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Zisch-Schreibwettbewerb Herbst 2010

Das besondere Interview

Christin Voigt, 17 Jahre, Gymnasium Osnabrück

Von Christin Voigt, 17 Jahre & Gymnasium Osnabrück

Mo, 25. Oktober 2010 um 15:48 Uhr

Schreibwettbewerb

Von Christin Voigt, 17 Jahre, Gymnasium Osnabrück

Was könnte es schöneres geben, als einen Sonntagmorgen voller Ruhe und Entspannung, begleitet von den sanftesten Tönen ihrer Lieblingsmusik.

Barbara Angels saß gedankenversunken in ihrem rosaroten Sessel und nahm einen kräftigen Schluck aus ihrer Kaffeetasse. Der stressige Alltag der lebensfrohen Reporterin ließ sie genau diese Entspannung erst zu schätzen wissen. Gerade drohte sie in ihrem kleinen kuscheligen Wohnzimmer einzunicken, als das Telefon die Ruhe durchbrach.

"Angels….", stammelte sie müde und bemühte sich erst gar nicht, ihre Wut zu unterdrücken. "Wunderschönen Sonntagmorgen, Lieblingskollegin. Leider, leider ist gestern der neuste Teenie- Star Dustin Otter in unser bescheidenes kleines Städtchen eingetroffen und wir zwei Hübschen haben die Ehre, ihn zu interviewen. Taxi zu dir ist schon unterwegs, also mach dich schnell fertig, ich sehe dich im Auto", kam es mit übertriebener Höflichkeit aus dem Telefonhörer.

Die aufgeweckte Stimme gehörte zu Martin Alberts, dem emsigsten Reporter der gesamten Redaktion. Sollte irgendwo auf der Welt ein auch noch so unbedeutsamer Promi seinen Daumen krümmen, glaubt mir, Martin würde es herausbekommen. Die Welt des Klatsch und Tratsch war für ihn sein Leben. Perfekte Voraussetzungen, wenn man bei dem angesagtestem Jugendmagazin seiner Zeit arbeitete. Vielleicht war es auch genau diese Gabe, die Barbara fehlte. Oder allein die Sehnsucht nach Ruhe und einem stressfreien Nachmittag wurde ihr zum Verhängnis. Sie brachte ein leises Murren heraus. Warum konnte dieser verfluchte und viel zu junge Star nicht einen Tag warten, um ihren Heimatort aufzuwühlen?

Suchend kreisten ihre Augen durch den Raum. Wo zum Teufel war nur ihr Lieblingsmantel geblieben? Der Tag ging ja wirklich gut los. Während die Reporterin ihr Zimmer auf der Suche nach dem braunen Fetzen auf den Kopf stellte, fuhr auf dem Hof bereits das angekündigte Taxi vor und hupte eifrig, als wolle es eine Viehherde vertreiben.

Fluchend verließ Barbara das Haus, wohlgemerkt ohne den Mantel, und sah ihren Sonntag nur so davon schwimmen. Martin saß bereits im Wagen und strahlte sein gewohntes Honigkuchenpferd- Lächeln, für das sie ihn normalerweise so liebte. Heute nicht. Heute schien alles zu misslingen, was nur misslingen konnte. Es war wie verzaubert. In drei Stunden war ursprünglich ein Kaffeetrinken mit ihrer Schwester geplant. Es sollte die so geliebte Schwarzwälder Kirschtorte geben, für die das gesamte Redaktionsteam sie beneidete. Niemand konnte so gute Torten backen, wie Barbaras Schwester.

"Willst du gar nicht wissen, wo uns der Zufall uns hinführt?", riss Martin sie aus ihren Gedanken. "Mhmmmm", grummelte diese nur. Das Taxi hatte bereits die Stadtmitte erreicht und bog in eine kleine Nebenstraße ein. "Bilton! Wahnsinn oder? Das reichste Hotel der Gegend. Fünf Sterne, das sag ich dir. Ich wusste bisher nicht mal, dass wie so ein Hotel überhaupt in unserer Stadt haben. Und das Essen erst mal. Erstklassig!", schwärmte Martin weiter. Die Reifen quietschen und das Auto kam zum Stehen. "Weiter ran komme ich leider nicht.", entschuldigte sich der höfliche Taxifahrer und nahm dankend das Trinkgeld entgegen.

Martin sprang aufgeweckt aus dem Auto und rannte die Straße entlang. Lustlos folgte Barbara ihm und bedankte sich noch einmal bei dem Fahrer. Erst jetzt fielen mir die vielen Menschen auf, die sich an den Straßenrändern aufhielten. Massenweise schreiende Kinder waren unter ihnen. Keine Schreie voller Angst oder Schmerz, sondern haufenweise Zwölfjährige in weißen T-Shirts, aufgedruckt das Gesicht dieses Jungens. Ein Dutzend Plakate blickten ihr entgegen. Einige Jugendliche unter ihnen hatten sich sogar sein Gesicht auf die Haut tätowieren lassen. Wie lächerlich. Dustin Otter wird sich wahrscheinlich noch höchstens zwei Jahre an der Spitze der Charts halten können, danach werden andere kommen. Talentierte junge Männer gab es wie Sand am Meer.

