ihre Ticks entwickelt: der schüchterne Ahmed etwa, der ins Bett macht, sich aber gern verkleidet, oder Alice, die immer die Haare vor dem Gesicht trägt, mit der Gabel manisch auf ihren Teller klopft und wenig redet. Aber genau das lässt die Kinder zusammenwachsen, jeder mit seinen individuellen Problemen und Sehnsüchten hält sich an den anderen fest. "Es gibt niemanden, der uns lieben könnte", das sagt der dominante Simon zu Zucchini, und es ist beruhigend, dass die Geschichte das Gegenteil beweist.

Mit überdimensionierten Köpfen und bunten Haaren erreichen die Puppen eine ganz besondere stilisierte Ästhetik, jede Empfindung ist in ihren riesigen Augen abzulesen, die mal traurig, mal neugierig in die Welt blicken. Chefanimatorin Kim Keukeleire war bereits bei Filmen wie "Frankenweenie", "Der fantastische Mr. Fox" oder "Chicken Run" mit von der Partie, die ähnlich außergewöhnlich sind wie "Mein Leben als Zucchini".

Bestechend ist nicht nur die Gestaltung der Puppen, sondern auch der Sound: Jeder Türschlag, jedes Tellerklappern ist realistisch umgesetzt. Die Farbgebung bewegt sich zwischen düsterer Außenwelt und heller Innenwelt im Heim. Die sehr intuitive Bild- und Geräuschebene wird unterstützt durch einen wunderbaren Score: Gezielt eingesetzte Songs der Schweizerin Sophie Hunger geben einen Rhythmus vor, der die langsame Erzählweise unterstützt. Wir lachen mit den Protagonisten, fürchten und freuen uns mit ihnen. Das gelingt in dieser emotionalen Tiefe nicht vielen Animationsfilmen so einzigartig wie hier. Mit unzähligen Preisen überhäuft und ein Favorit für den Oscar, wird "Mein Leben als Zucchini" die Herzen aller Zuschauer gewinnen, egal welchen Alters.

"Mein Leben als Zucchini" (Regie: Claude Barras) läuft in Freiburg und Basel. (Ab 0)

Ressort: Kino

  • Artikel im Layout der gedruckten BZ vom Do, 16. Februar 2017: PDF-Version herunterladen

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