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Das Wichtigste ist die Ausstrahlung

  • Sa, 01. Juli 2017
    Hohberg

JuZ-Reporterin Emma Nentwig nahm an einem Kurs für Selbstverteidigung teil und lernte, was "Protactics" ist.

"Protactics" heißt der Sport für den ich mit einer Freundin an einem Samstagmorgen über eine Straße voller Schlaglöcher zum Marienhof des CVJMs bei Hohberg fahre. Es geht um Selbstverteidigung, genauer gesagt um Modern-Selfdefense-Education, kurz MSE. Meine bisherigen Erfahrungen mit Selbstverteidigung belaufen sich auf zwei Brüder. Heute aber soll es vor allem um Selbstbehauptung und Gewaltprävention gehen – Protactics eben.

"Pro bedeutet, dass es für alle steht, für das Gute" wie Lukas Dittus von der Sportschule Dittus uns gleich zu Beginn erklärt: "Tactics steht für die Tatsache, dass wir verschiedene Taktiken einsetzen, um das Gute zu fördern, um zu helfen. Außerdem erinnert es an protect."

In dem alten Stall des Marienhofs hat sich eine bunte Truppe versammelt: Kinder ab zwölf Jahren, erwachsene Frauen und Männer, Jugendliche wie wir. Insgesamt sind wir 13. Zu Beginn erklärt uns Lukas Dittus, Leiter der Sportschule Dittus, um was es heute gehen soll: "Protectics ist eine Art, sich zu verteidigen, gegen alle möglichen Angriffe auf der Straße. Es geht aber immer um Verteidigung und um Hilfe. Es geht niemals darum, selbst anzugreifen." Dazu zitiert er den deutschen Schriftsteller Bertold Brecht: "Wer kämpft, kann verlieren, wer nicht kämpft, hat schon verloren." Soweit so einfach. Eigentlich.

"Wenn die Techniken
richtig beherrscht werden, kann ein Kind gegen
einen Mann gewinnen."

Lukas Dittus
Wir fangen, wie es sich für Sport gehört, mit einem Aufwärmtraining an. Sehen und gesehen werden spielen den ganzen Tag über eine große Rolle. Was erwartet der Gegner, wie ich reagiere? Wie reagieren andere auf mich? Ein Gespür für andere zu bekommen, das ist wichtig.

Anfangs ist es sehr ungewohnt, sich in einer solch bunten Gruppe zu bewegen. Doch wir gewöhnten uns schnell aneinander. Nach dem Aufwärmen geht es mit Kopf-Hand-Koordination weiter. Schließlich bringt alle Kraft der Welt nichts, wenn nicht mitgedacht und schnell alles umgesetzt werden kann. Dennoch bleibt es an einem Nachmittag nur ein kurzer Einblick.

Einen kurzen Einblick bekamen wir auch in das Krafttraining des Sports: Liegestützen, Kniebeuge, Situps. Jeder, wie er kann. "Aber", so Lukas Dittus: "Kraft spielt an sich auch nur eine eher zweitrangige Rolle. Wenn die Techniken richtig beherrscht werden, kann ein Kind gegen einen Mann gewinnen."

Und so kamen wir endlich zu dem, wofür wir eigentlich gekommen waren: Schläge und Tritte. Wie schlage ich so, dass ich selbst möglichst wenig Schmerzen, mein Gegner aber möglichst große Schmerzen hat? Wir lernen unterschiedliche Techniken und Schwachstellen des menschlichen Körpers kennen: Kniescheibe, Genitalbereich, Magengrube, Augen – hier geht es ums Überleben. Wir üben mit Hilfe von Protektoren: Auf jeden werden die unterschiedlichen Schlag- und Tritttechniken angewandt. Anstrengend, aber wunderbar aggressionsabbauend... Diese Arten von Verteidigung wirken aus der Distanz, wenn der Gegner noch nicht zu nahe gekommen ist.

Dem gegenüber steht der sogenannte Infight, also quasi der Nahkampf. Das Szenario geht weiter: Wir können uns den Gegner nicht vom Hals halten und müssen uns nun aus Umklammerungen aller Art befreien. Immer zu zweit nehmen wir uns dazu in den Schwitzkasten oder in den Würgegriff, wehren uns gegen Fußtritte oder Attacken mit Gummimessern oder Stöcken. Davor erklärt uns Lukas Dittus aber noch das eigentlich Wichtigste, wichtiger als richtige Technik oder Kraft: die Ausstrahlung. Denn, wenn ich schon allein durch meine Haltung einem potentiellen Angreifer signalisiere, dass ich keine Angst habe oder gar stärker bin, dann wird er mich wahrscheinlich auch nicht angreifen. Manchmal kann es so einfach sein. Selbstzweifel sollte man einem Gegner nie zeigen, ihm nicht den Rücken zudrehen und ihm nie die Möglichkeit geben, ihn nah an sich heran zu lassen. Besonders wichtig ist bei einem Angriff auch, Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, denn auch das schüchtert einen Angreifer ein. Zudem lassen sich durch Zeugen später eventuelle Schuldfragen klären.

Eigentlich ist das alles nicht schwer, trotzdem wird uns allen eines klar: Ein einmaliger Selbstverteidigungskurs reicht nicht. Denn gelernt haben wir zwar viel, doch die Techniken sind mittlerweile – mit ein paar Wochen Abstand – fast alle wieder vergessen.

Ressort: Hohberg

Dossier: Jugendredaktion Lahr

  • Artikel im Layout der gedruckten BZ vom Sa, 01. Juli 2017: PDF-Version herunterladen

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