Martin hatte seine Not sich durch die Massen zu kämpfen und einen Weg frei zu machen. Barbara drängte sich an seine Seite und überließ die tobenden Fans ganz ihm allein. Wie konnte man nur wegen einem einzigen Menschen so einen Radau veranstalten? Endlich schien sich das Hotel zu nähern, wo sie auf Dustin treffen sollten. Die Türsteher begutachteten skeptisch ihre VIP- Ausweise, die Barbaras Kollegen wohl aufgetrieben hatten und ließen die zwei schließlich in einen winzigen Nebenraum des übermäßig großen Hotels. Es dauerte exakt 30 Minuten bis ein Mitarbeiter des Hotels den beiden Reportern zu verstehen gab, dass Dustin auf kein Interview vorbereitet wäre, man sie ohnehin nicht erwartet hätte und sie doch bitte wieder dahin gehen sollen, woher sie gekommen sind. Betrübte Blicke machten sich in Martins Gesicht breit.

Barbara war recht froh, so kam sie wenigstens noch zu ihrer Schwarzwälder Kirschtorte. Doch ihr Kollege schien ihr dies nicht zu gönnen. "Siehst du den Servierwagen dort hinten?", wisperte er und hatte sein gewohntes Grinsen zurückgefunden. Barbara konnte schon ahnen, was er jetzt vorhatte. Erst letzte Woche zuvor hatten die beiden Reporter noch einen Film gesehen, in dem sich ein Groupie als Kellnerin verkleidet in das Zimmer ihres Stars schlich, der Klassiker aller alten Filme über Berühmtheiten. Doch so etwas konnte doch wohl niemals im wahren Leben funktionieren. Was dachte er sich nur dabei? "Ist das nicht aufregend? Wir machen jetzt mal endlich was richtig Verbotenes! Das wird ein Spaß!", grinste Martin nur. Wie Barbara ihn doch gerade für seine Freunde am Beruf hasste. Man würde sie feuern, wenn das herauskäme.

Doch der emsige Reporter hatte bereits seinen Weg nach oben eingeschlagen und rüstete sich mit dem Servierwagen und jeder Menge Silbertabletts aus. "Komm!", rief er Barbara zu, die sich gerade ernsthaft um seine Vernunft fürchtete. Wie in alten Filmen, natürlich. Aber was denn bitte funktionierte hier wie in den Filmen? So etwas konnte er doch nicht machen. Martin warf ihr eine schwarze Schürzte in die Arme und machte eine Handbewegung nach oben. Murrend beugte sich die Reporterin den Forderungen und folgte ihm, ohne sich im Klaren zu sein, auf was sie sich schon wieder einließ. Was tut man nicht alles für seine Kollegen.

Plötzlich bog der Hotelmitarbeiter um die Ecke, der die beiden bereits am Anfang bat, das Gebäude doch bitte wieder zu verlassen. Martin drehte sich blitzschnell um 180 Grad und zerrte seine Kollegin mit sich in einen Nebenraum. Die Schritte des dunkelgekleideten Mannes waren deutlich zu hören. Er schien langsam an den beiden vorüberzugehen. "Puhh. Ist das nicht großartig? So ein Abenteuer hatten wir ja schon lange nicht mehr miteinander", flüsterte Martin. Ja ganz recht, in so einer Katastrophe steckten wir wirklich schon lange nicht mehr, dachte Barbara dagegen nur, sagte jedoch nichts.

Wieder kündigte ein leises Pochen die Schritte des Hotelarbeiters an. Barbara wagte einen zaghaften Blick um die Ecke. Ohje. Das war überhaupt nicht der Mann von vorhin. Nun konnte auch Martin sich keinen Blick mehr verkneifen und streckte neugierig seinen Hals in Richtung Tür.

Und da war er. Dustin Otter. Wie viele Mädchen würden jetzt wohl sterben um mit den beiden Reportern tauschen zu können? Wie viele Herzen könnte er wohl höher schlagen lassen und um wie viele Taschengelder hatte er sie durch seine Musik wohl schon beraubt? Lässig lehnte sich Dustin in den Türrahmen und kaute an seinem Kaugummi, als hätte er nie etwas anderes getan. Bei besten Willen, Barbara konnte nun wirklich nicht verstehen was an diesem Jungen so bezaubernd sein sollte. Martin holte tief Luft und setzte zum Reden an, verstummte allerdings bald. Ihm schienen die Worte zu fehlen, die diesen übergöttlichen jungen Herren dazu veranlassen mussten, sie um ein Interview zu beehren.

Lächerlich. Mehr fiel Barbara dazu nun wirklich nicht ein. Wie viele Stars hatten sie doch schon in ihrer bescheidenen Zeitschrift abgedruckt? Wie viele Bilder mit Berühmtheiten klebten bereits im Redaktions- Album. "Entschuldigung.", wagte nun Barbara selbst den Anfang. Dustin zuckte zusammen, fing sich aber bald wieder und starrte die Reporter mit einem aufgesetzten Lächeln an. Dieses Lächeln schien ihm ins Blut übergegangen zu sein, es war ja schließlich auf Dutzenden von Plakaten zu sehen.

