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122 Videoclips aus Wuhan als Verbrechen

Fabian Kretschmer
  • Mi, 10. November 2021
    Ausland

Die Bürgerjournalistin Zhang Zhan droht ihren Hungerstreik im Gefängnis nicht zu überleben.

Zhang Zhan kritisiert die chinesische Regierung.  | Foto: HANDOUT (AFP)
Zhang Zhan kritisiert die chinesische Regierung. Foto: HANDOUT (AFP)
. Zhang Zhans letzte Stunden in Freiheit sind nach wie vor auf Youtube dokumentiert. In den Abendstunden des 14. Mai 2020 filmt die 38-Jährige ein kurzes Selfie-Video mit ihrem Smartphone, im Hintergrund erkennt man den Bahnhof Hankou in Wuhan. Wenige Stunden später wird die Bürgerjournalistin festgenommen. Vor wenigen Tagen nun hat ihr Bruder Alarm geschlagen. Zhang Zhan, die eine vierjährige Haftstrafe absitzt, sei durch ihren mehrmonatigen Hungerstreik körperlich am Ende. Sie wiege bei einer Körpergröße von 1,77 Metern nicht einmal mehr 40 Kilogramm. "Sie wird den kommenden Winter möglicherweise nicht überleben", schrieb Zhang Ju auf seinem Twitter-Account. Von Amnesty bis Human Rights Watch haben Menschenrechtsorganisationen China dazu aufgerufen, Zhang Zhan endlich zu begnadigen.

Dass sie im Gefängnis sitzt, beweist die Null-Toleranz-Politik, mit der der chinesische Staat gegenüber kritischen Stimmen vorgeht. Zhangs "Verbrechen" sind 122 Videoclips, die sie im letzten Frühjahr während ihrer Recherche-Streifzüge durch Wuhan aufgenommen hat. Darin zeigte sie in verwackelten Aufnahmen die chaotischen Zustände in völlig überfüllten Spitälern, interviewte Bürger und kritisierte immer wieder die Regierung.

1983 wurde Zhang in der nordwestlichen Provinz Shaanxi geboren. Sie studierte in Chengdu Finanzwissenschaften. Später zog die Christin nach Shanghai, wo sie als Anwältin arbeitete. Doch sie verlor schon bald ihre Anwaltslizenz. Zhang setzt ihr Engagement jedoch auf einem anderem Feld fort. Sie wird Bürgerjournalistin und kritisiert in den sozialen Medien die "Ein-Partei-Diktatur" Chinas und die Korruption der politischen Eliten. 2018 wurde sie erstmals von der Polizei vorgewarnt, im April 2019 für zehn Tage in Untersuchungshaft genommen. Der Vorwurf lautete – wie immer, wenn es im chinesischen Recht um Dissidenten geht – "Streit anzetteln und Ärger provozieren".

Im September desselben Jahres folgte die erste, größere Eskalation. Während die pro-demokratischen Proteste in Hongkong jeden Samstag hunderttausende Demonstranten auf die Straßen brachten, zog die 38-Jährige auf die Fußgängerzone Nanjing Road in Shanghai, um ihre Solidarität auszudrücken. "Ende des Sozialismus, nieder mit der Kommunistischen Partei", prangte auf ihrem mitgeführten Regenschirm. Rund zwei Monate wurde sie daraufhin in Untersuchungshaft gesperrt, und schon damals protestierte Zhang mit Hungerstreik.

Diese Form des Widerstands hat sie nun erneut eingeschlagen. Als Zhangs Prozess Ende 2020 anfing, erschien sie körperlich bereits deutlich geschwächt im Gerichtssaal. Mental jedoch zeigte sie sich kampfbereit: "Glauben Sie nicht, dass Ihr Gewissen Ihnen sagen wird, dass es falsch ist, mich auf die Anklagebank zu setzen?", sagte sie zu dem Vorsitzenden Richter. Dieser wollte schließlich von Zhang Zhan wissen, ob die Anschuldigungen wahr sind. Statt direkt zu antworten, entgegnete die Angeklagte mit einer historischen Anspielung: "In der Han-Dynastie war Verleumdung gegen die Regierung noch kein Verbrechen." Daraufhin, so berichtet es Zhangs Verteidiger, haben sich der Staatsanwaltschaft und Richter nur ungläubig angeschaut.

Ressort: Ausland

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