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BZ-Interview

"Die Regionen driften auseinander"

Susanne Ehmann
  • Mi, 01. März 2017, 16:56 Uhr
    Müllheim

Die Themen Tierhaltung und Regionalität in Bezug auf Lebensmittel werden immer mehr diskutiert – doch wie sieht es mit der Landwirtschaft in der Region überhaupt aus?

Im Süden haben Milchbauern im Schnitt ... und Osten zwischen 220 und 1000 Kühe.  | Foto: dpa
Im Süden haben Milchbauern im Schnitt um die 40, im Norden und Osten zwischen 220 und 1000 Kühe. Foto: dpa
Die Gesetzgebung macht es den kleinen landwirtschaftlichen Betrieben immer schwerer, dazu verlagert sich die Produktion mehr und mehr. Susanne Ehmann hat darüber mit Michael Fröhlin gesprochen, Landwirt und Kreisverbandsvorsitzender des Badischen Landwirtschaftlichen Hauptverbands in Müllheim.

BZ: Herr Fröhlin, wie steht’s um die Landwirtschaft im Markgräflerland?
Fröhlin: Für den Süden brauchen wir Lösungen, denn die Regionen driften auseinander. Bei der Haltung von Schlachttieren hat sich das Tierwohl schon messbar verbessert, etwa durch mehr Platz, mehr Licht, Gruppenhaltung und Beschäftigungsmaterial. Doch die Tierhaltung ist hier bei uns stark rückläufig. Die Selbstversorgungsgrade liegen bei etwa zehn Prozent, das bedeutet, nur etwa ein Bruchteil der tierischen Nahrungsmittel werden noch vor Ort erzeugt. Das ist bedenklich, sowohl was Regionalität als auch Tierschutz angeht, kurze Transportwege etwa. Die Auflagen werden immer höher geschraubt – und das bedroht die Existenz der Bauern in der Region.

BZ: Anders als bei Landwirten etwa im Osten Deutschlands?
Fröhlin: Die Strukturen im Markgräflerland sind viel kleiner als im bundesweiten Durchschnitt. Wir haben im Süden keine Massentierhaltung. Ein Milchbauer hat hier etwa 40 Kühe, in den neuen Bundesländern, etwa in Mecklenburg-Vorpommern, sind das um die 220, manchmal sogar mehr als 1000. Bei uns sind es viele kleine oder mittlere Familienbetriebe. Und für einen Schwarzwaldbauern macht es beispielsweise wenig Sinn und kostet vor allem viel Geld, große neue Ställe zu bauen, wenn seine Kühe ohnehin den größten Teil des Jahres auf der Weide verbringen. Und so werden die Betriebe hier weniger und die im Norden und Osten mehr, es gibt eine Produktions-Verschiebung – und Abhängigkeiten.

BZ: Und das, obwohl kleine Betriebe viele Vorteile haben.
Fröhlin: Ja, der Bezug zum Tier ist ein ganz anderer. Und: Im Markgräflerland gibt es aus diesem Grund keine Nitratbelastung des Grundwassers durch organischen Dünger aus der Landwirtschaft. Obwohl das in den Medien oft anders dargestellt wird. Die Nitratbelastung hat vielschichtige Ursachen, wie etwa Mineraldünger, Kläranlagen und durch den einstigen Bergbau. Wir haben hier also kein Düngeproblem, weil wir keine Massentierhaltung haben – dafür sind wir von der Produktion in Problemregionen abhängig geworden. Noch dazu kommt es durch die Produktions-Verschiebung dort zu einer hohen Dichte an Nahrungsmittelproduzenten und einer hohen Spezialisierung – beides hat eine strengere Tierschutz-Gesetzgebung zur Folge und das teilweise auch zu Recht. Allerdings: Mit den hohen Auflagen werden die kleinen und mittleren Betriebe hier bei uns unnötig bestraft. Ähnliches gilt übrigens auch für Schlachthöfe. Wenn kleine Betriebe aufgeben, müssen die Tiere immer weiter transportiert werden.

