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100-jährige Freiburgerin erzählt von ihren Träumen

  • Sa, 17. Februar 2018
    Freiburg

Irmgard Preuß wird heute 100 Jahre alt und hat vor vier Jahren einen Fotowettbewerb gewonnen.

Irmgard Preuß   | Foto: Ingo Schneider
Irmgard Preuß Foto: Ingo Schneider

FREIBURG. Vor vier Jahren hat Irmgard Preuß einen Fotowettbewerb von "Timeline Images" gewonnen, der Bildagentur der Süddeutschen Zeitung: Da war sie 96 Jahre alt. Mit den Fotos knüpfte sie im hohen Alter an ihre Zeit als junge Fotografin in München an, mitten im Zweiten Weltkrieg. Leider hat Irmgard Preuß nicht dauerhaft in ihrem Traumberuf arbeiten können. Nicht nur darüber gäbe es viel zu erzählen. Das übernimmt nun meist Annette Preuß, ihre Tochter. Irmgard Preuß hört nicht mehr gut und erinnert sich nicht an alles. Heute wird sie 100 Jahre alt.

Auf dem Tisch vor Irmgard Preuß im Emmi-Seeh-Pflegeheim liegt ein Bildband von Bayreuth. Sie liebt die Fotos. "Ihr Herz ist in Bayreuth, nicht in Freiburg", sagt Annette Preuß. Bayreuth: Das ist ihre Heimat, dort wurde sie am 17. Februar 1918 als Irmgard von Brocke geboren, als Jüngste von vier Kindern einer großbürgerlichen Apothekerfamilie.

In Freiburg habe sich Irmgard Preuß nie richtig eingelebt, sagt Annette Preuß. Bei den einfacheren und direkteren Menschen in Oberfranken habe sie sich wohler gefühlt als hier, wo alles teurer und viele Menschen wohlhabender seien. Dabei wuchs Irmgard Preuß selbst sehr privilegiert auf: Das stattliche Haus, in dem ihre Familie über der Apotheke – die es heute noch gibt – wohnte, ist in dem Bayreuth-Bildband abgebildet. Der Vater war im Stadtrat engagiert, die Familie angesehen. Irmgard Preuß besuchte eine Realschule für höhere Töchter und ging in der Familie ihrer Freundin Friedelind Wagner ein und aus, der Enkelin des Musikers Richard Wagner.

Doch Irmgard Preuß ließ sich schon früh in kein Schema pressen: Ihre Eltern hatten sie in einer Hauswirtschaftsschule untergebracht, sie aber fuhr heimlich nach München und meldete sich an der bayerischen Staatslehranstalt für Lichtbildwesen zur Ausbildung als Fotografin an. Wie begabt sie war, zeigen unter anderem die Fotos, mit denen sie den Wettbewerb vor vier Jahren gewann, bei dem Aufnahmen aus der Zeit vor 1969 gesucht wurden: Es sind sensible, eindrückliche Porträts von Menschen im Münchner Bezirk Au, in dem der berühmte Komiker Karl Valentin aufwuchs, sie stammen von 1943. Auch sonst war diese Zeit für Irmgard Preuß sehr spannend – und aufreibend. Sie verlobte sich mit dem Bildhauer Toni Erlacher und stand Schmiere, wenn er mitten im Nationalsozialismus kritische Marionettentheaterstücke aufführte, die beide das Leben hätten kosten können. Angst aber hatte Irmgard Preuß nie, sagt ihre Tochter. Aus dem Traum, mit Toni Erlacher später nach Florenz zu ziehen, wurde nichts: Er starb als Soldat.

Auch ein anderer Traum erfüllte sich nie: Statt als Schiffsfotografin nach Amerika zu fahren, eröffnete Irmgard Preuß deshalb in der Nachkriegszeit ein Antiquitätengeschäft in Bayreuth. Unter ihren Kunden war ihr zukünftiger Ehemann. 1947 heiratete sie, 1949 wurde die einzige Tochter geboren. Die Familie zog mehrmals um, nach Leonberg bei Stuttgart war die längste Etappe in Köln. Irmgard Preuß war zu einem Hausfrauendasein verdammt, was zur damaligen Zeit üblich war, sie aber ganz klar unterforderte, erzählt Annette Preuß.

Eindrückliche Porträts sind ihre Stärke

Als ihr Mann, der als Bankkaufmann arbeitete, erkrankte, zog das Ehepaar Mitte der 1970er zurück nach Bayreuth. 1991 starb Irmgard Preuß’ Mann. Vor 15 Jahren, mit 85, entschloss sich Irmgard Preuß, in ein Pflegeheim zu ziehen – glücklich gemacht hat sie das Heimleben aber nie: "Im Heim gibt man seine Persönlichkeit an der Garderobe ab", habe ihre Mutter gesagt, erzählt Annette Preuß.

Das Einfügen in Strukturen sei ihrer sehr eigenständigen Mutter immer schwer gefallen. Seit 2009 lebt sie nun in Freiburg, weil hier ihre Tochter wohnt. Im Emmi-Seeh-Heim beobachtet sie ihre Umgebung sehr genau, schaut viel aus den Fenstern und gern fern. Den Geburtstag feiert sie klein: Außer der Tochter und einer Nichte kommen zwei alte Freunde.

Ressort: Freiburg

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