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Dem Welterbe droht die Rote Liste

  • dpa

  • Do, 24. Juni 2021
    Panorama

Die Unesco könnte schon bald die Welterbestätten Venedig und das australische Great Barrier Reef als gefährdet einstufen.

Ein Kreuzfahrtschiff fährt am Markusplatz in Venedig vorbei.  | Foto: Andrea Merola
Ein Kreuzfahrtschiff fährt am Markusplatz in Venedig vorbei. Foto: Andrea Merola

Die Unesco macht Druck: Die Stadt Venedig und das Great Barrier Reef vor der Küste Australiens könnten bald auf der Roten Liste der gefährdeten Welterbestätten stehen. Das schlagen Unesco-Experten vor. Schon im Juli könnte bei einer Konferenz ein entsprechendes Votum fallen. Mit dem Eintrag in die Negativliste könnten Besucher einen Bogen um die bisherigen Touristenmagnete machen.

Great Barrier Reef

Das Great Barrier Reef vor der Ostküste Australiens ist das größte Riff der Welt und dehnt sich auf einer Fläche von mehr als 344 000 Quadratkilometern aus – damit ist es größer als Italien. Als eine der größten Touristenattraktionen ist es auch ein wichtiger Wirtschaftsfaktor: Experten schätzen den Wert für den Tourismus auf umgerechnet rund 20 Milliarden Euro. Wäre es als gefährdet gelistet, könnte sich dies auch auf Tausende Jobs im Land auswirken, so die Befürchtung.

Australiens Regierung setzt sich deshalb heftig gegen die Empfehlung der Unesco zur Wehr, das Great Barrier Reef, das seit 1981 Weltnaturerbestätte ist, wegen Umweltschäden auf die Rote Liste zu nehmen. Die UN-Organisation habe in dem Entwurf die "herausragenden und wissenschaftsbasierten Strategien" ihres Landes zum Schutz des weltberühmten Korallenriffs nicht ausreichend bedacht, kritisierte Umweltministerin Sussan Ley. Die Regierung sei von dem Bericht überrumpelt worden.

In dem von der Regierung in Canberra zitierten Unesco-Entwurf fordert das Welterbekomitee Australien eindringlich auf, Maßnahmen gegen den Klimawandel zu treffen – auch mit Blick auf die Qualität des Wassers rund um das Riff. Die langfristigen Aussichten für das Naturwunder hätten sich von "schlecht" zu "sehr schlecht" entwickelt. Als besorgniserregend wurden auch die wiederholten Korallenbleichen bezeichnet. Über die Empfehlung selbst will das Welterbekomitee auf einer Konferenz im Juli beraten.

Vor allem durch die Klimakrise ist das Riff stark gefährdet: Die Vereinten Nationen warnen, dass 90 Prozent aller Korallen auf der Welt absterben könnten, wenn die globalen Temperaturen um 1,5 Grad steigen. Die Weltnaturschutzunion (IUCN) stuft die Überlebensaussichten des Great Barrier Reef als "kritisch" ein. Als führender Produzent fossiler Brennstoffe und wegen des enormen Kohlendioxid-Ausstoßes steht Australien bei Naturschützern stark in der Kritik.

Venedig

Die UN-Fachleute fällen in ihrer Studie ein hartes Urteil über die Versuche Italiens, die Schäden durch große Schiffe und den Anstieg der Besucherzahlen in Venedig einzudämmen. Die Experten schreiben, dass der Besucherboom kombiniert mit dem Schwund der einheimischen Bevölkerung zu einem "erheblichen Verlust an historischer Authentizität" in Venedig geführt habe. Auch der Klimawandel bereite Sorgen. All diese Faktoren "rechtfertigen die Aufnahme in die Liste für gefährdetes Welterbe".

