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Alle wollen auf die Champs-Élysées

Axel Veiel
  • Fr, 03. August 2018
    Ausland

Die großen Marken drängen mit exklusiven Läden auf die Pariser Prachtstraße und die Mieten explodieren – die Billiganbieter wollen aber nicht weichen.

Luxus auf der Prachtstraße:  der Laden von Louis Vuitton   | Foto: AFP
Luxus auf der Prachtstraße: der Laden von Louis Vuitton Foto: AFP
Das passt nicht. Wuchtig, klotzig wirkt der Arc de Triomphe, wenn man vor ihm steht. Heldenarchitektur eben, die von Napoleons siegreichen Schlachten kündet. Doch beim Betreten des Bogens ist die ganze kolossale Herrlichkeit dahin. Die Gebrüder Grimm scheinen dem Bauherrn hier zur Hand gegangen zu sein. Eine Dornröschen-taugliche Wendeltreppe windet sich den 50 Meter hohen Nordostpfeiler des Triumphbogens zur Aussichtsterrasse hinauf. Oder passt es am Ende doch? Der Triumphbogen steht schließlich nicht irgendwo in Paris, sondern am Ende der Champs-Élysées. Und für diese quirlige Prachtstraße gilt: Sie führt zusammen, was nicht zusammengehört. Auf der von Platanen gesäumten achtspurigen Allee gedeiht einfach alles. Das heißt, es gedeiht nicht nur. Es sprießt, wuchert, schießt ins Kraut, ufert aus.

Ob Volksfest, Staatsakt, Fußballorgie oder Konsumrausch – Übermaß ist die Norm. Am vergangenen Sonntag noch keuchten Zweiradkrieger der Tour de France das Kopfsteinpflaster zum Arc de Triomphe hinauf. Knapp zwei Wochen zuvor war hier der Jubel über Frankreichs im Doppeldeckerbus vorbeirollende Fußballweltmeister hereingebrochen. Am Nationalfeiertag, dem 14. Juli, hatte das Militär auf den Champs-Élysées einmal mehr vorgeführt, was es hat und was es kann. Und jetzt, da der nationale Taumel abflaut und das im November vor dem Triumphbogen zu zelebrierende Gedenken an die Toten des Ersten Weltkriegs noch fern ist, explodiert der Kommerz.

Zu Hunderttausenden drängen sich Sommertouristen vor den Schaufenstern. Alles finden die Kauflustigen hier. Gleich hinter dem Arc de Triomphe lockt Cartier die Laufkundschaft mit einer Armbanduhr für 20 400 Euro. Ein paar Schritte weiter bietet "I love Paris" Nippes feil. Blecheiffeltürme sind dort zu haben oder Magneten für die heimische Kühlschranktür, auf denen Eiffelturm plus Macarons prangen. Noch finden die Kauflustigen alles. Doch die Tage des Ramsches scheinen gezählt.

"Die Champs-Élysées stehen vor einem tiefgreifenden Wandel", sagt Edouard Lefebvre vom Comité Champs-Élysées, das die Interessen der an der Prachtstraße ansässigen Geschäftswelt vertritt. Das Waren- und Dienstleistungsangebot werde künftig vornehmlich "haute gamme" sein, Spitzenklasse also. In der Tat deutet einiges auf eine Zeitenwende hin. Vom Massenansturm mehr abgeschreckt als angezogen, hatten Nobelmarken lange Zeit wenig Grund gesehen, sich auf den Champs-Élysées blicken zu lassen. Aber ob es nun am Brexit liegt und Londons schwindender Attraktivität oder daran, dass Frankreichs Präsident Emmanuel Macron die Wirtschaftsführer der Welt in Bann geschlagen hat: Die Champs-Élysées sind en vogue.

Auf der Prachtstraße Flagge zu zeigen ist für Firmen, die internationales Prestige suchen, ein Muss. Ob Apple oder Nike, Lafayette oder Sofitel: Alle rücken sie nun an oder sind schon da. Die Mieten explodieren. Auf jährlich 20 000 Euro pro Quadratmeter sind sie gestiegen. Um Anrainer zum Rückzug zu bewegen, bieten Unternehmen Verzichtsbereiten millionenschwere Entschädigungen. Im Ranking der teuersten Straßen der Welt sind die Champs-Élysées auf Rang fünf geklettert. Den Spitzenplatz hält die New Yorker Fifth Avenue, gefolgt von Hongkongs Causeway Bay, Londons New Bond Street und Mailands Via Monte-Napoleone.

