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Gedenken

Amoklauf in Winnenden: Woher kam dieser Hass?

  • dpa

  • Di, 11. März 2014, 00:00 Uhr
    Panorama

Im März 2009 hat der 17 Jahre alte Tim K. in der Albertville-Realschule in Winnenden 15 Menschen erschossen. Das Blutbad war ein Alptraum – aber es führte zu Veränderungen.

Der „Gebrochene Ring“, ein... erinnert an die  Opfer des Amoklaufs.  | Foto: dpa/ingo Schneider
Der „Gebrochene Ring“, ein Stahlkunstwerk von Martin Schöneich, erinnert an die Opfer des Amoklaufs. Foto: dpa/ingo Schneider
Als Sebastian Wolf am 11. März 2009 um 9.35 Uhr in die Albertville-Realschule in Winnenden eindringt, weiß er nicht, was ihn erwartet. Gleich im Eingangsbereich sieht der Polizist auf einem Treppenabsatz eine dunkle Figur – und dann hört er es pfeifen. Eine Kugel verfehlt seinen Kopf, und er sieht die Gestalt flüchten. Hätten er und seine beiden Kollegen nicht beherzt das Gebäude gestürmt – Todesschütze Tim K. hätte noch mehr Unheil in seiner früheren Schule angerichtet. Der 15 Opfer gedenken die Schule und die Stadt am heutigem Dienstag.

An dem Unglückstag vor fünf Jahren wird vielen die Grausamkeit der Tat erst deutlich, als in der Pressekonferenz der damalige Innenminister Heribert Rech (CDU) und Landespolizeipräsident Erwin Hetger vor laufenden Kameras in Tränen ausbrechen. Was sie gesehen haben, verschlägt ihnen fast die Sprache. Denn im Schulgebäude sitzen zu diesem Zeitpunkt noch acht Schülerinnen in ihren Bänken, mit tödlichen Kopfverletzungen, ein weiterer ermordeter Schüler ist vom Stuhl gerutscht. Eine Lehrerin liegt tot in einem Fachraum, zwei Referendarinnen sind tot zusammengesunken im Gang. Elf Schüler und zwei Lehrerinnen sind verletzt.

Rech erinnert sich an die Bilder aus dem Klassenzimmer, die ihn lange nicht loslassen: "Das kann nicht sein, dass sie tot sind, dachte ich. Das war unwirklich und grausam." Doch nicht nur in der Schule wütet der 17-jährige Tim K., auf der Flucht erschießt er drei Männer, bevor er sich selbst tötet.

Nach der Tat dreht sich die Diskussion vor allem um den Täter und seine Motive. Wie konnte in der schwäbischen Provinz ein unauffälliger junger Mann eine solches Verbrechen begehen? Am Anfang aller Erklärungsversuche steht sein Zugang zu einer Waffe, einer Beretta, mit der er im Sportschützenverein seines Vaters trainiert hatte. Diese Waffe hatte der Vater im Kleiderschrank unverschlossen deponiert, wofür er wegen Verstoßes gegen das Waffengesetz zu eineinhalb Jahren Haft auf Bewährung verurteilt wurde. Die Munition lag im Nachtisch: Tim K. war mit 285 Kugeln zu seinem Amoklauf aufgebrochen. Aber allein die Verfügbarkeit einer Waffe führt nicht zwangsläufig zu einem Blutbad. Später wird bekannt, dass Tim K. 2008 in psychiatrischer Behandlung war und dort von Hass und Tötungsfantasien gesprochen hatte. Zum sicher nie vollständigen Puzzle gehört, dass der Unternehmersohn geradezu süchtig nach Computer-Ballerspielen und ein Waffennarr war. Aber in seiner neuen Schule galt er nicht als isoliert oder introvertiert.

Die Angehörigen der Opfer warnten damals davor, den Täter in den Fokus zu rücken: Das käme seinen Motiven entgegen. Ein Aktionsbündnis "Amoklauf Winnenden" forderte ein Verbot großkalibriger Waffen für Privatpersonen und schärfere Vorgaben bei Computerspielen – beides unerfüllte Forderungen.

Die Zahl der Schulpsychologen im Südwesten sollte auf 200 verdoppelt werden – ein Plan, der wegen fehlender Fachleute noch heute nicht ganz umgesetzt ist. Ein anderer guter Weg gegen Gewalt an Schulen sei eine starke Schulgemeinschaft, sagt Kultusminister Andreas Stoch (SPD). 480 Schulen beteiligen sich am Präventionskonzept "stark.stärker.WIR", das das Land finanziert, 288 weitere Schulen stehen in den Startlöchern. Das Land hatte die Förderung dafür jüngst von 15 Millionen auf 25 Millionen Euro angehoben.

Dennoch ist nach Ansicht des Lehrerverbandes Bildung und Erziehung (VBE) nicht genug gegen Gewalt an Schulen unternommen worden. Prävention spiele in der Aus- und Fortbildung der Lehrer eine zu geringe Rolle, die Schulpsychologen seien zu selten an den Schulen, und die Pädagogen hätten zu wenig Zeit, sich um die einzelnen Schüler zu kümmern und eventuelle Signale für bevorstehende Verzweiflungstaten zu erkennen.

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Ressort: Panorama

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