Die Regierung in Rom reagierte am Montagabend mit der aufgeregten Ankündigung, sie wolle nun schnell für Abhilfe sorgen. "Das wäre eine sehr ernste Sache für unser Land", schrieb Italiens Kulturminister Dario Franceschini. "Die Zeit zum Zögern ist vorbei." Dabei tobt der Kampf um den Erhalt der Stadt des Markusplatzes und der Gondeln schon seit Jahren. Die Politik in Rom, die Region Venetien und die Stadt liefern sich ein Dauertauziehen mit Bürgerinitiativen und der Wirtschaft um den richtigen Kurs.

Wenn die Unesco Ernst macht mit ihrer Drohung, wäre Italien nach Informationen der Nachrichtenagentur Ansa aufgefordert, einen neuen Maßnahmenplan auszuarbeiten und bis Februar 2022 einen Bericht über die Umsetzungen vorzulegen. Eigentlich hatte Rom Anfang April per Dekret beschlossen, Ideen zu sammeln, um die Schiffsgiganten aus der Lagune fern zu halten. Von vielen war das schon als Verbot für Schiffe über 40 000 Bruttoregistertonnen gesehen worden. Sie sollten nicht mehr direkt am Markusplatz vorbeifahren. Doch so war es nicht. Unter lautstarken Protesten vieler Bürger hatte Anfang Juni nach gut eineinhalb Jahren Corona-Pause wieder ein großes Kreuzfahrtschiff in der Lagune von Venedig abgelegt.

Die Suche nach einer Lösung stockt. Geplant ist nach Medienberichten eine Übergangszeit mit einer Anlegestelle im Festland-Industriehafen von Marghera. Und später eine große, teure Hafen-Neuanlage auf dem Meer. "Der Industriehafen von Marghera ist Teil der Lagune. Auch wenn die Kreuzfahrtschiffe dort anlegen, wird die Lagune weiter zerstört", sagt dazu die deutsche Autorin Petra Reski, die in Venedig lebt. "Es geht um den Wasserdruck, der die Fundamente der Stadt beschädigt, es geht um den Feinstaub, es geht um andere Umweltschäden durch den Schiffsverkehr."

Sie äußert sich kritisch über den Massenzustrom. "Die Kreuzfahrt-Touristen schlafen nicht in der Stadt und geben dort wenig Geld aus, sie essen auch selten dort." Venedig und seine Lagune haben seit 1987 den Welterbestatus. Die Zahl der Besucherankünfte ist von rund 3,4 Millionen im Jahr 2009 auf 5,5 Millionen 2019 geklettert. Käme die Lagunenstadt auf die Rote Liste, wäre dies "eine Ohrfeige für alle Verantwortlichen", so Reski.

Das Erbe der Menschheit

Die Organisation der Vereinten Nationen für Bildung, Wissenschaft und Kultur (Unesco) zeichnet Stätten als Welterbe aus, die von außergewöhnlichem Wert für die Weltgemeinschaft sind. Das können bedeutende historische Orte oder Gebäudeensembles, aber auch Landschaften oder Naturschutzgebiete sein. Die Unesco-Mitgliedsstaaten nominieren dafür Kandidaten auf ihrem Territorium. Die Unesco führt derzeit 1121 Stätten als Weltkultur- oder Naturerbe. Zu den 46 Welterbestätten in Deutschland gehören die Insel Reichenau im Bodensee, der Kölner Dom und die Zeche Zollverein in Essen.

Auf der Roten Liste des gefährdeten Welterbes führt die Unesco derzeit 53 Stätten, die durch Konflikte, Bauprojekte oder Umweltzerstörung bedroht sind. Bislang haben nur zwei Welterbestätten ihren Titel tatsächlich verloren. Das Wildschutzgebiet der Arabischen Oryx – eine Antilopenart – wurde 2007 gestrichen, weil der Oman das Schutzgebiet für die Erdölgewinnung drastisch verkleinert hatte. Das Dresdner Elbtal verlor 2009 seinen Status als Weltkulturerbe wegen des Baus einer Brücke.

Ressort: Panorama

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