Wie es sich für eine solch teure Gegend gehört, kommt der Wandel dezent daher. Das neue Sofitel glänzt bisher nur auf dem Papier. Hinter der Fassade eines Bürgerpalastes, der unter Denkmalschutz steht, soll bis 2021 ein Fünfsternehotel mit 102 Zimmern und 17 Suiten Einzug halten, gekrönt von einem mit 25-Meter-Bahnen ausgestatteten Freibad auf dem Dach. Vor dem künftigen Lafayette-Kaufhaus signalisieren immerhin Container-Baracken, armdicke Kabel und ein Kran, dass Neues entsteht. 2019 soll hier die mit 9000 Quadratmeter größte Verkaufsfläche der Champs-Élysées eingeweiht werden.

Bei Apple wird ebenfalls gebaut. Wie bei der Entwicklung neuer Produkte wahrt der Konzern höchste Diskretion. Eine mattschwarz verkleidete Wand entzieht den baulichen Werdegang neugierigen Blicken. Hinter der Wand arbeitet der Monteur Sorinel. Der Rumäne erzählt von Fachkräften aus aller Welt und einem babylonischen Sprachengewirr auf der Baustelle. Bis Dezember wolle man fertig sein, sagt er. Womit sich Apple dann auf den Champs-Élysées eines vom Stararchitekten Norman Foster mitgestalteten 1440 Quadratmeter großen Stores rühmen könnte, sowie eines spektakulären Lichthofs – und einer Jahresmiete von zwölf Millionen Euro.

Lefebvre sieht den sich abzeichnenden Wandel als einen von vielen in der an Veränderungen reichen Geschichte der Champs-Élysées. Ehemals Sumpflandschaft, seien dort zunächst königliche Gärten entstanden, später dann noble Wohnungen, erzählt der 40-Jährige. Im Zuge der Weltausstellung 1900 hätten sich zunehmend Geschäfte hinzugesellt. Nach dem Zweiten Weltkrieg seien Kinos hinzugekommen. Jetzt gehe der Trend auf der Prachtstraße eben zur Exklusivität, fügt Lefebvre hinzu.

Doch es gibt auch Skeptiker. Die Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo will den Vormarsch des Exklusiven aufhalten. Die Sozialistin bangt ums kulturelle Angebot, das auf den Champs-Élysées ebenfalls bunte Blüten treibt. Hidalgo hat der Umwandlung eines Kinos in Verkaufsraum die Zustimmung verweigert. Auch organisiert die Bürgermeisterin an autofreien Sonntagen Filmvorführungen unter freiem Himmel.

Und vor allem: Schnäppchen und Ramsch feilbietende Verkäufer denken nicht an Rückzug. Der für Stadtrundfahrten im offenen Doppeldeckerbus werbende Fred Dambreville schüttelt den Kopf. "Hier weggehen? Auf keinen Fall", sagt der junge Mann mit den Rasta-Locken. Er habe zunächst versucht, Touristen am Opernplatz für Stadtrundfahrten zu gewinnen. Das habe nicht recht geklappt, sagt er. Hier auf den Champs-Élysées funktioniere es bestens. "Hier funktioniert einfach alles", fügt Dambreville hinzu. Der Andenkenverkäufer im "I love Paris" sieht das ähnlich. "Wir Billiganbieter bleiben da", versichert er.

Was ist eine Prachtstraße?

Richtig große Städte wie Berlin, Paris oder New York haben in ihrem Zentrum gerne mal eine richtig breite Straße mit teuren Läden. Diese Straßen nennt man auch Prachtstraßen.

Jede Stadt hat eine Hauptstraße. Sie liegt mehr oder weniger in der Mitte des Ortes. Meistens sind Läden an dieser Straße, weil hier die Bewohner und Besucher der Stadt entlang laufen. Je größer die Stadt ist, desto größer ist auch ihre Hauptstraße. Und ganz große Städte haben dann auch ganz große Hauptstraßen. In Paris heißt diese Straße Avenue des Champs-Élysées, meist werden aber die ersten zwei Worte weggelassen. In Berlin ist es die Straße Unter den Linden, in New York die Fifth Avenue. Viele Menschen aus aller Welt kommen extra, um auf diesen Straßen einkaufen zu gehen. Es gibt dort besonders tolle (und teure) Läden, weshalb man diese Straßen Prachtstraßen nennt. Oft werden sie aber auch benutzt, um große Feste zu feiern.

Ressort: Ausland

  • Artikel im Layout der gedruckten BZ vom Fr, 03. August 2018: PDF-Version herunterladen

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