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"Der Schönheitswahn ist eine Einstiegsdroge"

  • Do, 28. Mai 2015
    fudder

FUDDER-INTERVIEW mit Nora Burgard-Arp, die ein Multimedia-Dossier zum Thema Magersucht erstellt hat.

Hungern ist nur ein Teil der Magersucht.   | Foto: Almogon/photocase.de
Hungern ist nur ein Teil der Magersucht. Foto: Almogon/photocase.de

Magersucht ist die psychische Erkrankung mit der höchsten Sterblichkeitsrate. Trotzdem wird die Krankheit unterschätzt, falsch dargestellt, verwechselt. Um mit all den Missverständnissen aufzuräumen, hat Nora Burgard-Arp das Multimedia-Dossier "Heute ist doch jeder magersüchtig" erstellt – und ist damit nun für den Grimme Online Award nominiert. Inka Rupp hat sie erzählt, was Magersucht ist, was sie von Germany’s next Topmodel hält – und wie sich Facebook auf die Krankheit auswirkt.

Fudder: Germany’s Next Topmodel hat unzählige junge Mädchen als Fans. Wie bewertest Du diese Show im Hinblick auf das Thema Magersucht?
Burgard-Arp: Diese Serie hat definitiv einen Einfluss, und ich sehe die krasse Konzentration auf den Körper sehr kritisch. Aber ich denke nicht, dass GNTM der einzige Sündenbock ist. Da müsste man sich eher die komplette Fernsehlandschaft anschauen, Castingshows gehören ja absolut zum Leben dazu. Das ist eine Bewertungskultur: Da stehen Leute in Unterwäsche vor einer Jury oder singen und werden bewertet. Aber ich denke, dass das keineswegs der einzige Grund für einen Einstieg in die Magersucht ist. Es gibt gerade eine interessante Studie, in der Mädchen, die an Magersucht erkrankt sind, gefragt wurden, ob Sendungen wie GNTM Einfluss auf sie haben. Da sagen schon einige, dass sie durch Sendungen wie The Biggest Loser oder eben GNTM beeinflusst werden – aber sie waren eben bereits erkrankt.
Fudder: Aus welchen Gründen kann man an Magersucht erkranken?
Burgard-Arp: Es gibt keinen einheitlichen Grund – das will ich mit meinem Projekt zeigen. Es sind jeweils ganz individuelle Geschichten, die man nicht auf ein Schönheitsideal herunterbrechen kann oder auf den Ansporn, so auszusehen wie ein Model. Deshalb habe ich die Fotoreihe gemacht, auf der man die unterschiedlichsten Dinge sieht, die die Patienten und Patientinnen täglich benutzen. Viele der Patientinnen werden rückfällig, sind zweimal, dreimal in Kliniken oder kämpfen ihr ganzes Leben lang dagegen an. Und wenn es so einfach wäre und man sagen könnte: "Wir müssen einfach dein Selbstbewusstsein stärken, damit du weißt, du bist auch schön", dann wäre dieser Weg nicht so hart.
Fudder: Wie hängen Schönheitswahn und Magersucht zusammen?
Burgard-Arp: Natürlich gibt es Mädchen, die dünner werden möchten, weil sie einem bestimmten Schönheitsideal entsprechen wollen. Dieser Schönheitswahn und die Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper sind eine Einstiegsdroge. Aber dass man dann tatsächlich in diesen Teufelskreis hineinkommt und nicht mehr aufhören kann, das ist deutlich komplexer. Es gibt Mädchen, die am liebsten unsichtbar werden möchten. Dieser Wunsch kommt vor allem in der Pubertät auf, in der sie mit ihrer Weiblichkeit und dem Frauwerden überfordert sind. Sie möchten ihren kindlichen Körper behalten und gleichzeitig nicht mehr auffallen – buchstäblich verschwinden.
Fudder: Welche Rolle spielen die sozialen Netzwerke?
Burgard-Arp: In den sozialen Netzwerken findet eine extreme Konzentration auf unsere Körper statt. Dort wird man ständig bewertet: Ein Daumen hoch, ein Herz bei Instagram oder ein "Gefällt mir". Das ist natürlich alles etwas, was mit reinspielen kann – es ist aber niemals der einzige Grund. Man muss sich vergegenwärtigen, dass die Magersuchtskranken sich wirklich selbst zerstören. Magersucht ist die psychische Krankheit mit der höchsten Sterblichkeitsrate und ich bezweifle, dass ein reines Verfolgen eines Schönheitsideals so eine immense Macht haben kann.
Fudder: Hat sich die Zahl der Magersuchtskranken durch Facebook und Instagram nicht erhöht?
Burgard-Arp: Die Zahl der Magersuchtskranken ist in den letzten 20 Jahren nicht gestiegen, das hat mir zumindest einer der führenden Köpfe der Anorexieforschung, Stephan Zipfel, gesagt. Aber der Weg in die Krankheit mag sich geändert haben.

Das komplette Interview lest ihr auf      fudr.fr/magersucht.

Ressort: fudder

  • Artikel im Layout der gedruckten BZ vom Do, 28. Mai 2015: PDF-Version herunterladen

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