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Das Ende der Fleischbeschau

Gabriele Schoder

Von

Do, 13. Februar 2020

Kino

POLITDRAMA: Jay Roachs "Bombshell" über die sexuellen Übergriffe bei Fox News.

Blond und  sexy: Megyn Kelly (Charlize...dman),  Kayla Pospisil (Margot Robbie)  | Foto: wildBunch
Blond und sexy: Megyn Kelly (Charlize Theron), Gretchen Carlson (Nicole Kidman), Kayla Pospisil (Margot Robbie) Foto: wildBunch
Eine Bombe nennt man ja nicht nur Sprengkörper im militärischen Kontext. Und wie das deutsche Wort wird auch das englische "Bombshell" gerne im übertragenen Sinne verwendet, für Nachrichten mit Zündstoff – und für Frauen. Im Politdrama von Jay Roach hat die titelgebende Bombshell gleich alle drei Bedeutungen: Es geht um Sexbomben, Geschlechterkrieg und eine Mediensensation.

Im Juli 2016, mitten im US-amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf und lange vor dem Skandal um Harvey Weinstein, legte Roger Ailes, Chef des konservativen Nachrichtensenders Fox News, sämtliche Ämter nieder – zu Fall gebracht in einer konzertierten Aktion mutiger Journalistinnen. Was aber nicht heißt, die wären furchtlose, progressive Amazonen gewesen, die Männer entmachten und dem Haussender der Republikaner ans Bein pinkeln wollten. Im Gegenteil.

Moderatorin Megyn Kelly (Charlize Theron) ist der Prototyp einer sexy Nachrichtenblondine mit ultralangen Beinen. Aber sie ist auch klug und selbstbewusst – und befragt 2015 Donald Trump in der ersten Fernsehdebatte der republikanischen Vorwahlbewerber unverblümt zu seinen frauenfeindlichen Äußerungen. Der ist beleidigt und überzieht Kelly mit üblen Beschimpfungen auf Twitter. Sie wird vorerst beurlaubt, aber weiter von Fox bezahlt, und hält brav den Mund.

Klingt nach einem perfiden Schachzug: Bevor das demokratische Lager aus Trumps misogynen Sprüchen Vorteile ziehen konnte, hatte Fox sie schon thematisiert – und erntete dank seiner Krawallkampagnen Einschaltquoten wie nie. Alles gut also für die Konservativen? Nicht ganz, denn inzwischen ist die Sexismusdebatte im Sender selbst angekommen.

Gretchen Carlson (Nicole Kidman), auch so eine schöne blonde Galionsfigur bei Fox, ist ehemalige "Miss America" und hat es irgendwann satt, ewig das Barbiepüppchen spielen zu müssen: Sie moderiert ihr Nachmittagsmagazin einmal gänzlich ohne Make-up. Roger Ailes (John Ligthgow) rastet aus und kündigt ihr, das Fernsehpublikum wolle doch keine ungeschminkte Frau in der Menopause sehen. Er ahnt nicht, dass bald darauf die Bombe hochgehen wird: Gretchen verklagt ihn wegen sexueller Übergriffe. Ist das nur der unbegründete Rachefeldzug einer Frau, deren beste Jahre vorbei sind?

"Me too" sagen oder das Schweigen fortsetzen?

Ist es nicht, wie sich am Beispiel von Jungredakteurin Kayla Pospisil (Margot Robbie) zeigt. Sie ist im Gegensatz zu den anderen beiden Frauen eine fiktive Figur, in der das Drehbuch (Charles Randolph) verschiedene Erfahrungen verdichtet hat. Als sie zu Ailes gerufen wird, wittert sie ihre Chance, zu einer der Frontfrauen des Senders aufzusteigen – und dreht sich hinter verschlossener Bürotür bereitwillig um die eigene Achse, damit der Chef sie in Augenschein nehmen kann, Fernsehen ist schließlich ein visuelles Medium, wie er nicht müde wird zu betonen.

Aber dann nötigt er sie, Bein zu zeigen, ziehen Sie doch mal den Rock höher, ja, gut, noch ein bisschen mehr... Kaylas Blick, in dem ungläubiges Entsetzen aufscheint, Ohnmacht und Demütigung, während sie tut, wie ihr geheißen wird, und ihren Rock Stück um Stück nach oben zieht, bis man am Ende den Slip sehen kann: Allein dafür hätte Margot Robbie den Oscar als beste Nebendarstellerin verdient gehabt. Aber auch Buch und Regie haben hier einen der stärksten Momente des ganzen Films: Wann wurde im Kino ein sexueller Übergriff derart subtil und wuchtig zugleich inszeniert?

Verstört kehrt Kayla zurück an ihren Schreibtisch. Die Freundin und Kollegin, der sie sich anvertraut, rät ihr, den Ball flach zu halten, wenn sie noch was werden will bei Fox. Das gehört ja mit ins Muster sexueller Belästigung: das Schweigen der Opfer – aus Scham, aus Angst, dass man sie für hysterisch hält, aus Sorge um ihre berufliche Zukunft.

Kayla schweigt auch dann noch, als bekannt wird, dass Gretchen Klage eingereicht hat. Und auch sonst macht niemand den Mund auf, keine Megyn, keine von den Ladys, die sich vor der Kamera in Shaping Bodies, Push-up-BHs und Miniröcken verkaufen. In der Redaktion werden "Team Roger"-Shirts verteilt, und alles sieht danach aus, als könnte Ailes bald wieder zur Tagesordnung übergehen.

"Bombshell" erzählt mit klugen Schnitten, Parallelmontagen und Splitscreens die Geschichte, deren Ausgang bekannt ist, auf packende Weise. Und macht den konkreten Fall zugleich zum exemplarischen: Der Mut, "me too" zu sagen, ist das einzige Mittel gegen sexualisierte Gewalt am Arbeitsplatz. Und ja, die fängt genau da an: mit der lüsternen männlichen Fleischbeschau.

"Bombshell" (Regie: Jay Roach) läuft in Freiburg und Basel. Ab 12.

Ressort: Kino

  • Veröffentlicht in der gedruckten Ausgabe der BZ vom Do, 13. Februar 2020:
  • Zeitungsartikel im Zeitungslayout: PDF-Version herunterladen

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