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Zisch-Frühjahr 2014

"Pferde helfen den Menschen schon seit tausenden von Jahren"

  • Sophia Kiefer, Vanessa Phong, Klasse 4b & Rosenburgschule Müllheim

  • Mo, 14. April 2014, 09:26 Uhr
    Zisch-Texte

Marion Kempf ist Ergotherapeutin und hat eine Praxis in Müllheim. Sie bietet tiergestützte Therapien an und arbeitet vor allem mit Pferden. Sophia Kiefer und Vanessa Phong aus der Klasse 4b der Rosenburgschule Müllheim haben ein Interview mit ihr geführt.

Vanessa Phong und Sophia Kiefer mit Hundewelpen.   | Foto: privat
Vanessa Phong und Sophia Kiefer mit Hundewelpen. Foto: privat
Zisch: Marion Kempf, was ist eigentlich tiergestützte Therapie?
Kempf: Therapie ist ja eine Heilbehandlung. Die Tiere helfen mir dabei, sind sozusagen meine Kollegen oder auch Assistenten. Ich mache die Therapie und habe die Tiere dabei. Viele Kinder kommen wegen der Tiere auch lieber zur Therapie, weil es ihnen mit den Tieren mehr Spaß macht.

Zisch: Warum haben Sie sich gerade Pferde als Therapietiere ausgesucht? Sind Pferde dafür besonders geeignet?
Kempf: Ja, ich finde, dass Pferde sehr gut als Therapiehelfer geeignet sind. Pferde sind groß und stark, können einen Menschen mit Leichtigkeit tragen. Dabei sind sie sanft von ihrem Wesen her. Pferde helfen den Menschen schon seit tausenden von Jahren. Ich selbst habe schon viele schöne Sachen mit Pferden erlebt. Außerdem verkraften Pferde die Therapietätigkeit gut und können sich in ihrer Herde wieder ausruhen. Deshalb kann ich besser mit ihnen arbeiten als zum beispiel mit Hunden. Für Hunde ist die Therapietätigkeit viel anstrengender, weil sie dem Menschen sehr nahe sind.

Zisch: Kann das jedes Pferd machen oder gibt es da bestimmte Voraussetzungen wie zum Beispiel eine spezielle Ausbildung?

Kempf: Nein, dafür ist lange nicht jedes Pferd geeignet. Ein Therapiepferd braucht zwar keine spezielle Ausbildung, aber es muss einen freundlichen, ruhigen Charakter haben. Pferde sind eigentlich Fluchttiere. Wenn sie vor etwas Angst haben, laufen sie weg. Tun sie das, wenn gerade jemand draufsitzt, ist das natürlich nicht so gut. Ein Therapiepferd darf also nicht ängstlich oder nervös sein und sich vor jeder Kleinigkeit erschrecken. Es muss zum Beispiel an Autos, Traktoren oder Hundegebell gewöhnt sein. Außerdem muss das Pferd großes Vertrauen zum Therapeuten haben. Es muss wissen, dass der Therapeut immer darauf achtet, dass nichts passiert. Es muss gut auf mich achten und hören, denn mit meiner Körperkraft alleine könnte ich ein Pferd niemals halten. Ich arbeite mit Shetlandponys und Isländern, weil das robuste Pferderassen sind mit guten, starken Nerven.

Zisch: Haben Sie eine spezielle Ausbildung für diese Tätigkeit gebraucht?
Kempf:Als ich zehn Jahre alt war, habe ich begonnen zu reiten und seither habe ich mit Pferden zu tun. Mit 16 Jahren habe ich dann auch Reitunterricht gegeben. Ich habe eine Ausbildung zur Ergotherapeutin gemacht und noch verschiedene Fortbildungen zum Thema Arbeit mit Pferden und Menschen, auch reiterliche. Ich bin in einem Kreis von Reitpädagogen und Reittherapeuten. Wir treffen uns mehrmals im Jahr und tauschen uns aus. Und wir organisieren uns einmal im Jahr eine Fortbildung und überlegen uns dazu, was wir gerne lernen wollen und brauchen für die Arbeit mit Kindern und Pferden.

Zisch: Welche Menschen kommen denn zu Ihnen und Ihren Pferden und suchen Hilfe?
Kempf: Zu mir in meine Praxis kommen überwiegend Kinder und Jugendliche mit den unterschiedlichsten Themen. Manche sind schüchtern und haben wenig Selbstvertrauen. Andere können sich nicht so gut konzentrieren oder nicht gut und deutlich sprechen. Wieder andere sitzen im Rollstuhl, können nicht laufen oder haben zu schwache Muskeln. Manche haben auch was Trauriges erlebt und wollen getröstet werden.

