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Der Heilige Martin als junger Zweifler

Anja Bochtler

Von

Mi, 25. Oktober 2017

Freiburg

Die Hochdorfer Martins-Pfarrei feiert das 300-jährige Bestehen ihrer Kirche mit einem Musical über ihren Namenspatron.

Papphelme und Speere: Die Soldaten marschieren vor sich hin – und manchmal lacht auch mal einer ganz unsoldatisch. Foto: Ingo Schneider
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HOCHDORF. Was steckt hinter der Botschaft von Martin, der als christlicher Heiliger gilt? Beim Martinsumzug geht’s alle Jahre wieder um seine radikale Umsetzung der christlichen Nächstenliebe, indem er seinen Mantel mit einem Bettler teilte. Die katholische St.-Martin-Gemeinde in Hochdorf nutzt das 300-Jahre-Jubiläum ihres Kirchengebäudes, um neue Antworten auf die Frage nach ihrem Namenspatron zu finden: 20 Kinder und zehn Erwachsene proben zurzeit für die Aufführung ihres Musicals "Auf Augenhöhe".

Wer war Martin? Zum Beispiel auch ein verunsicherter, zweifelnder Sohn. Und ein ratloser junger Mann, der Orientierung brauchte. Das zeigt die Szene mit Gregor Nietsche (18), der den älteren von mehreren Martin-Varianten im Musical spielt, und dessen Vater (Clemens Faller). Und später das rastlose Suchen dieses Martin nach einem Sinn.

Joachim Koffler, der Pfarrer, schaut sehr genau hin, als Martin seinem Vater verkündet, dass er nicht weiter Soldat sein will, wie es sein Vater sich immer für ihn gewünscht hat. "Ich möchte mich taufen lassen", sagt Martin. Mit Clemens Fallers Reaktion ist Joachim Koffler noch nicht zufrieden – sie ist ihm zu undramatisch. Beim nächsten Mal greift sich Clemens Faller dann mit entsetztem Blick an die Brust, das gefällt Joachim Koffler besser. Hinter den beiden fangen die als kleine Soldaten verkleideten Kinder an zu singen und stampfen, wie ein vor sich hin marschierender Militärtrupp. Später verwandeln sie sich in Mönche – so, wie aus dem Soldaten Martin ein Bischof wird.

Davor irrt er herum. Er trifft auf Mia Henselmann (13), die eine Sackkutte und einen roten Hut trägt und ihm begeistert von ihrer Bekehrung von einer Bierfässer-Diebin zur Christin erzählt. Mit dem Text hapert es zwar manchmal noch, aber es ist ja noch Zeit zu lernen – Joachim Koffler springt ein, damit Mia erzählen kann, wie Bischof Hilarius zum Wunder ihrer Veränderung beigetragen hat. Im Musical kann hinter Hilarius, anders als es die katholische Kirche in der Realität erlaubt, auch eine Bischöfin stecken: Alessia Henselmann (12) berät den jungen Martin in einer Bischöfinnenkutte.

Die Kleineren haben sich inzwischen in den Vorraum verzogen und warten auf ihren nächsten Einsatz. Sie sind ein bisschen aufgeregt – ihre erwachsenen Betreuerinnen noch mehr. Hektisches Tuscheln, gehetzte Antworten auf Fragen der Kinder, immer wieder Ermahnungen: "Langsam laufen, ruhig sein!" Für Jonathan Gut (11), der sehr gelassen wirkt, kommt der große Auftritt noch: Er spielt nachher einen weiteren Martin, der in dem Musical vorkommt. Denn die fünf Lehrer, die das Musical ursprünglich für eine Aufführung der Diözese Rottenburg-Stuttgart 2016 geschrieben haben, hätten die alte Martin-Geschichte mit aktuellen Herausforderungen anreichern wollen, sagt Joachim Koffler.

Deshalb gibt’s einen Martin, der sich einmischt, als jemand Opfer von Cybermobbing wird. Und einen, der sich wehrt, als die anderen ein Kind beim Fußballspielen ausschließen wollen. War da der alte Martin, der lieber selbst fror, statt einen Bettler alleine frieren zu lassen, nicht radikaler? Joachim Koffler sieht den Mantel aber vor allem symbolisch, als Zeichen für Schutz. Und den riskieren alle, die für Ausgegrenzte aus der Deckung kommen, argumentiert er.

Eigentlich bräuchte das Stück, das für eine große Schule geschrieben wurde, rund 300 Mitspieler. Joachim Koffler hat es deshalb um die Hälfte gekürzt. Ende September begannen die Proben, die Schauspieler haben sich durch Aufrufe im Mitteilungsblatt gemeldet. Auch ein paar Ministranten sind dabei – so wie Jonathan Gut. Er macht aber nicht deshalb mit, sondern weil er solche Aufführungen toll findet, erzählt er. Texte auswendig zu lernen, fällt ihm leicht, er hat auch schon bei einer Schulaufführung mitgemacht. Bloß eines wollte er nicht: ein Solo singen. Das hat er lieber seinem Martin-Kollegen Gregor Nietsche überlassen.

Soli gibt’s mehrere, auch Neele Tiesler (8) hat eines übernommen. Sie spielt eine Bürgerin, die durch Martin bekehrt wird. Sie hat schon oft gesungen, in der Kita, in der Schule, beim Krippenspiel. Die Martin-Geschichte findet sie gut, sagt sie: "Weil der Martin kein Soldat mehr sein will, sondern zu Jesus findet."

Jubiläumswoche: Samstag, 4. November, 18 Uhr, Festgottesdienst in der Kirche St. Martin, Zur March 4. Danach Ausklingen im Pfarrer-Meybrunn-Haus, Benzhauser Straße 3. Mittwoch, 8. November, 18 Uhr, Kirchenführung mit Arno Herbener, danach ab 20 Uhr kirchengeschichtlicher Rückblick von Johannes Krämer. Samstag, 11. November, 17 Uhr, Martinus-Musical "Auf Augenhöhe" in der Kirche. Sonntag, 12. November, 10 Uhr, Gottesdienst mit Musikverein und Chorvereinigung Hochdorf, ab 12 Uhr Gemeindefest in der Mooswaldhalle, ab 17 Uhr Martinus-Musical in der Kirche.

Kirchengeschichte

Am 4. November beginnt die Jubiläumswoche, die das 300-jährige Bestehen des Neubaus der Kirche St. Martin feiert. Doch auch davor gab es in Hochdorf schon eine Kirche.
1050 bis 1100: Erste archäologische/baugeschichtliche Hinweise auf ein Kirchengebäude.
1179: Schriftlicher Nachweis für eine Kirche in einer päpstlichen Urkunde.
1512: Erste Erwähnung des Martinspatroziniums.
1712: Beginn des Neubaus der Martinskirche (bis 1717), Kirchturm 1767.
1791: Hochdorfer Gemeinde löst sich von Hugstetten und wird eigenständig.
1917 und 1942 werden jeweils Glocken zur Metallgewinnung für die Kriegsindustrie eingezogen.
1973 bis 1976: Restaurierung der Kirche und Weihe neuer Glocken.

Ressort: Freiburg

  • Veröffentlicht in der gedruckten Ausgabe der BZ vom Mi, 25. Oktober 2017:
  • Zeitungsartikel im Zeitungslayout: PDF-Version herunterladen

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