"Die Bauern können nicht mit der gleichen Gesetzgebung behandelt werden." Michael Fröhlin
BZ: Sie meinen also, die Gesetzgebung sollte Ländersache werden?
Fröhlin: Ein Stück weit ja. Oder sie müsste den Bundesländern zumindest einen Ermessensspielraum im Bundesgesetz bieten. Jedenfalls können die Bauern in unserer Gegend nicht mit der gleichen Verschärfung der Gesetzgebung behandelt werden, wie etwa in Problemgebieten. Das treibt den Strukturwandel nur weiter voran. Kleine Betriebe haben keine Chance mehr.

BZ: Abhängigkeit herrscht in Deutschland ja generell, was Nahrungsmittel angeht.
Fröhlin: Die Discounter verlangen große Lieferpartien, beim Obst, Gemüse, bei tierischen Lebensmitteln, Konventionell- und Bioware. Wo der deutsche Markt nicht mehr gesättigt ist oder zu teuer, wird der Bedarf aus dem Ausland gedeckt. Das größte Problem dabei: Wir sind von anderen Ländern abhängig geworden. Das Käfigeier-Verbot etwa ist zwar gerechtfertigt, aber seither fehlt es an 40 Prozent der Eier. Aus Osteuropa und Brasilien kommen viele unserer Eier, und dort spielt der Tierschutz keine große Rolle. Und die Käfige, die in Deutschland abgebaut wurden, wurden in Polen wieder aufgebaut – wir importieren das Flüssigei von dort. In fertigen Kuchenstücken sieht man nicht, wo das herkommt.

BZ: Also sind tierische Produkte aus dem Ausland bedenklich – auch wenn sie aus EU-Ländern kommen?
Fröhlin: Spanien stockt wahnsinnig auf, Länder wie Bulgarien, Serbien und Rumänien drängen auf den deutschen Markt – dort sind die Produktionsbedingungen nicht wie hier und wären ohnehin nicht kontrollierbar. Nicht im Hinblick auf Tierschutz und auch nicht auf Sozialstandards oder Löhne, dort sind es meist Niedriglöhne. Große Fleischproduzenten wie Tönnies und Wiesenhof nutzen das aus. Sie investieren etwa in Serbien, produziert in Rumänien und Bulgarien. Dort herrschen andere Tierschutzgesetze als in Deutschland, wo der Tierschutz sogar im Grundgesetz verankert ist. Und weil es unter anderen Standards produziert wurde, kann das Fleisch günstiger auf den deutschen Markt gebracht werden. Zu erkennen ist es an der "Produziert innerhalb der EU"-Deklarierung.

"Bioerzeugnisse sind nicht zwangsläufig das Mittel der Wahl." Michael Fröhlin
BZ: Gilt das auch für Bio-Produkte?
Fröhlin: Ja, auch da wird häufig die Herstellung in produktionsfreundliche EU-Staaten verlegt. Bioerzeugnisse sind nicht zwangsläufig das Mittel der Wahl, denn auch dort gibt es Verbesserungsbedarf. Es gilt, Konflikte beim Tier- und Umweltschutz zu überwinden, etwa Mangelerscheinungen bei Tieren durch vegane Fütterung, die hohen Emissionen, die durch viel Platz mit Auslauf entstehen und der Kontakt zu Wildtieren, der die Gefahr von Zoonosen und Salmonellen birgt.

BZ: Und was kann ich als Verbraucher tun?
Fröhlin: Tierische Erzeugnisse bewusst einkaufen. Das bedeutet, Billigfleisch vermeiden und nachfragen, woher das Produkt stammt. Idealerweise bei einem Metzger, der weiß, wo die Tiere herkommen, deren Fleisch er verkauft.
Info:

Zum Thema Tierhaltung laden die BLHV-Ortsvereine Buggingen und Seefelden-Betberg sowie der Kirchliche Dienst zu einem öffentlichen Informationsabend am Mittwoch, 8. März, 20 Uhr, in die evangelische Pfarrscheune (Gemeindehaus), Hauptstraße 52, in Buggingen ein.

Ressort: Müllheim

  • Artikel im Layout der gedruckten BZ vom Do, 02. März 2017: PDF-Version herunterladen

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