Zisch: Wie kann das Pferd diesen Kindern dann helfen?
Kempf:Das Pferd kann auf viele Arten helfen. Es hilft körperlich, denn beim Reiten braucht man viele Muskeln. Beim Reiten im Schritt bewegt man in der Minute 100 Muskeln. Man muss ständig die Bewegung des Pferdes ausgleichen, denn das Pferd bewegt einen ja in alle Richtungen. Die Bewegung ist vergleichbar mit der eines Babys im Bauch der Mutter. Dadurch atmet man auch anders und viele Kinder mit Sprachproblemen sprechen beim Reiten deutlich und fehlerfrei. Beim Reiten werden auch Wohlfühlstoffe ausgeschüttet und das Gefühl getragen zu werden und nicht alles selbst tragen zu müssen kann sehr tröstlich sein.

Durch den Umgang mit dem großen, starken Tier werden viele Kinder mutiger und trauen sich mehr zu. Man lernt das Pferd auch kennen, man putzt es und freundet sich mit ihm an. Dadurch lernt man auf das Pferd zu achten. Man muss sich selbst kontrollieren und ruhig mit dem Pferd umgehen, fürsorglich und einfühlsam sein. Dadurch werden viele Kinder selbst ruhiger. Nicht zuletzt wird auch das Herz angesprochen, denn man hat es doch mit einem lebendigen Wesen zu tun. Das Pferd ist warm, weich und riecht gut. Durch die Verantwortung für das Tier wird man selbst einfühlsamer und sensibler und vielleicht sogar ein reiferer Mensch. Pferde können also helfen, ins Gleichgewicht zu kommen, sowohl körperlich als auch seelisch/gefühlsmäßig.

Zisch: Wie lange dauert es, bis man erste Erfolge sehen kann?
Kempf: Das ist ganz unterschiedlich. Aber manchmal geht das ganz schnell, eventuell sogar schon in der ersten Therapiestunde. Zum Beispiel, dass ein Kind plötzlich spricht, das sonst nicht mit anderen gesprochen hat. Ich finde sogar, dass bei der Ergotherapie mit Pferden Erfolge schneller sichtbar sind. Die Kinder kommen vielleicht wegen der Tiere lieber, weil sie sich auf die Tiere freuen.

Zisch: Sind die Therapiepferde nur Ihre eigenen Pferde?
Kempf: Nein, nicht alle. Ich arbeite mit sechs Ponys, davon sind zwei meine eigenen: Der Isländer Draumur und die Shetland-Mix-Stute Susi. Die restlichen vier gehören anderen Leuten. Ich darf sie aber einsetzen und bezahle dafür den Schmied und den Tierarzt und kümmere mich um sie.

Zisch: Was macht Ihnen an Ihrer Arbeit besonders viel Freude?
Kempf:Das ist echt eine gute Frage. Es macht mir total viel Freude, weil ich selbst so gerne mit Pferden zusammen bin. Und wenn ich dann noch helfen kann, dass andere auch Freude mit Pferden haben, durch die Pferde mutiger und fröhlicher werden, dann finde ich das besonders schön. Wenn zum Beispiel ein Junge, der sonst sehr wild und laut ist, sich bemüht ruhig zu sein, damit das Pferd keine Angst bekommt, dann macht mich das glücklich.

Zisch: Warum sind Sie eigentlich Ergotherapeutin geworden?
Kempf: Das ist nun schon fast 30 Jahre her, dass ich mich dazu entschlossen habe. Nach dem Abitur habe ich mich sehr für Medizin interessiert, wollte aber nicht Medizin studieren. Das war mir zu theoretisch und zu lang und ich wollte auch keine Ärztin sein. Psychologie und Pädagogik haben mich auch interessiert. Und ich hatte total viel Lust darauf, verschiedenen Handwerkstechniken – wie Korbflechten, Weben, Schmuck herstellen, mit Leder arbeiten – zu lernen. Die Ergotherapie verbindet das alles miteinander.

Zisch: Wollten sie schon als Kind Ergotherapeutin werden?
Kempf: Nein, als Kind wollte ich Tierärztin und später Reitlehrerin werden und das bin ich ein bisschen auch geworden.


Von Sophia Kiefer und Vanessa Phong, Klasse 4b,
Rosenburgschule, Müllheim

Ressort: Zisch-Texte

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