"Endlich. Ich dachte schon ihr kommt nicht mehr", seufzte der Jugendliche, "Ich habe ihnen gesagt, ich kann nicht singen, wenn die Schwarzwälder Kirschtorte nicht rechtzeitig hier ist! Also, wo ist sie?". Martin schien mindestens genauso verwundert zu sein wie Barbara. "Ehhm. Ja die…. Tor-…. Die…. Ehh…", stammelte er. "Die holt mein Kollege sogleich vom besten Bäcker der Stadt ab", fiel ihm Barbara ins Wort und schob Martin einen Spalt aus dem Raum. "Spiel einfach mit. Fahr zu meiner Schwester und hol ihre berühmte Kirschtorte her. Ich versuche solange was aus diesem Jungen herauszukommen! Beeil dich!" Mit diesen Worten hab sie ihm einen Schubs in Richtung Ausgang.

Martin verstand nicht recht, befolgte allerdings den Anweisungen widerstandslos und verließ das Gebäude. Ob das wohl alles gut gehen würde. "Ich kann aber nicht lange warten. Ihr habt euch sowieso schon verspätet.", nörgelte Dustin. Barbara warf ihm einen unsicheren Blick zu und drängte ein winziges Lächeln heraus. Es musst e ihr doch irgendwie gelingen, aus dem Jungen ein paar persönlichere Fragen für ihren Bericht herauszukitzeln. "Und… wie lebt es sich so als Superstar?", begann sie eine Unterhaltung und hab sich große Mühe ihre Nervosität zu unterdrücken. Dustin warf ihr einen lässigen Blick zu. "Is schon cool, ja." Die Reporterin runzelte die Stirn. Superstarleben ist schon cool, notiere sie auf ihrem Collegeblock. Daraus würde nie ein guter Bericht werden. Der ganze Aufwand mit der Kirschtorte musste sich doch irgendwie lohnen.

Normalerwiese waren es die Fakten aller Einzelheiten über das Liebesleben der Stars wofür ihre Leser Brava schätzen. Doch wie sollte sie eine gute Überleitung von der Kirschtorte zu Dustins Privatleben finden? "Ich will Die Torte! Sofort!", drängte der Tennie-Schwarm. - "Ich esse die auch ganz gerne. Da kann ich dich schon verstehen. Ähm. Die kann man auch gut mit seiner Freundin zusammen essen, was?" Barbara biss sich auf die Lippen. War das schlecht. Jetzt würde sie vermutlich als Reporterin auffliegen. "Schon möglich", brummte Dustin und schien nichts zu ahnen.

Es folgten fünfzehn Minuten des Schweigens, bis schließlich endlich Martin mitsamt einer Kameraausrüstung und glücklicherweise auch der Schwarzwälder Kirschtorte eintraf. Dustin riss ihm den Teller aus der Hand und stürzte sich auf sie als wäre er am Verhungern gewesen. "Boaah, die ist gut", schmatzte er zufrieden. Barbara und Martin warfen sich zufriedene Blicke zu. "Endlich mal eine richtig gute Torte. So will ich das! Wollen se auch ’n Stück?", wand er sich Barbara zu, die sich auf einem Stuhl niederlies und irritiert ihr Lieblingsgericht entgegen nahm.

Martin nutze die Gelegenheit und schoss ein Foto von den beiden beim Schmatzen und Genießen. Während sie noch lange gemütlich beisammen saßen, schwirrten in dem Kopf des Reportes schon neue Ideen für das Interview mit Dustin Otter: Schwarzwälder Kirschtorte- Essen mit Mega-Star. – Warum der Sänger so auf das Familienrezept unserer Reporterin abfährt. Zufrieden sah er aus dem Fenster. Auch Barbara konnte sich nicht beklagen, schließlich ist sie doch noch zu ihrem Tortenessen gekommen. "So, ich muss dann noch ein paar Autogramme geben. Danke für die Torte, war echt lecker", verabschiedete sich Dustin schließlich und auch die Reporter schlugen ihren Heimweg an.

Erschöpft fiel Barbara am Abend ins Bett. Was war das denn wieder einmal für ein Tag? Doch war es nicht genau dieses Abenteuer, wegen dem sie Reporterin bei Brava werden wollte? Und obwohl sie jetzt im Bett lag und genau diese Ruhe fand, nach der sie sich anfangs so gesehnt hatte und die ihr Job offensichtlich nicht zuließ, war sie doch froh um ihren Beruf. Morgen, ja morgen würde sie genauso eine Begeisterung entgegenbringen, wie Martin es immer tat. Doch jetzt wollte sie erst einmal die Augen zumachen und endlich zu ihrem Schlaf finden. In dieser Nacht träumte sie seltsamerweise Schwarzwälder Kirschtorte

und jeder Menge kreischender Fans.

Ressort: Schreibwettbewerb

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